Die ALBERTINA Wien präsentiert mit der deutschen Malerin Ruth Baumgarte eine herausragende Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Schau in der Pfeilerhalle steht Baumgartes umfassender Werkkorpus, dem Reisen der Künstlerin in afrikanische Länder wie Ägypten, Südafrika, Kenia, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Simbabwe zugrunde liegen. Mit 40 Ölgemälden, Aquarellen und Zeichnungen findet mit dieser Schau eine zeitgemäße Neubewertung anlässlich des 100. Geburtstag der Künstlerin statt, die lebenslang feministisch orientiert war.
Ab den 1950er-Jahren bis ins hohe Alter reiste die Künstlerin über vierzig Mal nach Afrika, wo sie die Menschen aufmerksam beobachtete, sich empathisch in sie einfühlte. Sie interessierte sich für die fremden Kulturen eines damals für europäische Kunstschaffende noch unerschlossenen Kontinents. Zentral für das Verständnis von Ruth Baumgartes Kunst ist das Verhältnis von Mensch und Natur, die Verschmelzung von Figur und Landschaft.
Ein Künstlerinnenleben lang machte es sich Ruth Baumgarte zur Aufgabe, die eigene Wahrnehmung zu erforschen und hinterfragte den kolonialen Blick nach der Aneignung des Anderen. Stets näherte sie sich einer unbekannten Kultur sensibel an, um sie intuitiv zu verstehen. Nicht nur kognitiv rational, sondern mit den Mitteln der Kunst: Pinsel und Farbe wurden zu ihren Verbündeten in der Erkundung von anderen Lebensanschauungen und prekären Lebensbedingungen. Das humanistisch geprägte Oeuvre zeichnet sich durch große künstlerische Empathie aus.
Stimmen zur Ausstellung
Angela Stief, Chefkuratorin für Kunst der Gegenwart in der ALBERTINA und Direktorin der ALBERTINA modern in einem Interview von Thomas Mießgang im Katalog zur Ausstellung:
„Die permanente (Selbst-)Reflexion von Ruth Baumgarte, ihre andauernde Auseinandersetzung mit einem Welt- und Selbstverständnis, ihr kompromissloses Kunstschaffen waren nicht nur außergewöhnlich, sondern machten sie in vielerlei Hinsicht zu einer Pionierin der emanzipatorischen Bewegung, der Selbstermächtigung und der Befreiung der Frau im 20. Jahrhundert."
“Ich persönlich finde es eher bemerkenswert, dass sie das große Interesse für diesen Kontinent ganz autochthon entwickelt hat – und das zu einem Zeitpunkt, als sich für Afrika außer ein paar linken politischen Aktivisten niemand interessierte. Sie hat die Motive und Themen aber eben nicht exotisiert und romantisiert, sondern sich, ganz im Gegenteil, mit Diskriminierung, mit Apartheid, mit den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, den Spannungen intensiv auseinandergesetzt – allerdings ganz ohne Wertung innerhalb ihrer Bilder.”
Nina Schedlmayer, feministische Kunstkritikerin und Publizistin, im Katalog zur Ausstellung:
„Baumgartes Afrika-Werke sind nicht offensiv politisch-sozialkritisch. Doch vor allem hinter den Zeichnungen und Skizzen steht eine Haltung, in der politische Realitäten sehr wohl eine Rolle spielen. Dem oberflächlichen touristischen Blick auf die glühenden Ebenen und Berglandschaften in intensiven Farben, der in Reisekatalogen so gern beschworen wird, setzt Baumgarte eine Landschaft entgegen, die Kulisse, aber auch Ausdruck von Bedrohung und Unterdrückung ist."
Dr. Renée Gadsden, Mitbegründerin des Instituts für Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst, Wien, im Katalog zur Ausstellung:
„Dunkelhäutige Menschen betrachten Ruth Baumgartes Werke häufig mit einem Vergnügen, das einem weißen Publikum womöglich verwehrt bleibt. Man könnte die Malerin gewissermaßen eine »schwarze Frau honoris causa« nennen."
"Sie konnte so viele verschiedene Facetten des Lebens jener Frauen und Männer, denen sie begegnete, wahrnehmen, weil sich diese augenscheinlich respektiert fühlten und ihre Gesellschaft schätzten. Für den »weißen Blick« hingegen, der gewohnt ist, Afrikanerinnen und Afrikaner nur als »Unterdrückte« wahrzunehmen, ist die Fülle an subtilen Dramen und flüchtigen Emotionen, die Baumgarte in ihren Afrikabildern offenbart, häufig nicht oder nur schwer erkennbar. (…)
Auch wenn Ruth Baumgarte es sich vielleicht nicht hätte träumen lassen, wird ihr Werk vielleicht einmal für seine innige Schönheit und die meisterhaft psychologische Wiedergabe der »Seele der Schwarzen« (W.E.B. Du Bois) gewürdigt, und zwar primär von Menschen, die den Abgebildeten ähneln. Vielleicht werden diejenigen, die den Figuren in ihren Skizzen und Gemälden gleichen, künftig einen erheblichen Teil der Betrachter und Kenner ihrer Werke ausmachen. (…)
Baumgartes »Belohnung« dafür, dass sie ihre Familie in Deutschland beisammenhielt und ihr Stabilität gab, war augenscheinlich die spirituelle Freiheit, die mentale und emotionale Loslösung, die sie auf ihren Afrikareisen erlebte. Auch in dieser Hinsicht ist Baumgarte uns ein Vorbild. Die Orte und Menschen zu besuchen, die uns glücklich machen, ohne diejenigen im Stich zu lassen, die auf uns angewiesen sind, und unsere Talente, unsere Lebensenergie zu nutzen, um sich und anderen Freude zu bereiten – was mehr könnte das Leben von uns verlangen? Ruth Baumgarte erfüllte dies bis zu ihrem Tod im Jahr 2013."