AFRICA: VISIONS OF LIGHT AND COLOR

7 39 89 133 Vorwort / Foreword Klaus Albrecht Schröder Im Mittelpunkt steht der Mensch Über Humanismus, Politik, farbliche Entgrenzungen und dynamische Steigerungsstufen im Werk der Malerin Ruth Baumgarte / e Focus is on People On Humanism, Politics, Dissolution of Color, and Dynamic Incrementation Stages in Ruth Baumgarte's Work Ein Gespräch von / An Interview by omas Miessgang mit / with Alexander Baumgarte und / and Angela Stief Diﬀerenzen und Bezüge: Aspekte im Afrika-Werkkomplex Ruth Baumgartes / Diﬀerences and Relationships: Aspects of the Africa Complex of Works by Ruth Baumgarte Nina Schedlmayer Bin ich etwa keine Frau? Ein persönlicher Blick auf Ruth Baumgarte, Afrika und Athi-Patra Ruga / Ain’t I A Woman? A Brief Personal Look at Ruth Baumgarte, Africa, and Athi-Patra Ruga Renée Gadsden 157 Werkliste / List of Works 163 Biograﬁe / Biography

VO RWO RT Mit der Malerin Ruth Baumgarte (1923–2013) präsentiert die Albertina erstmals in Österreich eine Künstlerin, die primär in den letzten Jahren durch große Ausstellungen in deutschen Museen ins Licht der Öﬀentlichkeit getreten ist. Im Mittelpunkt der Schau Africa: Visions of Light and Color steht Baumgartes umfassender Werkkorpus, dem – insbesondere ab den 1980er- Jahren – mehrmonatige Aufenthalte der Künstlerin in Ägypten, Südafrika, Kenia, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Simbabwe zugrunde liegen. Die insgesamt rund 100 Ölgemälde, Aquarelle und Zeichnungen entfalten bei ihrer Betrachtung eine nahezu magische Qualität. Der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure sagte über die Künstlerin: »Die Länder Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Bestandteil ihrer Lebensreise.« Schon ab den 1950er-Jahren und bis ins hohe Alter hinein reiste Baumgarte über 40 Mal nach Afrika, wo sie die Menschen aufmerksam beobachtete. Sie interessierte sich für die fremden Kulturen eines damals für europäische Kunstschaﬀende noch weitgehend unbe- kannten Kontinents. Ruth Baumgarte interessierte sich für die Menschen dieses Kontinents, stieß auf Resonanz, geriet in Kommunikation und erlebte spirituelle Verbundenheit. Zentral für das Verständnis von Baumgartes Kunst ist das Verhältnis von Mensch und Natur, das formal in die Verschmelzung von Figur und Landschaft mündet, sowie – mehr als alles andere – die Erfahrung des gleißenden Lichts dieses Kontinents, das sie zu einer völlig neuen Farbpalette anregte: stark gesättigte Töne von hoher Intensität und Strahlkraft. An die Stelle der gedeckten Nuancen des Nordens tritt jene intensive Farbigkeit und das tiefe Leuchten der Töne, die schon Paul Klee und August Macke während ihrer legendären Tunisreise 1914 ent- deckten und die Klee zum euphorischen Ausruf veranlassten: »Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.« So wie diese Tunisreise viele Jahrzehnte vor Baumgartes »Erweckungserlebnis« in Afrika die Entwicklung der abstrakten Malerei von Klee, Macke und Louis Moilliet bewegte, so gewann Baumgartes Koloristik fern der Schlote der deutschen Industrie eine Klarheit und Leuchtkraft, die die Motive der Bilder gegenüber ihrer ästhetischen Eigenmächtigkeit und Wirkung zurücktreten lässt. Es sind Lavaströme von Farben: eine geradezu trunken machende rhythmisch ﬂießende Bewegung, die das ganze Bildgefüge durchströmt. Auf Basis schneller Skizzen, die sie vor Ort anfertigte, schuf sie später – wieder zu Hause in ihrem Atelier in Deutschland – neue farbintensive Gemälde, virtuose Aquarelle, ausdrucksstarke Gouachen und Zeichnungen, die den Kern dieser Ausstellung der Albertina bilden. Ruth Baumgarte brachte mit ihrem explosiven Spätwerk das gleißende Licht Afrikas nicht nur nach Europa, sondern auch in die USA; das tief empfundene Licht des Südens war so zuvor noch nicht dargestellt worden. Mit der einzigartigen Intensität ihrer Gemälde reiht sie sich in die Genealogie der großen Koloristen des 20. Jahrhunderts ein. Die afrikanischen Länder waren für sie der Motor, um jene Farbimpressionen frei- setzen zu können, denen sie unter dem verhangenen Himmel ihrer deutschen Heimat nicht begegnen konnte. Baumgartes Œuvre lässt sich weder auf Genremalerei noch auf irgendeine narrative und beschreibende Kunst reduzieren: Das Erlebnis des südlichen Lichts ist für sie 7

F O R E WO R D e Albertina Museum is showing for the ﬁrst time in Austria works by the painter Ruth Baumgarte (1923–2013), an artist who has become known to the public in recent years thanks to major exhibitions in German museums. e exhibition Africa: Visions of Light and Color focuses on an extensive group of works by Baum- garte resulting from the trips lasting several months which she made especially during the 1980s to Egypt, South Africa, Kenya, Tanzania, Uganda, Ethiopia, Sudan, and Zimbabwe. e approxi- mately hundred oil paintings, watercolors, and graphic works radiate when observed an almost magical quality. e Zimbabwean poet Chirikure Chirikure said about the artist that “the countries of Africa and their peoples were not models for her to be recorded on canvas, but an essential part of her life journey.” From the 1950s and until she was well advanced in years, Baumgarte made over forty journeys to Africa, where she carefully observed people. She was interested in the cultures of a continent that was foreign to her and still largely unknown to European artists at that time. Ruth Baumgarte became interested in the people of this continent, encountered resonance, got into communication and experienced spiritual connectedness. e relationship between humans and nature is central to understanding Baumgarte’s art. It leads formally to the fusion of ﬁgure and landscape, but more than anything else to the experience of Africa’s daz- zling light, which inspired her to a completely new range of colors: strongly saturated tones of vivid intensity and brilliance. e sober nuances of the North give way to the same inten- sive colorfulness and profound radiance of tones discovered by Paul Klee and August Macke during their legendary trip to Tunis in 1914, inspiring Klee to exclaim euphorically: “at is the meaning of this happy hour: Color and I are one. I am a painter.” Just as the trip to Tunis stimulated the development of abstract painting among Klee, Macke, and Louis Moilliet several decades previously, Baumgarte’s “enlightening experience” in Africa far from the chimneys of German industry, allowed her palette to gain a clarity and luminosity that let the motifs of her pictures recede before their aesthetic impact. ey are lava rivers of color: a ﬂowing, rhythmic, almost inebriating movement that ﬂoods the entire pictorial composition. Drawing on the quick sketches that she made on site, once back at home in her studio in Germany she created the intensely colorful oil paintings, the virtuosic watercolors, expres- sive gouaches, and drawings that make up the core of this exhibition at the Albertina Museum. Ruth Baumgarte brought the dazzling light of Africa not only to Europe, but also to the USA in her explosive later work; the profoundly experienced light of the south had never been depicted in this manner before. e unique intensity of her paintings situates her among the lineage of the great colorists of the twentieth century. e African countries were the driving force that set free these impressions of color, which she could not encounter under the overcast sky of her German homeland. Baumgarte’s art production cannot be reduced to genre painting nor to any type of narrative or descriptive art. e encounter with the southern light was for her a similarly pivotal experience like the sun of Provence for Vincent van Gogh, or the light of southern France in general for the Fauves around 1905. is phenomenon has resurfaced in contemporary art, under very dif- ferent conditions, in the work of Katharina Grosse and Cecily Brown. 8

eine ähnlich einschneidende Erfahrung wie es die Sonne der Provence für Vincent van Gogh, wie es insgesamt das Licht Süd-Frankreichs für die Fauves um 1905 war. In der zeitgenössi- schen Kunst ist dieses Phänomen unter ganz anderen Rahmenbedingungen erst wieder bei Katharina Grosse und Cecily Brown zu ﬁnden. Ruth Baumgartes Afrika-Zyklus, ihr monumentales Spätwerk, ist von seiner Farbkraft her ein regelrechter Befreiungsschlag. Er ist das »Damaskuserlebnis« der Künstlerin. In ihm zeigt sich ihre große Eigenständigkeit, die in der Tradition der französischen Fauvisten wie André Derain und Henri Matisse steht: Emotion wird durch Farbigkeit bis aufs Äußerste gesteigert. Und noch etwas zeichnet Baumgarte aus: ihr Sinn für das Dekorative im ﬂie- ßenden Bildaufbau ihrer Gemälde. Auch das teilt sie mit Paul Klee, Matisse und den Fauves. Ruth Baumgarte fertigte ihre Afrika-Bilder zu einem Zeitpunkt an, als Fragen nach künstlerischer Aneignung und kultureller Enteignung noch nicht diskutiert wurden wie heute im Zeitalter postkolonialer Diskurse. Trotzdem erkannte sie intuitiv, dass politische, soziale und kulturelle Asymmetrien, die sich als Culture Clash manifestieren, nicht in einer oberﬂächlichen Harmonie aufgelöst werden können, sondern in spannungsgeladenen Farb - kompositionen gestalterisch – gleichsam als formal-ästhetisches Sediment realer Gegensätze – problematisiert werden müssen. So entstand ein koloristischer Kosmos, der, ausgehend von ﬂammenden Rottönen und sattem Orange-Ocker über Gelb, Rosa und Violett zu entschie- denen Violett-Blau-Tönen in die Tiefe verﬂießt. Das sehr spezielle Licht der afrikanischen Landschaften ﬁndet auf diese Weise malerischen Ausdruck, während die Auﬂösung der Formen und eine Allegorisierung der Motive vom Unbehagen der Künstlerin beim Erleben eines Kontinents zwischen Aufbruch und weiter bestehender Ungleichheit und Ausbeutung künden. Ein Künstlerinnenleben lang machte es sich Baumgarte zur Aufgabe, die eigene Wahrnehmung zu erforschen, und hinterfragte die Grenzen des eigenen Blicks durch die visuelle Aneignung des anderen, des fremden Kontinents, der jahrzehntelang unter dem grausamen Joch des Kolonialismus gelitten hatte. Stets näherte sie sich sensibel den unbe- kannten Kulturen, um sie mit großer Empathie zu verstehen: nicht nur kognitiv rational, sondern mit den Mitteln der Kunst: Pinsel und Farbe werden zu ihren Verbündeten in der Erkundung von anderen Lebensanschauungen und prekären Lebensbedingungen. Das humanistisch geprägte Œuvre zeichnet sich durch künstlerische Empﬁndsamkeit und großes Einfühlungsvermögen aus. Auch die Darstellung der Frauen in ihrem Lebensumfeld nimmt in Baumgartes Afrika-Zyklus einen breiten Raum ein. Wenn die Künstlerin Personen in ihrer speziﬁschen Identität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, einer Klasse oder einem Geschlecht zeigt, beschreibt sie die Personen der Handlung bei aller Individualisierung letztendlich immer als Teil und Vertreter einer Gemeinschaft. Mittels des ﬂießenden Übergangs von impressionistischen und expressionistischen Gesten und Gestaltungsprinzipien wird die Vermischung der Kulturen, die Verschmelzung des Anderen mit dem Eigenen anschaulich gemacht. Impressionistischer Niederschlag des Gesehenen und expressionistischer Ausdruck des Empfundenen sind gleichsam die Vergegen- ständlichung des Diktums des französischen Kulturtheoretikers Édouard Glissant: »Keine Kultur ist heute isoliert von der anderen. Es gibt keine reinen Kulturen. Die Spur des Lebens wird nicht durch das Identische gelegt, sondern durch das Verschiedene. Das Gleiche produziert: nichts.« 9

Ruth Baumgarte’s Africa cycle, her monumental late work, strikes a veritable act of liberation in the force of its color. It was her own personal “road-to-Damascus experience.” e cycle demonstrates her resolute autonomy in the tradition of the French Fauves such as André Derain and Henri Matisse: emotion is intensiﬁed to the utmost through color. Something else characterizes Baumgarte’s work: her sense for the decorative in the ﬂowing composition of her pictures. is too she shares with Paul Klee, Matisse, and the Fauves. Ruth Baumgarte created her African pictures at a time when issues of artistic appro- priation and cultural exploitation were not yet debated as they are today in this age of post- colonial discourse. Nevertheless, she intuitively recognized that political, social, and cultural asymmetries, which manifest themselves as a culture clash, could not be resolved by a super - ﬁcial harmony, but rather had to be addressed artistically in colorful but tension-laden compositions, quasi as the formal-aesthetic sediment of real opposites. e outcome was a coloristic cosmos that ranges in its depths from ﬂaming red hues to saturated orange-ocher to yellow, pink and violet to decisive violet-blue tones. e exceptional light of the African landscapes ﬁnds painterly expression in this manner, while the dissolution of forms and allegorizing of the themes indicate the artist’s unease in her experience of a continent poised between awakening and continuing inequality and exploitation. roughout her artistic life, Baumgarte set herself the task of exploring her perception, questioning the limits of her gaze through the visual appropriation of the other, foreign continent that for decades had suﬀered under the brutal yoke of colonialism. She invariably approached cultures unknown to her sensitively, in order to comprehend them with empathy: not only cognitively and rationally, but through art. e brush and the palette became her allies in the discovery of other outlooks on life and of precarious living conditions. e humanistic oeuvre is deeply marked by an artistic sensibility and immense empathy. e depiction of women in their environment occupies a prominent place in Baumgarte’s Africa cycle. When the artist shows people in their speciﬁc identity or belonging to a certain ethnic group, a social class, or a gender, then she ultimately represents these people—despite their individuation—always as part and representative of a community. By means of the ﬂuid transitions from impressionistic to expressionistic gestures and pictorial principles, the mixture of cultures, the fusion of the Other and the self, become vis- ible. e impressionistic recording of what was seen and the expressionistic expression of what was felt are the concretion as it were of the statement by the Caribbean-French cultural theorist Édouard Glissant: “No culture today is isolated from other cultures. ere are no pure cultures. e traces of life are not left by what is identical, but by what is diﬀerent. Sameness produces nothing.” Interwoven into the monographic presentation of Ruth Baumgarte’s oeuvre are works by the South African artist Athi-Patra Ruga, the current winner of the Ruth Baumgarte Foundation prize, which has been previously awarded to William Kentridge, Michael Armitage, Nan Goldin, Mona Hatoum, and others. Ruga was born in 1984 in Umtata, South Africa, and now lives in Johannesburg and Cape Town. He pursues a hybridization of forms and contents in his multi-medial works in which his visual language, situated between utopia and reality, playfully transcends geographic borders, gender assignations, and social constructions of African history, as well as dogmatically applied post-colonial principles. 10

In die monograﬁsche Präsentation der Werke Ruth Baumgartes werden Arbeiten des südafrikanischen Künstlers Athi-Patra Ruga eingeﬂochten, der den diesjährigen Preis der Kunststiftung Ruth Baumgarte nach William Kentridge, Michael Armitage, Nan Goldin, Mona Hatoum u. a. erhält. Ruga, der 1984 in Umtata, Südafrika, geboren wurde und zwi- schen Johannesburg und Kapstadt lebt, verfolgt in seinem multimedialen Werk eine Hybridi- sierung von Formen und Inhalten. Seine visuelle Bildsprache zwischen Utopie und Realität löst geograﬁsche Grenzen, geschlechtliche Zuschreibungen und soziale Konstruktionen der afrikanischen Geschichte sowie eines dogmatisch eingesetzten, postkolonialen Wissens spiele- risch auf. Die Amalgamierung von unterschiedlichen kulturellen Einﬂüssen macht er zum Konzept einer Kunst, die sich zahlreicher Referenzen ungehemmt bedient und kaum einer Malerei näher steht als jener von Ruth Baumgarte. Ohne die großzügige Leihbereitschaft der Ruth Baumgarte Stiftung wäre diese Aus- stellung nicht möglich gewesen. Ich bin Alexander Baumgarte, dem Sohn der Künstlerin, ebenso zu tiefstem Dank verpﬂichtet wie der Stiftungsleitung Wiebke Steinmetz und Viola Weigel. Ebenfalls danken wir den deutschen Privatleihgebern für ihre Unterstützung im Zusammenhang mit den Leihgaben von Ruth Baumgarte sowie der What If the World Gallery in Kapstadt für die Leihgaben von Athi-Patra Ruga. Ganz besonders bedanke ich mich bei Angela Stief, der Chefkuratorin für Kunst der Gegenwart in der Albertina und Direktorin der Albertina modern, für die Auswahl an Werken aus dem jahrzehntelangen Schaﬀen der Künstlerin, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Für die kuratorischen Aufgaben stand ihr Martina Denzler als Asstistenz - kuratorin kompetent und zuverlässig zur Seite. Zudem möchte ich mich bei den Autorinnen und Autoren des Katalogs Renée Gadsden, omas Mießgang und Nina Schedlmayer für ihre luziden Textbeiträge bedanken. Außerdem bin ich der Leiterin der Publikations abteilung der Albertina, Sandra Maria Rust, und dem Graﬁker Christoph Steinegger für die professio- nelle Betreuung der ausstellungsbegleitendenden Publikation, die im Hirmer Verlag erscheint, zu großem Dank verpﬂichtet. Noch ist Ruth Baumgartes Stellenwert in der Kunstgeschichte nicht in allen Facetten ausgeleuchtet. Mit der umfangreichen Präsentation des Afrika-Zyklus ist jedoch mit Sicherheit ein großer Pfeiler dieses Schaﬀens sichtbar geworden, der heute, fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung, aktueller denn je erscheint. Nicht zuletzt für diese Aktualität und Relevanz steht der bruchlose Dialog zwischen Athi-Patra Ruga und Ruth Baumgarte ein. Klaus Albrecht Schröder Generaldirektor der Albertina 11

e amalgamation of diﬀerent cultural inﬂuences has become the concept of his art, which uninhibitedly draws on innumerable references and is closer to the style of Ruth Baumgarte than to virtually any other style of painting. Without the Ruth Baumgarte Foundation’s generous willingness to provide loans, this exhibition would never have been possible. I am profoundly grateful to Alexander Baumgarte, the artist’s son, and to the foundation’s directors Wiebke Steinmetz and Viola Weigel. We also thank the German individual lenders for their support in connection with the loan of works by Ruth Baumgarte as well as the What If the World Gallery in Cape Town for the loan of works by Athi-Patra Ruga. I would also like to thank especially Angela Stief, head curator for contemporary art at the Albertina Museum and director of the Albertina modern, for selecting these works from the decades of production by the artist, who this year would have turned 100. She was aided with competence and responsibility by assistant curator Martina Denzler. I am equally grateful to the catalog’s authors, Renée Gadsden, omas Mießgang, and Nina Schedlmayer, for their lucid essays. In addition, I would like to express my gratitude to the head of the publication department of the Albertina Museum, Sandra Maria Rust, and to the graphic artist Christoph Steinegger, for the professional handling of the volume accompanying this exhibition published by Hirmer Verlag. Ruth Baumgarte’s place in art history has not yet been deﬁned in all of its facets. e extensive presentation of the Africa cycle, however, has surely made a major pillar of this oeuvre visible, one that today, a half-century after its creation, seems more current than ever. e seamless dialog between Athi-Patra Ruga and Ruth Baumgarte attest not least to this actuality and relevance. Klaus Albrecht Schröder Director General of the Albertina Museum 12

I M M I T T E L P U N K T S T E H T D E R M E N S C H Ü B E R H U M A N I S M U S , P O L I T I K , FA R B L I C H E E N T G R E N Z U N G E N U N D DY N A M I S C H E S T E I G E R U N G S S T U F E N I M W E R K D E R M A L E R I N R U T H B A U M G A RT E E I N G E S P R Ä C H VO N T H O M A S M I E S S G A N G M I T A L E X A N D E R B A U M G A RT E U N D A N G E L A S T I E F ThoMAs MiessGAnG: Ruth Baumgarte hat ein umfangreiches Werk geschaﬀen, das von den 1940er-Jahren bis in die Zehnerjahre dieses Jahr- hunderts reicht. sie blieb dabei immer der gegen- ständlichen Zeichnung oder Malerei treu, obwohl das internationale Kunstschaﬀen in dieser Zeit unterschiedlichste Phasen der Abstraktion, auch des Konzeptuellen durch lief. Wie würden sie den Werdegang und die spezielle künstlerische Prägung Ruth Baumgartes beschreiben? ALExANDER BAUMGARTE: Ruth Baumgarte nahm in den frühen 1940er- Jahren, also während des Zweiten Weltkriegs, ihr Studium an der Hochschule für bildende Künste in Berlin auf. Ursprünglich war sie in der Klasse für Graﬁk und Zeichnung bei Professor Ulrich eingeschrieben und kam erst während der Ausbildung über einen Kommili- tonen, den Berliner Maler Florian Breuer, Schüler von Max Kaus, zur Malerei und insbeson- dere zur Farbe bzw. zum Aquarellieren. Diese Technik bestimmte ihr ganzes Leben, auch unabhängig von der Ölbildmalerei, die sie bereits in den 1940er-Jahren erstmals aufge- nommen hatte. Sie stellte diese dann zurück und fokussierte erst in den 1980er-Jahren, während ihrer großen Afrikareisen, wieder auf die Öltechnik – wobei es damals vor allem darum ging, bestimmte Dimensionen der Farbgewaltigkeit über den malerischen Prozess darzustellen. ANGELA STIEF: Die permanente (Selbst-)Reﬂexion von Ruth Baumgarte, ihre andauernde Auseinandersetzung mit einem Welt- und Selbstverständnis, ihr kompromissloses Kunstschaﬀen waren nicht nur außergewöhnlich, sondern machten sie in vielerlei Hinsicht zu einer Pionierin der emanzipatorischen Bewegung, der Selbstermächtigung und der Befreiung der Frau im 20. Jahrhundert. Im Hinblick auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts fällt auf, dass sie ihren Weg mit großer Konsequenz und ohne Kompromisse hinsichtlich des Kunstmarktes oder der jeweiligen Moden des Kunstbetriebs gegangen ist, dass sie sich nie anpasste. Sie musste ihre 39

T H E F O C U S I S O N P E O P L E O N H U M A N I S M , P O L I T I C S , D I S S O L U T I O N O F C O L O R , A N D DY N A M I C I N C R E M E N TAT I O N S TAG E S I N R U T H B A U M G A RT E ’ S WO R K A N I N T E RV I E W W I T H A L E X A N D E R B A U M G A RT E A N D A N G E L A S T I E F B Y T H O M A S M I E S S G A N G ThoMAs MiessGAnG: Ruth Baumgarte created an extensive oeuvre extending from the 1940s to the 2010s. she always remained true to ﬁgurative drawing or painting, although the international art production of the time went through diﬀerent phases of abstraction and conceptualism. how would you describe Ruth Baumgarte’s career and her special artistic qualities? ALExANDER BAUMGARTE: Ruth Baumgarte began her studies at the Hochschule für bildende Künste in Berlin in the early 1940s, during World War II. Originally she was enrolled in the class for graphic art and drawing taught by Professor Ulrich. It was only during her studies that she was introduced to painting, speciﬁcally to color and watercolor, through a fellow student, the Berlin painter Florian Breuer, a student of Max Kaus. is technique determined her entire life, even independently of oil painting, which she had ﬁrst taken up in the 1940s. She then put this to one side and did not focus on oil painting technique again until the 1980s, during her extensive trips to Africa—whereby at that time her main concern was primarily to depict certain dimensions of the forcefulness of color through the painterly process. ANGELA STIEF: Ruth Baumgarte’s permanent (self-)reﬂection, her ongoing examination of a conception of the world and of herself, her uncompromising art- making were not only extraordinary, but in many respects made her a pioneer of the emancipatory movement, of self-empowerment and of the liberation of women in the 20th century. With regard to art history in the 20th century, it is striking that she went her way with great consistency and without regard for the art market or the changing fashions of the art business, that she never conformed. She did not have to hawk her art in the marketplace, but was able to hone her aesthetic proﬁle independently of its 40

Kunst nicht auf dem Marktplatz feilbieten, sondern konnte ihr ästhetisches Proﬁl unabhängig von dessen Haussen und Baissen schärfen. In ihrem frühen Schaﬀen widmete sie sich intensiv der Zeichnung und ganz generell Arbeiten auf Papier sowie, was ebenfalls wichtig ist, der Illustration. Sie hatte ja – für eine Künstlerin eher ungewöhnlich – einen Hintergrund im Animationsﬁlm, nämlich als Mitar- beiterin im Studio von Wolfgang Kaskeline, der in der Nazizeit so etwas wie der deutsche Walt Disney hätte werden sollen. BAUMGARTE: Die Zeit im Atelier von Kaskeline war für Ruth Baumgarte sicher eine interessante biograﬁsche Prägung – sie gab immer an, dass sie dort eine der Haupt - zeichnerinnen gewesen sei. Wolfgang Kaskeline war jüdischer Herkunft, bekam aber eine Sondergenehmigung der Reichskulturkammer unter Joseph Goebbels, weil sie ihn einfach als zentrale Figur für den deutschen Trickﬁlm brauchten. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass man, um eine Bewegungsfrequenz darstellen zu können, 100 Einzelﬁguren benötige. Kunsthistoriker sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Arbeiten von Ruth Baumgarte in der Tradition einer Dramaturgie des bühnenartigen Aufbaus stehen. Ob das durch ihre Tätigkeit bei Kaskeline ausgelöst worden war oder dadurch, dass sie sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits aus einer alten eaterfamilie stammte und früh als Kind vor den unterschiedlichen Bühnen saß, kann ich nicht beurteilen. Das muss von außen betrachtet geschehen. Ihren Bildern jedoch, speziell jenen des Afrika-Zyklus, wohnt immer wieder eine sehr starke Bewegung inne. Ruth Baumgarte konnte weder ﬁlmen noch fotograﬁeren, arbei- tete aber stets sehr intensiv nach Modellen und verfügte über die Gabe, Menschen in Aktion darzustellen. Viele ihrer Bildmotive scheinen in permanenter Bewegung. MiessGAnG: Kann man so weit gehen, von einer kinetischen Dimension in diesen Arbeiten zu sprechen, etwa wie in den fotograﬁschen Bewegungsstudien von eadweard Muybridge im 19. Jahrhundert? BAUMGARTE: Man kann das so sehen. Sie hat im Grunde die Modulation der Farbe, der Grundierung, selbst der Strukturen sowohl in den Aquarellen wie auch in der Ölbildmalerei ﬂeckenhaft, fast dreidimensional auf eine Weise eingesetzt, dass die Körper in einen Bewegungsprozess gesetzt werden. MiessGAnG: im Werk von Ruth Baumgarte gab es, vor allem in den ersten Jahr- zehnten, einen starken angewandten Anteil. sie übernahm immer wieder Auftrags- arbeiten und sah sich, glaube ich, sehr stark als Professionistin mit großem handwerklichem Können. stimmt das? BAUMGARTE: Durchaus. Am Ende ihres Studiums im Jahr 1945, also in der Stunde Null nach dem Krieg, war sie eine der ersten Pressezeichnerinnen in Berlin und zwar bei der Berliner Zeitung, der ersten deutsch-russischen Tageszeitung. Sie wurde in dieser Zeit auch sehr kommunistisch geprägt. Sieben Jahre lang, bis sie in zweiter Ehe meinen Vater, den 41

ups and downs. In her early work she focused intensively on drawing, in general on works on paper and—crucially—on illustration. Rather unusually for a woman artist, she had a background in animated ﬁlm, namely as a collaborator in the studio of Wolfgang Kaskeline, who during the Nazi era was supposed to become a sort of German Walt Disney. BAUMGARTE: e time in Kaskeline’s studio certainly had an interesting biographical impact on Ruth Baumgarte; she always claimed that she had been one of the main draftswomen there. Wolfgang Kaskeline was of Jewish descent, but was given special permission by the Reich Chamber of Culture under Joseph Goebbels, simply because they needed him as a key ﬁgure for German animated ﬁlm. My mother once told me that in order to depict a frequency of movement, you needed 100 individual ﬁgures. Art historians have come to the conclusion that Ruth Baumgarte’s works follow the tradition of a mise en scène based on a stage-like construction. Whether this was triggered by her work at Kaskeline’s, or by the fact that she came from an old the- ater family—on both her mother’s and father’s side—and sat in front of various types of stages early on as a child, I cannot judge. Other people will have to assess that. Her pictures, however, particularly those of the Africa cycle, always reveal a very strong inherent movement. Ruth Baumgarte could neither shoot ﬁlm nor take photographs, but she always worked very intensively from models and had the gift of depicting people in action. Many of her pictorial motifs seem to be in permanent motion. MiessGAnG: Can we go so far as to speak of a kinetic dimension in these works, as in the photographic studies of movement by eadweard Muybridge in the nineteenth century? BAUMGARTE: You could see it that way. In both watercolors and in oil paintings, she basically used the modulation of color, of priming, even of structures, in a patchy, almost three-dimensional manner, in such a way that the bodies are set in a process of movement. MiessGAnG: Ruth Baumgarte’s work had strong elements of applied art, partic- ularly in the ﬁrst decades. she repeatedly took on commissioned work and, i think, saw herself very much as a professional with great craftsmanlike skills. is that true? BAUMGARTE: Yes indeed. At the end of her studies in 1945, in the so-called “zero hour” after the war, she was one of the ﬁrst press illustrators in Berlin, at the Berliner Zeitung, the ﬁrst German-Russian daily newspaper. She was also very much inﬂuenced by communism during this time. For seven years, until her second marriage, when she married my father, the industrialist Hans Baumgarte, she worked as an illustrator for a variety of newspapers and magazines, but also as a book illus- trator. I estimate that she made about 1,700 works in this manner and mastered some 42

Industriellen Hans Baumgarte, heiratete, arbeitete sie als Illustratorin für eine Vielzahl von Zeitungen und Magazinen, aber auch als Buchillustratorin. Ich schätze, auf diese Weise sind an die 1700 Arbeiten entstanden. Sie beherrschte rund 75 unterschiedliche Techniken – das ist das Ergebnis der bisherigen kunstwissenschaftlichen Untersuchungen. Gleichzeitig hat sie sich sehr stark mit technischen Motivwelten sowie dem gesellschaftlichen Fortschritt ausein- andergesetzt – immer jedoch in Verbindung mit dem Menschenbild. Dieses und der huma- nistische Gesamtgedanke standen für sie zeitlebens im Zentrum – und dies seit Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit mit einem frühen Selbstbildnis Anfang der 1940er-Jahre. STIEF: Bereits während des Studiums, also während der Nazizeit, beschäftigte sich Ruth Baumgarte im Verborgenen mit der Darstellung der Verfolgung und Deportation von Roma und Sinti sowie der jüdischen Bevölkerung. Diese empathische Hinwendung zu den Ausgegrenzten und Marginalisierten sowie der Versuch, den Wesenskern ihres Schmerzes mit künstlerischen Mitteln zu erfassen, war zeitlebens eine enorme Triebkraft für ihre Arbeit. Das hat sich in späteren Jahrzehnten noch intensiviert: Vor allem in den 1980er-Jahren hat sie sich mit Außenseitern der Gesellschaft beschäftigt, zum Beispiel mit den Nichtsesshaften. Sie interessierte sich für den Menschen an sich und es gab für sie keine Person, die nicht »darstellungswürdig« war. So sind im Lauf der Jahrzehnte 800 Porträts entstanden: Jung und alt, reich und arm – in diesem Kontext würde ich auch die Selbstdarstellung, das Selbst- bildnis, sehen, eine Gattung, die sie seit den 1940er-Jahren durch ihr ganzes Leben begleitete. MiessGAnG: sehr interessant und fast einzigartig in der Kunstwelt Deutschlands ist auch die Tatsache, dass Ruth Baumgarte sich in den 1950er-Jahren, also in der Wieder- aufbauzeit, ästhetisch mit dem, man könnte sagen, industriellen Komplex beschäftigte, wiederum geﬁltert durch die Physiognomien der Menschen, die in ihm tätig waren. STIEF: Durch ihre zweite Ehe mit dem Industriellen Hans Baumgarte, der in Bielefeld Eigentümer eines Eisenwerks war, hatte sie einen privilegierten Zugang zur indus- triellen Arbeitswelt in Deutschland. Das ermöglichte ihr Einblicke in arbeitstechnische Funktionszusammenhänge, die sie sonst wohl nicht gehabt hätte. Daraus entstand ein Industriezyklus, der in seiner, ich möchte fast sagen neusachlichen Darstellungskraft, eine ganz andere und völlig entheroisierte Vorstellung vom »Homo faber« entwirft als sowohl der sozialistische Realismus der Stalinzeit als auch die Nazikunst mit ihren muskelbepackten Helden der Arbeit. Die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, mit der sie umgebenden Realität, war für Ruth Baumgarte immer sehr wichtig. Es ging ihr aber nicht darum, in ihrer künstlerischen Arbeit politisch Partei zu ergreifen – sie war eher eine Beobachterin, eine sehr genaue Beobachterin. Zeit ihres Lebens betonte sie immer wieder, sie sei nicht der »Käthe-Kollwitz-Typ«. Die genaue Wahrnehmung, psychische Verarbeitung und dann die künstlerische Darstellung manifestieren sich in ihrer Arbeit eben als Gegenstandstreue. Deshalb ist auch das Handwerkliche von so großer Bedeutung. BAUMGARTE: Ruth Baumgarte war die einzige Frau in Westdeutschland, die sich mit dem ema Industrie künstlerisch beschäftigt hat. Im Grunde genommen hat sie das, 43

seventy-ﬁve diﬀerent techniques, according to the ﬁndings of art-historical research so far. At the same time, she was very much concerned with technical matters and motifs as well as with social progress—but always in connection with the image of the human. is, as well as the overarching humanistic idea, remained central to her worldview throughout her life, from the beginning of her artistic activity with an early self-portrait in the early 1940s. STIEF: Even during her studies, that is, during the Nazi era, Ruth Baumgarte was secretly occupied with depicting the persecution and deportation of Roma and Sinti as well as that of the Jewish population. is empathetic focus on the excluded and the marginalized, and the attempt to capture the essence of their pain through artistic means, was an enormous driving force for her work throughout her life. It intensiﬁed in later decades: In the 1980s especially, she turned to society’s outsiders, for example, the homeless. She was interested in people as such; for her there was no person who was not “worthy of representation.” Over the decades, consequently, she painted 800 portraits: Young and old, rich and poor—I would also place her self-rep- resentation, the self-portrait, in this context too; it was a genre that accompanied her throughout her life from the 1940s onward. MiessGAnG: it is also very interesting and almost unique in the German art world that in the 1950s, during the reconstruction period, Ruth Baumgarte was aesthetically concerned with what one might call the industrial complex, again ﬁltered through the physiognomies of the people who worked in it. STIEF: rough her second marriage to the industrialist Hans Baumgarte, who owned an iron foundry in Bielefeld, she had privileged access to the industrial working world in Germany. is enabled her to gain insights into functional contexts related to work that she probably would not have experienced otherwise. e outcome was an industrial cycle which, in its powerful representation—almost in the style of the New Objectivity— creates a completely diﬀerent and totally de-heroized idea of the “homo faber” that was in stark contrast with both the Socialist Realism of the Stalin era and Nazi art with its muscular heroes of labor. e confrontation with reality, with the real world around her, was always vital for Ruth Baumgarte. Yet she was not concerned with taking political sides in her artistic work—she was more of an observer, a very precise observer. She repeatedly emphasized throughout her life that she was not the “Käthe Kollwitz type.” Meticulous perception, psychological pro- cessing, and then artistic representation manifest themselves precisely in her work as ﬁdelity to the object. at is why craftsmanship is of such great importance. BAUMGARTE: Ruth Baumgarte was the only woman in West Germany to address the subject of industry artistically. Basically, she developed what is now called a corporate identity for Hans Baumgarte’s company: a clear, recognizable signature. At the same time, she devoted herself early on to the theme of the industrial working 44

Selbstbildnis (… an der Tür) / self-Portrait (… at the Door) 1979 Bister, Kreide und Aquarell auf Papier / Bister, chalk, and watercolor on paper Kunststiftung Ruth Baumgarte was man heute Corporate Identity nennt, für die Firma von Hans Baumgarte entwickelt: eine eindeutige, wiedererkennbare Signatur. Parallel widmete sie sich früh dem ema der industriellen Arbeitswelt, hat dabei aber durchaus auch etliche kritische Werke geschaﬀen – obwohl das Auftragsarbeiten für Publikationen des Unternehmens waren. Dabei themati- sierte sie beispielsweise weitsichtig die Umweltverschmutzung, die sich in der industriell geprägten Stadt Bielefeld bereits ankündigte, sowie die Verdrängung von Mensch und Lebensraum durch zunehmende Urbanität: Sie stellte die überbordende Technik dar und, was besonders interessant ist, sie porträtierte auch schwer arbeitende schwarze Menschen, die in der Zeit der Wirtschaftswunderepoche international jenseits der Staaten der Dritten Welt auch in den Industrieländern sichtbar wurden. Es gibt verschiedene Illustrationen, in denen man diese bei Montagearbeiten und ähnlichen Tätigkeiten sieht. MiessGAnG: All dies fand zu einem Zeitpunkt statt – wir sprechen von den 1950er- Jahren – als in den UsA der abstrakte expressionismus etwa eines Jackson Pollock und in europa dessen Umdeutungen zu Tachismus und informel große erfolge feierten. Die Kunst der Ruth Baumgarte ist davon völlig unberührt. hat sie diese künstlerischen stilistiken für sich ausgeblendet oder vielleicht überhaupt nicht wahrgenommen? STIEF: Der westliche Zugang zur Kunst im Anschluss an das Nazi-Regime, als jede Form der Abstraktion als entartet galt, war von der Formauﬂösung geprägt und manifes- tierte sich als Tachismus, als Informel oder eben, wie vor allem in den USA, als abstrakter 45

Fräser / Milling Cutter 1967 Tusche, Gouache, Aquarell und Graﬁt auf auberginefarbenem Tonpapier / India ink, gouache, watercolor, and graphite on aubergine-colored construction paper (Vorlage für das Märzblatt des Eisenwerk-Baumgarte- Kalenders von 1968 / Design for the March sheet of the Baumgarte Ironworks 1968 calendar) Kunststiftung Ruth Baumgarte Bohrer / Driller 1967 Tusche, Gouache, Aquarell und Bleistift auf anthrazitfarbenem Tonkarton / India ink, gouache, watercolor, and pencil on charcoal- colored construction card (Vorlage für das Septem- berblatt des Eisenwerk- Baumgarte-Kalenders von 1968 / Design for the September sheet of the Baumgarte Ironworks 1968 calendar) Kunststiftung Ruth Baumgarte world, and in the process created quite a few critical works, although her works were commissioned for company publications. For example, she was farsighted in addressing the environmental pollution that was already aﬀecting the industrial city of Bielefeld, as well as the displacement of people and living space through the increasing urban construction. She depicted the overwhelming technology and, what is particu- lary interesting, she already portrayed hard-working black people who became visible internationally beyond ird World nations in industrialized countries during the era of the so called “economic miracle” . ere are various illustrations in which you see them doing assembly work and similar activities. MiessGAnG: All of this took place at a time—we’re talking about the 1950s— when the Abstract expressionism of a Jackson Pollock in the United states, for example, and its reinterpretations as Tachisme and informel in europe, was enjoying great success. e art of Ruth Baumgarte was completely unaﬀected by this. Did she ignore these artistic styles deliberately or perhaps not perceive them at all? STIEF: e Western approach to art in the aftermath of the Nazi regime, when any form of abstraction had been considered degenerate, was characterized by the dissolution of form and manifested itself as Tachisme, Informel, or, in the United States in particular, as Abstract Expressionism. is continued into the 1960s and, in 46

Expressionismus. Das ging bis in die 1960er-Jahre und erfasste neben Nordamerika auch Länder wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Diese Entwicklung war jedoch nicht nur ästhetisch, sondern zugleich ideologisch motiviert. Vor allem von den Amerikanern wurde die Abstraktion auch politisch instrumentalisiert – gegen den sozialistischen Realismus und gleichzeitig gegen die Doktrinen der Nazikunst, die ja ebenfalls das Gegenständliche betonten. Obwohl Ruth Baumgarte immer sehr politisch interessiert war und durchaus äußerst prononcierte, eher linksliberale und gesellschaftspolitisch engagierte Meinungen vertrat, bildet sich in ihrer Kunst die in den 1950er-Jahren erbittert ausgefochtene Debatte »Abstraktion versus Gegenständlichkeit« nicht ab. Sie geht an ihr mehr oder weniger vorbei; dem Zwang, abstrakt malen zu müssen, unterwarf sie sich jedenfalls nicht. BAUMGARTE: Der Kulturtheoretiker Helmut Lethen stellte die ese auf, dass die CIA großes ideologisches Interesse daran hatte, die Abstraktion in Deutschland voran - zutreiben, um der Vorstellung von Freiheit eine künstlerische Signatur zu verleihen. Gerade das unterscheidet Deutschland beispielsweise von Italien, Frankreich aber auch Spanien: In diesen Ländern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus gegenständliche Kunst produziert, ohne dass man sie auf ähnliche Weise wie im deutschsprachigen Raum legiti- mieren musste. Dazu kommt, dass die Deutschen sich zugleich durch den meinungsbildenden Kunsthistoriker Werner Haftmann, der eine schillernde Persönlichkeit mit etwas frag - würdiger Vergangenheit im Dritten Reich war, sehr stark der Abstraktion zuwandten. In Ländern wie Großbritannien herrschten ganz andere Traditionen vor: Dort spielte das Menschenbild und das Porträt seit jeher eine große Rolle und Maler mit gegenständlichen Anteilen wie Lucian Freud oder Francis Bacon zählen zu den Großkünstlern. Man muss bei Ruth Baumgarte auch berücksichtigen, dass sie seit den frühen 1950er-Jahren die Möglich- keit hatte, sehr viel zu reisen und in ihrer Kunstrezeption nicht auf Europa beschränkt war: Sie erkundete Persien und Kleinasien, später entdeckte sie eben Afrika für sich. Sie sah sehr viel, ist aber nie auf eine modische Welle aufgesprungen, sondern hat ihre eigene Wahr - nehmung und ihre eigene Interpretation ihres Menschenbildes in ihren Bildwelten immer weiterverfolgt. Ich möchte aber betonen, dass es, vor allem in den 1950er- und dann in den 1970er-/1980er-Jahren, durchaus abstrakte Anlagen in ihren Bildern gab. Bei den afrikani- schen Arbeiten beispielsweise ist es so, dass jedes Bild, wenn man die Figuration, das Gegen- ständliche, reduziert, einen stark informell-abstrakten Charakter hat. Diese Abstraktionen jedoch transformierte sie dann in einen gegenständlichen Prozess. MiessGAnG: hat die recht spät einsetzende Anerkennung von Ruth Baumgartes Werk auch damit zu tun, dass sie lange Zeit die Aquarellmalerei favorisierte – die ein bisschen als Malerei zweiter Klasse galt? STIEF: Man kann deﬁnitiv sagen, dass die Malerei mit Wasserfarben in der Zeit, in der große Teile von Ruth Baumgartes Werk entstanden sind, in der allgemeinen Kunstge- schichte so gut wie keine Rolle spielte und gerne als dekorative, weiblich konnotierte Kunst degradiert wurde – »Mädchenkunst«. Doch gerade Künstlerinnen wie auch Marlene Dumas, Miriam Cahn und Maria Lassnig schufen herausragende Arbeiten in Aquarelltechnik und 47

addition to North America, also aﬀected countries such as France, Germany, and Britain. However, this development was motivated not only aesthetically but also ideologically. Abstraction was instrumentalized politically, especially by the Americans, against Socialist Realism and at the same time against the doctrines of Nazi art, which also emphasized the representational. Although Ruth Baumgarte was always very politi - cally interested and held very pronounced, rather left-wing liberal and socio-politically committed views, the “abstraction versus ﬁguration” debate that was bitterly fought out in the 1950s is not reﬂected in her art. It more or less bypassed her. In any case, she did not submit to the compulsion to paint abstractly. BAUMGARTE: e cultural theorist Helmut Lethen put forward the thesis that the CIA had a strong ideological interest in pushing abstraction in Germany, in order to lend the idea of freedom an artistic identity. is is precisely what distin- guishes Germany from Italy, France, and also Spain, for example: In these countries, representational art was deﬁnitely produced after World War II, without the need to legitimize it in a similar way as in the German-speaking world. What is more, at the same time Germans turned very strongly towards abstrac- tion as a result of the opinions advocated by the art historian Werner Haftmann, who was a dazzling personality with a somewhat questionable past in the ird Reich. In countries like Britain, completely diﬀerent traditions prevailed. ere, the image of the human and portraiture have always played a major role, and painters who work repre- sentationally, such as Lucian Freud and Francis Bacon, number among the great artists. In Ruth Baumgarte’s case, we must also take into account that she had the opportunity to travel a great deal from the early 1950s onward and that her reception of art was not limited to Europe: she explored Persia and Asia Minor, and later discov- ered Africa for herself. She saw a lot, but never jumped on a fashionable bandwagon, always pursuing her own perception and her own interpretation of the image of the human in her pictorial worlds. I would like to emphasize, however, that, especially in the 1950s and then in the 1970s and 1980s, there were deﬁnitely abstract components in her paintings. In the African works, for example, when you reduce the ﬁguration, the representational, each painting has a strong Informel-abstract character. She then transformed these abstractions, however, in a representational process. MiessGAnG: Does the rather late recognition of Ruth Baumgarte’s work also have to do with the fact that for a long time she favored watercolor painting, which was considered a bit like second-class painting? STIEF: You can deﬁnitely say that painting with watercolors played virtually no role in general art production during the period in which large parts of Ruth Baumgarte’s oeuvre were created; it was readily degraded as decorative art with femi- nine connotations—“girl’s art.” But especially female artists like Marlene Dumas, Miriam Cahn, and Maria Lassnig created outstanding works in watercolor technique and and self-conﬁdently acknowledged this medium, which was not yet male-domi- nated. It cannot be pointed out often enough that Baumgarte’s works were created 48

bekannten sich selbstbewusst zu diesem Medium, das noch nicht männlich besetzt war. Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass Baumgartes Werke völlig unabhängig von den Stilformen und Moden entstanden, welche die jeweilige Epoche beherrschten. Sie wollte sich gerade eben nicht anpassen, was sie indirekt zu einer Feministin machte. BAUMGARTE: Das Aquarell übte auf sie eine starke Faszination aus und stellte gleichzeitig eine Herausforderung dar, weil es technisch viel schwieriger zu bewältigen ist als die Ölmalerei. Sie können beim Aquarell nicht korrigieren – das hat sie immer gereizt. Natürlich auch die Transluzenz der Farben und der einzelnen Nuancen sowie der Bildebenen war für sie interessanter über das Aquarell darzustellen; manchmal vielleicht selbst das Durchscheinen der Seelenzustände der Menschen, das Gläserne, das Zerbrechliche. MiessGAnG: Gehen wir nun zum ema Politik über: Die revolutionären Umwäl- zungen des Mai 1968 ﬁelen mitten hinein in die produktive Phase der Künstlerin Ruth Baumgarte. Aus der sicht der protestierenden studenten gehörte sie allerdings wohl zu den Privilegierten, den Kapitalisten, die man eigentlich bekämpfte? BAUMGARTE: In einem Interview, das entstanden ist, als sie schon ziemlich alt war, sagte sie: »Wissen Sie, wenn sie mit einem Kapitalisten verheiratet sind, dann rücken viele Menschen von ihnen als Künstlerin ab. Sie nehmen nur noch die Äußerlichkeiten im Zusammenhang mit ihrem Leben wahr, sehen aber nicht die inneren Werte und die bio- graﬁschen Prägungen, die sie ebenfalls beeinﬂusst haben, in ihrem Werk.« Ich glaube schon, dass sie auch durch die politischen Ereignisse wie die Bewegung der 1968er-Jahre einen Ver- änderungsprozess erlebt hat. Sie war natürlich in gewissem Maße privilegiert, aber sie kam nicht auf eine Weise in den Genuss eines wirtschaftlich gesicherten Lebens, wie man das von außen vielleicht glaubte. Zumal Hans Baumgarte ein Mann war, der seine Frau aus vielen Gründen nicht frei und unabhängig werden lassen wollte. Er erteilte ihr teilweise sogar Der Entschluss / e Decision 1978 Aquarell, Gouache und Kreide auf cremefarbenem Papier / Watercolor, gouache, and chalk on cream-colored paper Kunststiftung Ruth Baumgarte

completely independently of the stylistic forms and fashions that dominated the epoch in question. She deﬁnitely did not want to conform, which indirectly made her a feminist. BAUMGARTE: Watercolor exerted a strong fascination on her and at the same time presented a challenge because it is technically much more diﬃcult to master than oil painting. You cannot correct in watercolor—that always appealed to her. Of course, the translucency of the colors and the individual nuances, as well as the pictorial planes, were also more interesting for her to depict via watercolor, some- times perhaps even letting people’s state of mind, the glassy and the fragile, shine through. MiessGAnG: now let’s move on to the subject of politics: e revolutionary upheavals of May 1968 fell right in the middle of Ruth Baumgarte’s productive phase as an artist. From the point of view of the protesting students, however, she probably belonged to the privileged, to the capitalists, who were actually being fought against? BAUMGARTE: In an interview given when she was quite old, she said, “You know, when people are married to a capitalist, many will shun you as an artist. ey only perceive the externals in the context of your life, but they don’t see the inner values and the biographical traces that also inﬂuenced you in your work.” I do believe that she also experienced a process of change as a result of political events. She was privileged to a certain extent, of course, but she did not come to enjoy a luxurious life in a way that one might have imagined from the outside. Especially since Hans Baumgarte was a man who basically did not want to set his wife free and was always afraid that she would leave him if he was not able to boss her around. In some cases, he even prohibited her from working; for example, he did not want her to continue working as a book illustrator. So Ruth Baumgarte had to break free, and she did so in 1975 when she founded an artists’ cooperative gallery. She realized very quickly, how- ever, that this whole art market thing was not at all for her, and that at the same time she no longer had enough time for her own artistic work. MiessGAnG: But a sociopolitical upheaval of this dimension still leaves its mark, doesn’t it? BAUMGARTE: at deﬁnitely came through in her work, as did the time of the RAF and the turbulent era known as the “German Autumn.” Later, in the 1980s, the AIDS epidemic, the nuclear catastrophe of Chernobyl, the general distruction of environment, and the ongoing military rearmament, and the respective social anxiety also became relevant to her. She became very involved with many, many issues. MiessGAnG: in other words, sociopolitical awareness was always present in both her life and her work? 50

Zählt nicht uns, zählt Eure Tage / Don’t Count Us, Count Your Days 1987 Aquarell über Kohle auf Papier / Watercolor over charcoal on paper Kunststiftung Ruth Baumgarte Berufsverbote; so wollte er beispielsweise nicht, dass sie 1952 nach der Heirat weiterhin als Buchillustratorin tätig war. Ruth Baumgarte musste sich also freischwimmen und das hat sie 1975 getan, als sie eine Produzentengalerie gründete. Sie erkannte allerdings sehr schnell, dass dieser ganze Kunstmarkt überhaupt nichts für sie war, und dass sie zugleich nicht mehr genug Zeit für ihre eigene künstlerische Arbeit hatte. MiessGAnG: Aber ein gesellschaftspolitischer Umbruch dieser Dimension hinterlässt natürlich trotzdem spuren? BAUMGARTE: Das ist in ihrem Werk deﬁnitiv durchgekommen, ebenso wie die Zeit der RAF und jener Epoche, die als »deutscher Herbst« bezeichnet wird. Später, in den 1980er-Jahren, wurde auch die AIDS-Epidemie, die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, die allgemeine Umweltzerstörung, die permanente Aufrüstung und die entsprechenden gesellschaftlichen Ängste für sie relevant. Sie hat sich mit vielen, vielen emen sehr stark auseinandergesetzt. MiessGAnG: Das heißt, das gesellschaftspolitische Bewusstsein war sowohl im Leben als auch im Werk immer vorhanden? STIEF: Auf jeden Fall. Durch die Tatsache, dass Ruth Baumgarte so eine genaue Beobachterin war, ist es ihr immer wieder gelungen, auch die Schattenseiten und 51

STIEF: Absolutely. Since Ruth Baumgarte was such a precise observer, she always succeeded in making visible the darker sides and delusions of capitalism, even in works that were actually meant to serve completely different purposes. However, this occasionally led to a pathetic, formulaic dimension in the depiction of people, from which her art suffered. Ruth Baumgarte’s works are always good when she found artistic forms of expression beyond clichés, and the viewer notices that she was able to get into emotional situations and contexts of meaning. BAUMGARTE: In any case, she was rather left-wing and at the same time liked to provoke, because she could not stand the superﬁcial chic society at all. She also did not go to the corresponding events and largely excluded this aspect from her life. Ruth Baumgarte was a characteristic Berliner and spoke like one; when she got upset or rebuked you, this really came out—she was absolutely merciless. us she fell out of any bourgeois understanding of the world. MiessGAnG: how did the great Africa cycle ﬁnally come about, the creation of which lasted from the early 1980s to 2007 and which is considered by art critics and theorists to be the high point of Ruth Baumgarte’s work? BAUMGARTE: She had always been fascinated by the continent and had already visited South Africa in 1957. Subsequently, she went to Egypt three times— alone. She checked into a hotel and then wanted to go to the bazaars to see what was happening there and to draw people. e hotel staﬀ ran after her, saying, “For God’s sake, you mustn’t walk around here alone, or you’ll disappear!” Ruth Baumgarte was certainly a very attractive woman. So you can see that she was not afraid of anything, was very curious, and tried to experience what was happening around her and then to shape it artistically. STIEF: She made a total of forty trips to the African continent. ese were not short tourist visits, but weeks and months of intensive research and travel. I see this less as evidence of an escape from a Germany which she admittedly experienced as increasingly inhospitable, than as an indication of her insatiable curiosity for the Other, which she did not yet know and which for her was always associated with for- eign people, in this case with black people. BAUMGARTE: ose were quite extreme journeys. We often had no contact for weeks and did not know whether everything was okay and if she was in good health. Sometimes accidents happened during these trips. Later, she often trav- eled with a journalist who lived in South Africa, which meant a certain amount of pro- tection for her. As a white woman in Africa, you simply could not go everywhere, there are areas where that is impossible. MiessGAnG: in what ways do you think the travel experiences have inscribed themselves in the work? 52

Verblendungszusammenhänge des Kapitalismus sichtbar zu machen – selbst in Arbeiten, die eigentlich ganz anderen Zwecken dienen sollten. Das führte gelegentlich allerdings zu einer pathetisch-formelhaften Dimension in der Menschendarstellung, unter der ihre Kunst litt. Gut sind die Werke von Ruth Baumgarte immer, wenn sie künstlerische Ausdrucks- formen jenseits von Klischees fand und der Betrachter merkt, dass sie sich in Gefühlslagen und Sinnzusammenhänge einlebte. BAUMGARTE: Sie war auf jeden Fall eher linkshumanistisch geprägt und provo- zierte zugleich gerne, weil sie die oberﬂächliche Schickimicki-Gesellschaft überhaupt nicht ertragen konnte. Sie ging auch nicht zu entsprechenden Events und blendete diese Kompo- nente aus ihrem Leben weitgehend aus. Ruth Baumgarte war eine charakteristische Berlinerin und sprach auch so; und wenn sie sich aufregte oder schimpfte, dann merkte man das umso mehr – da kannte sie kein Pardon. Damit ﬁel sie aus jeglichem bürgerlichen Weltverständnis heraus. MiessGAnG: Wie kam es dann schließlich zu dem großen Afrika-Zyklus, dessen entstehungszeit sich von den frühen 1980er-Jahren bis 2007 erstreckte und der in übereinstimmender Meinung der Kunstkritik und -theorie als höhepunkt von Ruth Baumgartes Werk gilt? BAUMGARTE: Sie war von diesem Kontinent seit jeher fasziniert und hatte bereits 1957 zunächst Südafrika bereist. Anschließend war sie dreimal in Ägypten und zwar alleine. Sie checkte in einem Hotel ein und wollte dann in die Basare gehen, um zu sehen, was dort passierte, und um Leute zu zeichnen. Da liefen ihr die Hotelbediensteten nach mit den Worten: »Um Gottes willen, Sie dürfen hier nicht alleine herumlaufen, sonst verschwinden Sie!« – Ruth Baumgarte war durchaus eine sehr attraktive Frau. Man kann also sagen: Sie hatte vor nichts Angst, war sehr neugierig und versuchte, das, was um sie herum passierte, zu erleben und dann künstlerisch zu gestalten. STIEF: In Summe unternahm sie 40 Reisen auf den afrikanischen Kontinent. Und das waren keine kurzen touristischen Aufenthalte, sondern Wochen und Monate einer intensiven Recherche- und Reisetätigkeit. Ich sehe darin weniger einen Beleg für ein Flucht- verhalten aus einem, zugegebenermaßen als immer unwirtlicher erlebten Deutschland, als ein Indiz für ihre unstillbare Neugier nach jenem Anderen, das sie noch nicht kannte und das sich für sie immer mit fremden Menschen verknüpfte – in diesem Fall mit schwarzen Menschen. BAUMGARTE: Das waren schon extreme Unternehmungen. Wir hatten oft wochenlang keinen Kontakt und wussten nicht, ob alles in Ordnung war und sie sich guter Gesundheit erfreute. Manchmal sind bei diesen Reisen ja auch Unfälle passiert. Sie war später öfter mit einem Journalisten unterwegs, der in Südafrika lebte, was für sie einen gewissen Schutz bedeutete – man konnte als weiße Frau in Afrika einfach nicht überall hinfahren – es gibt Gegenden, da ist das unmöglich. 53

Luxor 1985 Öl auf Malpappe / Oil on cardboard Kunststiftung Ruth Baumgarte STIEF: For me, it’s interesting that Ruth Baumgarte was able to translate the tensions and conﬂicts she perceived there into dynamics that manifest themselves for- mally in her painting. e forms and colors in the countries of East Africa, and up to the north, where she preferred to stay, also determine this cycle of paintings: the inten- sity of color, as well as the color contrasts. In her paintings, the complementary colors red and green often appear, or diﬀerent shades of red clash that actually do not match at all. ese are all formations laden with tension that convey an incredible dynamism. ere are also swirls of color that infuse a picture with kinetic energy. BAUMGARTE: e African experience virtually forced Ruth Baumgarte to return to oil painting, as she would not have been able to convey this incredible radi- ance of color with watercolor. e immensity and power that Africa emanated for her necessitated artistic techniques to match. MiessGAnG: Did the light—which must have been fascinating for a painter— also interest her during these trips to Africa? e light there, which is so very dif- ferent from that in europe? BAUMGARTE: Light already had an enormous impact on her art. But, like in her entire oeuvre, she was primarily concerned with people. She also got to know many Africans, talked to them, engaged with them and their life situations. In the 54

MiessGAnG: Auf welche Weise haben sich ihrer Meinung nach die Reiseerfahrungen ins Werk eingeschrieben? STIEF: Für mich ist interessant, dass Ruth Baumgarte die Spannungen und Konﬂikte, die sie dort wahrgenommen hat, in Dynamismen übersetzen konnte, die sich formal im Bild manifestieren. Auch die Formen und Farben in den Ländern Ostafrikas bis hinauf in den Norden, wo sie sich bevorzugt aufhielt, bestimmen diesen Bildzyklus: die koloristische Intensität, ebenso die Farbkontraste. Es erscheinen in ihren Bildern vielfach die Komplementärfarben Rot-Grün oder es prallen unterschiedliche Rottöne aufeinander, die eigentlich überhaupt nicht zueinanderpassen. Das sind alles spannungsgeladene Forma- tionen, die eine unglaubliche Dynamik vermitteln. Es gibt auch Farbwirbel, die ein Bild mit kinetischer Energie auﬂaden. BAUMGARTE: Durch die Afrikaerfahrung war Ruth Baumgarte geradezu von der Rückkehr zur Ölbildmalerei angezogen – diese unglaubliche Strahlkraft der Farben wollte sie nicht immer nur mit dem Aquarell interpretieren. Die Größe und die Kraft, die Afrika für sie ausströmte, bedingte eben auch entsprechende künstlerische Techniken. MiessGAnG: War bei den Afrikareisen zugleich die Lichtsituation von interesse, die für eine Malerin faszinierend gewesen sein muss? Das afrikanische Licht, das sich von dem in europa doch stark unterscheidet? BAUMGARTE: Das Licht hatte im Hinblick auf ihre Kunst schon eine enorme Wirkung. Aber es ging ihr, wie in ihrem gesamten Werk, in erster Linie um den Menschen; sie hat auch viele Afrikanerinnen und Afrikaner kennengelernt, mit ihnen gesprochen und sich mit ihnen und ihrer Lebenssituation auseinandergesetzt. Dabei skizzierte sie ständig Szenen, die später häuﬁg die Grundlage für die großen Ölgemälde waren. Natürlich spielte auch ihre Wahrnehmung der Naturphänomene, des Lichts sowie der Brände, die sie erlebte, eine bedeutende Rolle. In den einzelnen Bildern verschmolzen Realität und ihre eigene Vor- stellung, ihre Vision. Sie hatte bereits sehr früh erkannt: Diese Menschen werden alle eines Tages aufbrechen, es wird eine große Fluchtbewegung geben. Dazu kam, dass die Afrikaner und Afrikanerinnen unterschiedlicher Abstammung auch untereinander häuﬁg verfeindet waren, sodass man mit internen politischen Konﬂikten rechnen musste – unabhängig von Phänomenen wie der Apartheid. MiessGAnG: ein interessanter Aspekt ist, dass Ruth Baumgarte während der Reisen in Afrika nicht gemalt, sondern nur gezeichnet und skizziert hat. Die Ölbilder entstanden dann später im Atelier in Bielefeld. STIEF: Das hat auch mit dem obersten Paradigma in ihrer malerischen Werte - hierarchie zu tun: dass sie in erster Linie eine genaue Beobachterin war, die nicht sofort expressiv und spontan alles aus sich herauspressen musste. Das, was sie sah und erlebte, dokumentierte sie mit Skizzen und Studien vor Ort, fast tagebuchartig, reiste dann zurück und verarbeitete die Ergebnisse peu à peu. Da liegt manchmal sehr viel Zeit zwischen dem 55

process, she constantly sketched scenes that later often became the basis for the large oil paintings. Certainly, her perception of natural phenomena—the light as well as the ﬁres she lived through—played a signiﬁcant role as well. e individual paintings fused reality and her own imagination, her own vision. Early on she realized that these people will all leave one day, that there will be a great migratory movement. In addi- tion, Africans from diﬀerent tribes were often enemies, so that internal political con- ﬂicts had to be expected—regardless of phenomena like apartheid. MiessGAnG: An interesting aspect is that Ruth Baumgarte did not paint during her travels in Africa, but only drew and sketched. e oil paintings were then cre- ated later in the studio in Bielefeld. STIEF: at also has to do with the highest paradigm in her painterly hierarchy of values: that she was ﬁrst and foremost a precise observer, who did not have to squeeze everything out of herself immediately, expressively, spontaneously. Baumgarte documented what she saw and experienced on site with sketches and studies, almost like a diary, then returned home and processed the results little by little. Sometimes a long period passed between the raw experience and what she subse- quently put on the canvas. is resulted in a particularly interesting form of expres- sion, because much of what is visible in these pictures is based on memories, which of course were in turn emotionally charged. It was a very impressionistic working process that she practiced in this way, one whose temporal distance logically resulted in a strong abstracting distance from what she had previously seen and experienced. BAUMGARTE: She could draw very quickly, often on small pieces of paper, on napkins, on newspapers. When we traveled together and sat somewhere for just ten minutes, or were at dinner, she immediately started drawing and portraying people—on her African expeditions too. She could capture a lot with just a few strokes. Not only in her early illustrations, but also in her paintings, she basically invented situations that were somewhere between reality and her imagination. MiessGAnG: e Africa cycle was created at a time when the debates about appropriation and expropriation, which are omnipresent today, hardly played a role. has the reception of this work complex changed over the years? BAUMGARTE: It’s important to note that until a few years ago, the represen- tation of Black people was not even present on the art market. Ruth Baumgarte was decades ahead of her time in this respect. And if one compares her paintings with art- works of reference from the current African scene, one sees that there are often great aesthetic similarities. Athi-Patra Ruga, the current award winner of the Ruth Baum- garte Foundation, has made an intensive study of the work of the white South African painter Irma Stern, which includes many portraits. Ruga is also familiar with Ruth Baumgarte and has been inﬂuenced by her work. I would say it is a great compliment to my mother that a young African artist is dealing so intensively with her work. 56

unmittelbaren Erleben und dem, was sie anschließend auf die Leinwand brachte. Daraus ent- stand eine besonders interessante Form des Ausdrucks, weil vieles, was in diesen Kunstwerken sichtbar wird, auf Erinnerungen basiert, die natürlich wiederum emotional besetzt waren. Es war ein sehr impressionistischer Arbeitsprozess, der bei ihr auf diese Weise in Gang gesetzt wurde und der durch die zeitliche Distanz logischerweise schon einen sehr starken abstrahie- renden Abstand vom Gesehenen und Erlebten zur Folge hat. BAUMGARTE: Sie konnte sehr schnell zeichnen, häuﬁg auf kleinen Zetteln, auf Servietten, auf Zeitungen. Wenn wir gemeinsame Reisen machten und irgendwo auch nur zehn Minuten saßen oder beim Essen waren, begann sie sofort zu zeichnen und Menschen zu porträtieren – natürlich auch bei ihren Afrikaexpeditionen. Sie konnte mit sehr wenigen Strichen sehr viel einfangen. Nicht nur in ihren frühen Illustrationen, sondern ebenfalls in ihren Bildern hat sie im Grunde genommen Situationen komponiert, die zwischen der Wirklichkeit und ihrer Imagination anzusiedeln waren. MiessGAnG: Der Afrika-Zyklus ist ja zu einem Zeitpunkt entstanden, als die heute omnipräsenten Appropriations- und enteignungsdebatten noch kaum eine Rolle spielten. hat sich die Rezeption dieses Werkkomplexes über die Jahre verändert? Adrinka 1994 Öl auf Karton / Oil on cardboard Privatbesitz / Private collection

STIEF: We deliberately inserted works by Athi-Patra Ruga into the mono- graphic presentation of Ruth Baumgarte’s work. This artist, born in Umtata, lives in Johannesburg and Cape Town and strives for a hybridization of forms and contents in his multimedia work. The visual language between utopia and reality spiritedly dissolves geographical boundaries, gendered attributions, and the social construc- tions of African history, as well as dogmatically deployed postcolonial knowledge. The amalgamation of diverse cultural influences infuses the concept of an art that makes uninhibited use of numerous references and does not shy away from appro- priation. I would also like to say about Ruth Baumgarte that, in my opinion, her paintings have nothing exploitative about them at all. Exploitation is not at all per- ceptible in them. Nevertheless: if someone feels that it is wrong that a white woman, who can afford to travel around the African continent, allows herself to paint people with black skin as well as countries that are not her own, then of course they can question the “Baumgarte Project” critically. Personally, I find it rather remarkable that she developed this intense interest for the continent quite independently, at a time when nobody was interested in Africa except for a few left-wing political activists. However, she did not exoticize and romanticize the motifs and themes, but, on the contrary, dealt intensively with discrimination, with apartheid, with social injustices, with the tensions—but completely without passing judgment on these issues in her pictures. She was very reserved and did not allow herself an activist atti- tude. That is why I think her work is actually situated beyond the current agitated debates. MiessGAnG: e term neo-expressionism always comes up in connection with Ruth Baumgarte’s work. at falls short in many respects, but perhaps has a certain justiﬁcation in that at one point in her career in the 1980s she was close to the zeitgeist represented by the Junge Wilde (Young Wild ones). Did that help her career-wise? BAUMGARTE: I think she certainly perceived that a revival of painting was taking place in Germany at the time through artists like Rainer Fetting and Albert Oehlen. Yet this did not exert a great inﬂuence on either her career or her art. She always stayed true to her painterly, representational style. STIEF: It is of course interesting that the Junge Wilden or Nouveaux Fauves achieved great success at the very moment when Ruth Baumgarte was able to open up a completely new visual paradigm with the Africa cycle. e absurd thing is that she spent such a large amount of time in Africa at this time. us, when her style became “fashionable,” she was, in a sense, absent. is is a conspicuous fact that one can only notice retrospectively. In this she was comparable to Maria Lassnig, in never being in the right place at the right time. Perhaps that is why it has taken so long for her work to be recognized as the pioneering achievement that it is. 58

BAUMGARTE: Man muss schon festhalten: Bis vor wenigen Jahren war die Dar stellung von schwarzen Menschen auf dem Kunstmarkt noch gar nicht präsent. Ruth Baumgarte war ihrer Zeit in dieser Hinsicht Jahrzehnte voraus. Und wenn man ihre Gemälde mit Referenzwerken aus der aktuellen afrikanischen Szene vergleicht, dann sieht man, dass es da oft große ästhetische Übereinstimmungen gibt. Athi-Patra Ruga, der aktuelle Preisträger der Ruth-Baumgarte-Stiftung, hat sich stark mit dem vor allem viele Porträts umfassenden Werk der weißen südafrikanischen Malerin Irma Stern auseinandergesetzt – und er kennt auch Ruth Baumgarte und hat sie in seinen Arbeiten rezipiert. Ich würde sagen, es ist ein großes Kompliment für meine Mutter, dass sich ein junger afrikanischer Künstler so intensiv mit ihrem Werk beschäftigt. STIEF: Wir haben in der Ausstellung der Arbeiten von Ruth Baumgarte ganz bewusst Werke von Athi-Patra Ruga eingeﬂochten. Dieser Künstler, in Umtata geboren, lebt zwischen Johannesburg und Kapstadt und strebt in seinem multimedialen Werk eine Hybridisierung von Formen und Inhalten an. Die visuelle Sprache zwischen Utopie und Realität löst geograﬁsche Grenzen, geschlechtliche Zuschreibungen und soziale Konstruk- tionen der afrikanischen Geschichte sowie eines dogmatisch eingesetzten, postkolonialen Wissens spielerisch auf. Die Amalgamierung von unterschiedlichen kulturellen Einﬂüssen wird zum Konzept einer Kunst, die sich zahlreicher Referenzen ungehemmt bedient und keine Scheu vor Aneignung aufweist. Zu Ruth Baumgarte möchte ich noch sagen, dass meiner Meinung nach ihre Bilder überhaupt nichts Exploitatives haben. Ausbeutung ist da nicht einmal ansatzweise erkennbar. Allerdings: Wenn man es als falsch empﬁndet, dass es sich eine Weiße, die den afrikanischen Kontinent bereist, erlaubt, Menschen mit schwarzer Hautfarbe und Länder, die nicht die ihren sind, malerisch darzustellen, dann kann man das »Projekt Baumgarte« natürlich kritisch hinterfragen. Ich persönlich ﬁnde es eher bemerkenswert, dass sie das große Interesse für diesen Kontinent ganz autochthon entwickelt hat – und das zu einem Zeitpunkt, als sich für Afrika außer ein paar linken politischen Aktivisten niemand interessierte. Sie hat die Motive und emen aber eben nicht exotisiert und romantisiert, sondern sich, ganz im Gegenteil, mit Diskriminierung, mit Apartheid, mit den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, den Spannungen intensiv auseinandergesetzt – allerdings ganz ohne Wertung innerhalb ihrer Bilder. Sie nahm sich sehr zurück und gestattete sich keinerlei agitatorische Attitüde. Deshalb ﬁnde ich, dass ihr Werk eigentlich jenseits der aktuellen aufgeregten Debatten angesiedelt ist. MiessGAnG: im Zusammenhang mit dem Werk von Ruth Baumgarte fällt immer gerne der Begriﬀ neoexpressionismus. Das greift in vielerlei hinsicht zu kurz, hat aber vielleicht insofern eine gewisse Berechtigung, als sie in den 1980er-Jahren einmal in ihrer Karriere dem Zeitgeist, der durch die Jungen Wilden repräsentiert wurde, nahestand. hat ihr das karrieretechnisch geholfen? BAUMGARTE: Ich glaube, dass sie durchaus wahrgenommen hat, dass damals in Deutschland durch Künstler wie Rainer Fetting oder Albert Oehlen ein Revival der Malerei stattfand. Jedoch hatte dies keinen großen Einﬂuss – weder auf ihre Karriere, noch auf ihre Kunst; sie hat ihren malerischen, gegenständlichen Duktus ja immer beibehalten. 59

MiessGAnG: Ruth Baumgarte was undoubtedly a self-conﬁdent woman who knew what she wanted and strove for independence. But can she also be called a feminist? STIEF: She was certainly not an explicit feminist, but she was a woman who did not allow herself to be forced into gender stereotypes. You have to see the emanci- patory dimension of her life plan: A white woman traveling alone through Africa for long periods of time—that was absolutely unusual at the time and testiﬁes to her courage and drive. BAUMGARTE: Ruth Baumgarte was a nonconformist to the highest degree, a very strong woman, and a personality of great presence—when she entered a room, she attracted everyone’s attention. Her life was marked by ups and downs, but her guiding principle, even in the most dangerous situations, was: “e world keeps turning, you have to look ahead and strive to accomplish everything.” is is what she repeatedly endeavored to do in her art. — 60

STIEF: Es ist natürlich schon interessant, dass ausgerechnet in dem Moment, als Ruth Baumgarte sich mit dem Afrika-Zyklus noch einmal ein völlig neues visuelles Para- digma erschließen konnte, die Jungen Wilden oder Nouveaux Fauves zu einem großen Erfolg gelangten. Das Bezeichnende ist, dass sie sich gerade zu dieser Zeit besonders viel in Afrika aufhielt. Als ihr Stil »in Mode« kam, war sie somit gewissermaßen nicht omnipräsent, obgleich sie auf dem Kunstmarkt mit wichtigen Ausstellungen in Berlin, Rom, London und New York international vertreten war. Das ist eine Auﬀälligkeit, die man erst retrospektiv bemerken kann. Sie war hierin Maria Lassnig vergleichbar, nie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Vielleicht hat es deshalb auch so lange gedauert, bis ihr Werk als jene Pionierleistung erkannt wurde, die es ist. MiessGAnG: Ruth Baumgarte war zweifellos eine selbstbewusste Frau, die wusste, was sie wollte und Unabhängigkeit anstrebte. Aber kann man sie auch als Feministin bezeichnen? STIEF: Sie war sicher keine explizite Feministin, aber eine Frau, die sich nicht in Rollenklischees drängen ließ. Man muss zudem die emanzipatorische Dimension ihres Lebensentwurfes sehen: Eine weiße Frau, die über lange Zeiträume allein durch Afrika reist – das war damals absolut ungewöhnlich und zeugt von Mut und Tatkraft. BAUMGARTE: Ruth Baumgarte war in höchstem Maße eine unangepasste, sehr starke Frau und eine Persönlichkeit mit großer Präsenz – wenn sie einen Raum betrat, zog sie die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ihr Leben war geprägt von Höhen und Tiefen, aber ihr Leitspruch, selbst in gefährlichsten Situationen, lautete: »Die Welt dreht sich immer weiter, man muss nach vorne schauen und sich bemühen, alles zu bewerkstelligen.« Das hat sie in ihrer Kunst immer wieder von Neuem versucht. — 61

D I F F E R E N Z E N U N D B E Z Ü G E : A S P E K T E I M A F R I K A - W E R K KO M P L E X R U T H B A U M G A RT E S N I N A S C H E D L M AY E R Die Frau mit dem weißen Haar stemmt die Hände in die Hüfte und legt den Kopf schief. Mit scharfem Blick beo- bachtet sie ihr Gegenüber, während sie dessen Fragen lauscht und rasch pariert. So begegnete Ruth Baumgarte einer Interviewerin in einer TV-Dokumentation des Jahres 2005. Wie sie wohl mit jenen Menschen kommunizierte, die sie auf ihren Reisen durch Afrika traf? Sie, die Gattin eines Industriellen, der ihr in den 1950er-Jahren verboten hatte, für eine politisch linke Zeitung Zeichnungen anzufertigen? 41 Mal besuchte Baum- garte den afrikanischen Kontinent – Exkursionen, auf denen ein rund 100 Arbeiten umfas- sender Werkkomplex beruht. Der karibisch-französische Philosoph Édouard Glissant schreibt über sein Konzept der »Weltbeziehung«, dass deren Denken »nicht etwa Identisches [vermengt], es unter- scheidet vielmehr zwischen Verschiedenheiten, um sie besser aufeinander abzustimmen. Das Unterschiedliche lässt jede Ausgrenzung, jeden Rassismus wegen ihrer Eindimensionalität zu Staub zerfallen. Die Verbindung in der Weltbeziehung wird zunächst über die Aufreihung der Bezüge zwischen den Diﬀerenzen hergestellt, wenn sie einander begegnen.«1 Baumgarte, die deutsche Künstlerin, versuchte als Teil dieser »Verschiedenheiten« gar nicht erst, etwas anderes als Diﬀerenz zu behaupten: Fotos zeigen sie stets in pastelligem Outﬁt zwischen bunt gekleideten Menschen. Sie suchte sich sichtlich nicht anzupassen an ihr Umfeld und ihr Gegenüber im Gespräch. Sie blieb eine andere. Doch wie positionierte sie sich in diesem Setting? Wie drücken sich ihre Begegnungen in ihrer Malerei aus? Welchen Blick hatte sie, die Weiße aus Europa – jenem Kontinent, der afrikanische Länder kolonisierte und unter- drückte –, auf Afrika? KOLONIALISMUS: »SCHLIMMER ALS DER HUNGER DER RAUBTIERE« »Ruth Baumgarte war bewusst, dass sie Teil einer weißen Gesellschaft war und aus einer anderen Welt kam«, sagt Alexander Baumgarte, ihr Sohn. »Aber sie fühlte sich nicht befremdet und verteidigte grundsätzlich die Schwachen.«2 Die vielen Skizzen, die sie vor Ort anfertigte, lassen jedenfalls einen Schluss zu: Baumgarte war eine empathische Beobachterin, erfasste Details und Stimmungen. Mit Anfang 30 bereiste die Künstlerin Ende der 1950er-Jahre erstmals den afrikani- schen Kontinent; In den 1960ern war sie für wenige Wochen in Ägypten. Diese Aufenthalte hinterließen noch kaum künstlerische Spuren. Erst eine Reise nach Südafrika einige Jahr- zehnte später sollte ihr Werk entscheidend prägen. Ab 1980 hielt sie sich häuﬁg, oft mehrere Monate jährlich, in Afrika auf, zunächst vor allem in Südafrika, anschließend zog es sie weiter, in zahlreiche andere Länder, viele davon in Ostafrika, nach Tansania, Namibia, Sambia, Botswana, Kenia, Simbabwe, Äthiopien und erneut Ägypten.3 Trotz ihrer früheren Erfahrung und ihrem Interesse an Afrika trat sie ihre ausführlichen und maßgeblichen Reisen erst zu einem Zeitpunkt an, da ihre Kinder nicht mehr versorgt werden mussten – und sie sich innerlich von ihrem Mann löste.4 Dabei wurde sie meist von jemand begleitet, häuﬁg 89

D I F F E R E N C E S A N D R E L AT I O N S H I P S : A S P E C T S O F T H E A F R I C A C O M P L E X O F WO R K S B Y R U T H B A U M G A RT E N I N A S C H E D L M AY E R e woman with the white hair and her arms akimbo tilts her head. She observes her counterpart with a penetrating gaze while she listens to the questions and deftly parries them. is is how Ruth Baumgarte encountered an inter- viewer in a television documentary in 2005. How did she communicate, then, with the people that she met during her trips to Africa? She, the wife of an industrialist, who forbade her from contributing illustrations to a leftist magazine in the 1950s? Baumgarte visited the African continent forty-one times—journeys that generated a complex of approxi- mately 100 works. e Caribbean-French philosopher Édouard Glissant, writing about his concept of “world-relation,” stated that its thinking “does not blend the identical, rather, it distinguishes between diﬀerences, in order to better reconcile them to one another. Diﬀerence allows every exclusion, every racism, to crumble into dust because of their one-dimensionality. Connec- tion in the world-relation is ﬁrst of all generated by the aligning of relationships between the diﬀerences when they encounter one another.”1 Baumgarte, the German artist, as part of these “diﬀerences,” did not even attempt to assert anything other than diﬀerence: photo- graphs always show her in pastel outﬁts amidst colorfully dressed locals. She remained the Other. Yet how did she position herself in this setting? How were her encounters expressed in her painting? How did she, the white woman from Europe—the continent that colonized and repressed African countries—look on Africa? COLONIALISM: “WORSE THAN THE HUNGER OF BEASTS OF PREY” “Ruth Baumgarte was aware that she was part of white society and came from another world,” observes her son Alexander Baumgarte. “But she did not feel alien and basically defended the weak.”2 e many sketches that she made in Africa demonstrate one conclusion at least: Baumgarte observed with great empathy; she noted details and moods. When she was in her early thirties she traveled to the African continent for the ﬁrst time, visiting Egypt for several weeks in the 1960s. ese stays, however, left very little trace on her artistic production. It was a trip to South Africa several decades later that made its decisive mark on her work. From 1980 on she often sojourned in Africa, frequently for sev- eral months a year, initially and principally in South Africa, and then later in numerous other countries, many of them in East Africa, including Tanzania, Zambia, Botswana, Kenya, Zim- babwe, Ethiopia, and once again Egypt.3 Despite her early experience and interest in Africa, she only embarked on her extensive and important trips from the time when her children no longer needed her—and after she had distanced herself mentally from her husband.4 She usu- ally traveled with a companion, often the journalist Matthew Koczek Miller.5 e visits to the continent and the artistic reﬂection of her impressions there were to occupy her into old age, until shortly before her death.6 In her travels she not only traversed signiﬁcant parts of Africa, 90

von dem Journalisten Matthew Koczek Miller.5 Die Aufenthalte auf dem Kontinent und die künstlerische Reﬂexion ihrer dortigen Eindrücke sollten sie bis ins hohe Alter, bis kurz vor ihrem Tod, beschäftigen.6 Bei ihren Reisen durchquerte sie nicht nur wesentliche Teile Afrikas, sondern »er-fuhr« gewissermaßen auch historische Umwälzungen: So befreiten sich manche Länder anfänglich gerade aus der Abhängigkeit als einstmals europäische Kolonien. Der Kampf des African National Congress (ANC) in Südafrika gegen die Apartheid sollte hingegen noch mehr als ein Jahrzehnt andauern. »Während sie reiste, befand sich auch Afrika auf seiner verschlungenen Reise«, schreibt der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure, »einer Reise, deren Ausgang niemand vorherzusagen vermag.«7 Grundsätzlich liegt, wenn eine Künstlerin, die noch dazu mit einem europäischen Industriellen verheiratet ist, in den 1980er-Jahren nach Afrika aufbricht, um dort ihre Ein- drücke festzuhalten und später in Malerei zu übersetzen, eine Reihe von Assoziationen nahe. Die Geschichte des Interesses europäischer Kunst der Moderne an afrikanischer Kultur ist keine unproblematische. So suchten einst Künstler wie Paul Gauguin, August Macke und Emil Nolde bei ihren Aufenthalten in afrikanischen Ländern oder auch der Karibik das Ursprüngliche, das Primitive, das Idyllische, exotische Sexualität – vieles davon Teil von Fan- tasien einer kolonialistischen Weltsicht, deren verheerende Auswirkungen bis heute anhalten. Gauguin meinte beim Anblick von Tahitianerinnen in diesen gar ein »gewisses Verlangen nach Vergewaltigung« zu erkennen.8 Die südafrikanische Dichterin und spätere Diplomatin Lindiwe Mabuza schrieb schließlich in einem Gedicht aus den 1970er-Jahren: es waren keine wilden Tiere, waren nicht Löwen und hyänen, die uns nach dem Leben trachteten, es waren die wilden Weißen, und sie haben nicht aus hunger gemordet, der Grund ihres Mordens war reine Proﬁtgier, und diese Gier ist schlimmer als der hunger der Raubtiere.9 Inmitten dieses damaligen Aufbegehrens gegen Kolonialismus und Apartheid konnte nie- mand mehr ernsthaft nach einem archaischen, »authentischen« Paradies auf dem soge- nannten »dunklen Kontinent« suchen. Baumgarte wusste das. Daher bilden ihre Gemälde keine rückwärtsgewandten Idyllen ab, sondern zeigen hintergründige, oft symbolisch aufgela- dene und teils düstere Szenarien in kraftvollen, manchmal psychedelisch wirkenden Farben. ZEITSPRÜNGE: »SEEING EYE« UND »REMEMBERING MIND« Es gibt eine scharfe Trennung in diesem um Afrika kreisenden Werkkomplex zwischen den Zeichnungen, Aquarellen und Skizzen einerseits und den Gemälden andererseits. Das Bemer- kenswerte ist, dass zwischen der Entstehung von Skizzen – vor Ort – und Gemälden – im Atelier – oft Monate, gar Jahre lagen.10 Die Momentaufnahmen zeigen ein narratives, 91

but also, in a sense, “experienced” historical upheavals: For example, some countries were just freeing themselves from dependence as European colonies. e struggle of the African National Congress (ANC) against apartheid in South Africa, on the other hand, was to continue for more than a decade. “While she traveled, Africa was also on its tortuous journey,” writes Zimbabwean poet Chirikure Chirikure, “a journey whose outcome no one could predict.”7 When an artist, who moreover is married to a European industrialist, sets oﬀ for Africa in the 1980s to record her impressions and later render them in her painting, then this basically triggers a number of obvious associations. e history of the interest of European modernist art in African culture is not an unproblematic one. During their sojourns in Africa or the Caribbean, artists such as Paul Gauguin, August Macke, and Emil Nolde sought the primal, the primitive, the idyllic, as well as exotic sexuality—much of which was part of the fantasies of a colonialist worldview whose devastating eﬀects continue to this day. Gauguin even believed he perceived a “certain desire for rape” when looking at Tahitian women.8 e South African poet and later diplomat Lindiwe Mabuza wrote in a poem from the 1970s: ey were not wild animals, were not lions and hyenas who hunted us, it was the wild whites, and they did not kill out of hunger. e reason for their murder was pure greed for proﬁt, and this greed is worse than the hunger of the beasts of prey.9 In the midst of this revolt at that time against colonialism and apartheid, no one could seri- ously search for an archaic, “authentic” paradise on the so-called “dark continent” anymore. Baumgarte knew this. Her paintings do not illustrate backward-looking idylls, but depict enig- matic, often symbolically charged and sometimes gloomy scenarios in powerful, occasionally psychedelic colors. TIME LEAPS: “SEEING EYE” AND “REMEMBERING MIND” ere is a sharp division in this complex of works revolving around Africa between the draw- ings, watercolors, and sketches on the one hand and the paintings on the other. It is remark- able that often months, even years, passed between the creation of sketches in situ and paintings in the studio.10 e snapshot-like sketches reveal a narrative, anecdotal, sometimes chronicling interest; some of them seem like social studies, similar to those Baumgarte made earlier of “vagrants.” e paintings, in contrast, appear elaborated, although their style changed over time.11 Since the artist did not begin creating her paintings until after she returned to her studio in Bielefeld, they consequently emerged after a certain leap of time. “rough their expressive style of painting and intense colorfulness,” writes Bianca Strauß, 92

anekdotisches, manchmal chronikalisches Interesse; manche von ihnen wirken wie Sozialstu- dien, ähnlich jenen, die Baumgarte zuvor von »Nichtsesshaften« machte. Die Malereien dagegen erscheinen elaboriert, wobei sich ihre Stilistik im Laufe der Zeit veränderte.11 Da die Künstlerin erst zurück in ihrem Atelier in Bielefeld mit der Ausarbeitung ihrer Gemälde begann, entstanden diese folglich nach einem Zeitsprung. »Durch ihre expressive Malweise und die intensive Farbigkeit«, schreibt Bianca Strauß, »wirken Baumgartes Afrika-Bilder, als ob die Künstlerin immer tiefer in ihrer Erinnerung sucht und gegen das Vergessen ankämpft, um die inneren Bilder besonders lebendig wieder hervorzurufen.«12 Wie Strauß bemerkt, lässt Baumgarte uns »teilhaben an dem Prozess des Bewahrens und Wiederauﬂebens von Eindrücken.«13 Baumgarte behielt stets ihren Hauptwohnsitz in Europa – im Gegensatz zu einigen anderen bedeutenden Künstlerinnen mit europäischen Wurzeln in Afrika: Die in Österreich geborene Susanne Wenger (1915–2009) übersiedelte nach Nigeria und wurde dort Yoruba- Priesterin. Irma Stern (1894–1966) lebte als Tochter eines deutsch-jüdischen Auswanderer- paars teilweise in Südafrika, teilweise in Deutschland. Auch im Fall von Stern spielte die Erinnerung an Erlebtes eine künstlerische Rolle. So schreibt ihre Biograﬁn Irene Below: »Die von Okwui Enwezor beschriebene Spannung zwischen ›seeing eye‹ und ›remembering mind‹, also dem aktuellen Blick und der Erinnerung an ein Anderswo, die ihn begleitet und ein- färbt, war für Irma Stern von Anfang an bestimmend.«14 Stehen bei Baumgarte die Zeich- nungen für das »seeing eye«, so entsprechen die Gemälde dem »remembering mind« – es handelt sich um Kompositionen, die sich vom Zeitgebundenen, Konkreten entfernen und hin zu stärker Allgemeingültigem streben: Sie sind fast nie konkret zu verorten und lassen selten Rückschlüsse auf die Zeit zu, in der sie entstanden sind. Zudem stehen sie kaum je in einem direkten Zusammenhang zu den Skizzen, sondern schaﬀen etwas ganz Eigenes. In ihrem Arbeitsprozess begann die Künstlerin laut ihrem Sohn stets mit dem Hintergrund der Gemälde, meist einer Landschaft, mit der sie die Figuren dann verwob. Leider hinterließ Baumgarte nur wenige Erzählungen und Berichte über ihre Reisen und ihre Kunst. Im Vorwort zu einem Ausstellungskatalog schreibt sie 1989, als sie noch min- destens eineinhalb Jahrzehnte Afrika-Erfahrungen vor sich hatte: »An jedem Tag geschieht etwas, das erschreckt, erschüttert, erfreut, wachsam macht. Begegnungen, Betrachtungen, Ereignisse – verschlüsselte Botschaften visueller Wahrnehmungen. Monate können vergehen, manchmal verstreicht ein Jahr, bevor sich aus diesem Mosaik ein Bild formt. Dann wird alles greifbar. Skizzen, Studien bilden die Basis der Darstellung. Das Eintauchen in die Erinnerung geht oft so weit, dass selbst mein Geruchsempﬁnden in das noch zu erforschende Land des neuen Bildes mit einbezogen wird.« Sie reﬂektierte also oﬀenbar selbst diesen zeitlichen und räumlichen Sprung zwischen der Beobachtung und der späteren Umsetzung ins Bild. Weiter formuliert sie: »Es ist die Zeit, die erlebte und durchlebte, die ständig dazu auﬀordert, Ent- setzen wie Entzücken hinter sich zu lassen, nicht in dem Gewohnten zu verschwinden, son- dern mit den Wahrnehmungen unseres Lebens Wege aufzubrechen.«15 Sie betont damit selbst eine gewisse Distanz zum Erlebten, die es ihr ermöglichte, auf eine andere, allgemeinere Ebene zu gelangen. Durch ihr Reisen, aber auch ihre Rückkehr und die damit verbundene Reﬂexion erfuhr sie eine Transformation. Die Reisen hätten ihr erlaubt, so Baumgarte, »aus einer Frei- heit heraus arbeiten zu können, die meinen Beobachtungen neue, innere Räume aufzeigten.«16 Im Folgenden soll diesen Räumen anhand konkreter Werke nachgespürt werden. 93

“Baumgarte’s Africa paintings seem as if the artist is searching deeper and deeper into her memory and ﬁghting against forgetting, in order to evoke the inner images in a particularly vivid way.”12 As Strauß notes, Baumgarte lets us “participate in the process of preserving and reviving impressions.”13 Baumgarte always kept her principal residence in Europe—unlike some other impor- tant women artists with European roots in Africa: Austrian-born Susanne Wenger (1915– 2009) moved to Nigeria and became a Yoruba priestess. Irma Stern (1894–1966) lived as the daughter of a German-Jewish emigrant couple partly in South Africa and partly in Germany. e memory of experiences played an artistic role in Stern’s case too. Her biographer Irene Below writes: “e tension described by Okwui Enwezor between ‘seeing eye’ and ‘remem- bering mind,’ that is, the current gaze and the memory of an elsewhere that accompanies and colors it, was determinative for Irma Stern from the beginning.”14 While Baumgarte’s draw- ings stand for the “seeing eye,” the paintings correspond to the “remembering mind”—they are compositions that move away from the time-bound, the concrete, and strive toward something more universal: they can almost never be speciﬁcally located and rarely allow con- clusions to be drawn about the moment in which they were created. Moreover, they are hardly ever directly related to the sketches, but create something entirely new of their own. According to her son, in her working process the artist always began by painting the back- ground, usually a landscape, into which she then wove the ﬁgures. Unfortunately, Baumgarte left behind only a few stories and reports about her travels and her art. In the preface to an exhibition catalog in 1989, when she still had at least a decade and a half of African experi- ences ahead of her, she wrote: “Every day something occurs that startles, shakes, delights, awakens. Encounters, observations, events—coded messages of visual perceptions. Months can pass, sometimes a year passes, before a picture coalesces from this mosaic. en every- thing becomes tangible. Sketches, studies form the basis of the depiction. e immersion in memory often goes so far that even my sense of smell is included in the yet-to-be-explored land of the new picture.” Baumgarte thus apparently reﬂected herself on this temporal and spatial leap between the observation and the later rendering into a picture. Furthermore, as she writes, “it is time, experienced and lived-through time, which constantly calls on us to leave horror as well as delight behind, not to disappear into the familiar, but to blaze new paths with perceptions from our life.”15 She accordingly emphasized a certain distance from what she had experienced, which enabled her to reach another, more universal level. rough her travels, as well as her return home, and the reﬂection that came with them, she experi- enced a transformation. According to Baumgarte, her travels allowed her “to work from a freedom that revealed new, inner spaces for my observations.”16 In the following, these spaces will be traced in speciﬁc works. SOLIDARITY, STRENGTH, SExISM e scenery appears enigmatic: A group of women, some with partially naked torsos and a child, are sitting in a landscape streaked with red earth and overcast with swaths of purplish yellow. Two of the women are facing each other, holding hands. In the foreground, another, carrying a sack, moves toward the observer, passing another woman, her left arm casually dangling with colorful bangles, who is sitting on the ground and looking deﬁantly out of the 94

SOLIDARITÄT, STÄRKE, SExISMUS Die Szenerie erscheint rätselhaft: In einer Landschaft, die von roter Erde durchzogen und von gelb-lila Schwaden überwölkt ist, sitzt eine Gruppe von Frauen mit teils nackten Oberkör- pern sowie ein Kind. Zwei der Frauen sind einander zugewandt, sie halten einander an den Händen. Im Vordergrund bewegt sich eine weitere, einen Sack tragend, in Richtung des Betrachtenden, vorbei an einer, den linken Arm mit bunten Armreifen lässig herabhängend, am Boden Sitzenden, die herausfordernd aus dem Bild blickt. Obwohl mitten in einem dra- matisch anmutenden Setting verharrend, scheinen die Protagonistinnen nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Trotz bedrohlicher Turbulenzen, die um sie herum ausbrechen, gehen die Dargestellten in dem Gemälde African Vision (1998/99; S. 120/121) weiter ihrem Tun nach – vollführen sie ein Ritual, wie Helmut Lethen vorschlägt?17 Jedenfalls sind sie gemeinsam mit etwas beschäftigt, teilen ihren Raum – und bestehen gegen den Rest der Welt. Hart arbeitenden Frauen begegnen wir in Baumgartes Werken immer wieder.18 In e Mid-Day Rest (Women Gossiping) (1991; Abb. 1) gönnen sich zwei von ihnen eine Pause. Eine blickt dabei, am Boden sitzend, die Beine ausgestreckt, über die Schulter aus dem Bild; die andere kauert locker auf der Erde. Die Farbigkeit ihrer Gewänder bildet Kontraste – eine ist in Rot-, die andere in Blautöne gekleidet. Die vielen Töpfe und Schüsseln, die um sie herumstehen, lassen ahnen, dass die Pause nur von kurzer Dauer und nicht besonders ent- spannt sein wird. Maren Bodenstein gewann den Eindruck, dass die Künstlerin »inmitten der Abb. 1 / Fig. 1 Die Mittagspause (schwatzende Frauen) / e Mid-Day Rest (Women Gossiping) 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard Kunststiftung Ruth Baumgarte

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picture. Although suspended in the middle of a dramatic setting, the ﬁgures do not seem to lose their balance. Despite the threatening turbulence erupting around them, the people in the painting African Vision (1998/99; pp. 120/121) continue to go about their business—are they performing a ritual, as Helmut Lethen suggests?17 In any case, they are busy doing some- thing together, sharing their space—and holding their own against the rest of the world. We repeatedly encounter hard-working women in Baumgarte’s works.18 In e Mid-Day Rest (Women Gossiping) (1991; ﬁg. 1) two of them take a break. One of them, sitting on the ﬂoor with her legs outstretched, looks over her shoulder out of the painting; the other crouches loosely on the ground. e colors of their robes generate contrasts—one is dressed in shades of red, the other in blue. e numerous pots and bowls standing around them imply that the break will be short-lived and not particularly relaxing. Maren Boden- stein had the impression that the artist was sitting “in the midst of the women,” and “beyond the comfort zone of a tourist,” becoming an “invisible third woman within the scene.”19 However, this is contradicted by the fact that the ﬁgure in the foreground turns her back to the observer and gazes at the observer over her shoulder, while the pots in the foreground create a barrier. ese two women share a space all their own that momentarily belongs only to them—as in the numerous communal female spaces of solidarity so often depicted by Baumgarte, in which men have no place. e two women stand for themselves. In e Water Carrier (1991; p. 123), a woman resembling a caryatid balances a vessel on her head. She forms an axis behind which yellow rays ﬂare. A man sits in the background—is he waiting for her? Traditional role distribution in the history of European art has so far had the man play the active, the woman the passive part; since Odysseus and Abb. 2 / Fig. 2 Wendung zum Licht / Turning Towards the Light 1997 Öl auf Leinwand / Oil on canvas Kunststiftung Ruth Baumgarte

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Abb. 3 / Fig. 3 Morgen ii / Morning II um / around 2004 Öl auf Leinwand / Oil on canvas Kunststiftung Ruth Baumgarte Frauen« sitze, und »jenseits der Komfortzone einer Touristin« zu einer »unsichtbaren dritten Frau innerhalb der Szene« werde.19 Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass die Protago- nistin im Vordergrund dem Betrachtenden den Rücken zuwendet und diesen über die Schulter anblickt; ebenso bilden die Töpfe dort eine Barriere. Diese beiden Frauen teilen einen ganz eigenen Raum, der momentan nur ihnen gehört – ähnlich zahlreichen von Baum- garte so häuﬁg geschaﬀenen gemeinschaftlich-solidarischen weiblichen Räumen, in denen Männer nichts verloren haben. Die Protagonistinnen stehen für sich selbst. In e Water Carrier (1991; S. 123) balanciert eine Frau, ähnlich einer Karyatide, ein Gefäß auf dem Kopf. Sie bildet eine Achse, hinter der gelbe Strahlen auﬂodern. Im Hinter- grund sitzt ein Mann – wartet er auf sie? Die traditionelle Rollenverteilung sah in der euro- päischen Kunstgeschichte bisher vor, dass der Mann den aktiven, die Frau den passiven Part spiele; seit Odysseus und Penelope ging der Mann auf Reisen, während die Frau auf ihn war- tete. Dies ist hier umgekehrt: Während die Frau arbeitet, verharrt der Mann in Wartepo- sition. Auch in zahlreichen anderen Werken Baumgartes stehen die Frauen und deren Tätigkeit – teils harte körperliche Arbeit, teils die Betreuung der Kinder, teils auch einfach die Lust am Leben – im Vordergrund: Turning Towards the Light (1997; Abb. 2) rückt eine Frau ins Bild, die ihre Arme in die Höhe streckt und ein etwas skeptisch dreinblickendes Kind auf dem Schoß hält – kein Mutter-Kind-Idyll, wie man es bis zum Überdruss aus der Kunstgeschichte kennt, sondern das Bild einer unabhängigen Person, die eben auch ein Kind dabei hat. In African Landscape i (1991; S. 112/113) ist es eine Mutter, die ein Kind auf 97

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Penelope, it was the man who went on a journey, while the woman waited for him. is is reversed here: while the woman works, the man remains in a waiting position. In numerous other works by Baumgarte, women and their activities—partly hard physical work, partly the care of children, partly simply the pleasure of life—stand in the foreground. Turning Towards the Light (1997; ﬁg. 2) focuses on a woman who stretches her arms aloft and holds a some- what skeptical-looking child on her lap—no mother-child idyll of the type familiar ad nau- seam from art history, but the image of an independent person who simply also has a child with her. In African Landscape i (1991; pp. 112/113), it is a mother with a child tied to her back; in Morning ii (2004; ﬁg. 3) it is two women balancing heavy loads on their heads across anagitated plain, with mountain formations towering behind them. Beate Reifenscheid describes this work as “the journey of women in light as an awakening and opportunity for the future of the continent.”20 On the one hand, women assume the leading role in many of Baumgarte’s images, often in the literal sense. On the other hand, she reﬂects on gender relations critically: In e Bride Price (noon siesta) (1991; ﬁg. 5), for example, there is a repoussoir ﬁgure in the fore- ground whose gaze leads the viewer into the picture. ere, sitting on the ﬂoor, is a couple. Is it the newly married couple? And is the ﬁgure in the foreground the father counting the money? Baumgarte provides no instructions, beyond the title, on how exactly to read the painting. But the title alone alludes to a problematic imbalance of the sexes. is also seems to be the case in the drawing Red Flower Africa ii (1988; ﬁg. 4): In it, red paint billows Abb. 4 / Fig. 4 Rote Blume Afrika ii / Red Flower Africa II 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Zeichenpapier / Charcoal and chalk on blue-gray drawing paper Kunststiftung Ruth Baumgarte

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Abb. 5 / Fig. 5 Der Brautpreis (Mittagsschlaf ) / e Bride Price (Noon Siesta) 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard Kunststiftung Ruth Baumgarte ihren Rücken gebunden hat, in Morning ii (2004; Abb. 3) sind es zwei Frauen, die schwere Lasten auf ihren Köpfen durch eine aufgewühlte Ebene, hinter der Bergformationen auf- ragen, balancieren – Beate Reifenscheid beschreibt dieses Werk als »den Weg von Frauen im Licht als Aufbruch und Chance für die Zukunft des Kontinents.«20 Einerseits spielen Frauen in vielen Gemälden von Baumgarte die tragende Rolle, häuﬁg im buchstäblichen Sinn. Andererseits reﬂektiert sie Geschlechterverhältnisse kritisch: In e Bride Price (noon siesta) (1991; Abb. 5) etwa steht im Vordergrund eine Repoussoir- ﬁgur, deren Blick den Betrachtenden ins Bild führt. Dort sitzt, am Boden, ein Paar. Ist es das neu vermählte Ehepaar? Und die Figur im Vordergrund der Vater, der das Geld zählt? Wie genau das Bild zu lesen ist, dafür gibt Baumgarte – jenseits des Titels – keine Anleitung. Doch alleine der erzählt von einem problematischen Ungleichgewicht der Geschlechter. Das scheint auch in der Zeichnung Rote Blume Afrika ii (1988; Abb. 4) der Fall zu sein: Darin wabert rote Farbe zwischen einem kopﬂosen weiblichen Torso und einem Mann, der in die Höhe blickt. Reifenscheid vermutet wohl zu Recht, dass hier »sexuelle Übergriﬀe oder männ- liche Dominanz gegenüber Frauen thematisiert« würden.21 Von der Hoﬀnung, die in solidarischem weiblichem Handeln liegt über die Darstel- lung physischer Kraft von Frauen bis zu den Sexismen, denen sie dennoch ausgesetzt sind: Zwar positionierte sich Baumgarte nicht dezidiert als Feministin im Sinn einer Partizipation an gesellschaftlichen Protestformen. Dessen ungeachtet besitzen diese Arbeiten einen hohen Grad an Reﬂexion von Geschlechterrollen. 99

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between a headless female torso and a man gazing upwards. Reifenscheid suspects, probably rightly, that here “sexual assault or male dominance over women” are being addressed.21 From the hope that lies in female solidarity, to the depiction of the physical strength of women, to the sexisms that they are nevertheless subject to—although Baumgarte did not position herself as a decided feminist in the sense of participating in social forms of protest, these works possess a high degree of reflection on gender roles. HARDSHIP, DESPERATION, DESTRUCTION—LANDSCAPE AS BACKDROP AND ExPRESSION Baumgarte’s art is free of escapism. Her experiences with apartheid in South Africa are also reﬂected in her painting and can be read even more directly in her sketches: In the watercolor Port elizabeth (1986; ﬁg. 6), for example, a cloaked ﬁgure stands in the foreground. Other people are visible behind this ﬁgure, one of whom throws his arms up in protest. A dark cloud hovers over him. A part of a building is suggested in the background, which could represent the central avant-corps of the town hall in Port Elizabeth, South Africa. e painting is falsely dated November 31, 1986. In March of that year, thousands had taken to the streets in the city, as throughout South Africa, to commemorate earlier massacres of demonstrators.22 Baumgarte possibly recorded another, later protest rally in this sketch. A watercolor also bears the name of a South African city in its title: Deserted estate in Pretoria (ﬁg. 7) from 1994: A predatory animal, positioned in the middle ground and ﬁlling up the space, licks its paw. Behind it, a balustrade opens up in front of an olive-green abstract back- ground; oversized fruit lies in the foreground. In 1994, when this work was created, Nelson Mandela became president of South Africa and apartheid was oﬃcially ended for good.23 Had the abandoned seat of power been in the possession of whites who were now expelled, making it free for something new, diﬀerent, liberated from oppression? e predatory cat in the foreground casts doubt on this. Baumgarte’s Africa works are not assertively critical in a political and social sense. Yet, above all, behind the drawings and sketches is a stance in which political realities do very much play a role. Paintings such as Rift Valley (1997; pp. 16/17), in which a natural disaster becomes the subject, and Wanting to Build a house (1994; pp. 124/125), tell of the diﬃcult living con- ditions, especially in the rural regions of the continent. In the latter painting, a man drags a bundle of scrawny branches through a troubled, inhospitable landscape; the hardship of his intention to build a house is almost physically palpable. In a triptych (even the elephant’s Death Will occur on a single Day, Turn of the Fire, The stream of Time, 1995–97; pp. 18/19), vultures circle against a poisonous yellow landscape in the left painting, while eagles perch atop rock formations in the right, and women carry brushwood and labor in the center— possibly also a reference to South Africa’s bloody history. According to Reifenscheid, the trip- tych depicts South Africa “along the edge of doom. e two wing panels, with vultures (left) and eagles (right), seem to embody the two antipodes of death and life.”24 Although this interpretation is not clearly veriﬁable, the impression of latent danger to women’s lives remains palpable. 100

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MÜHSAL, VERZWEIFLUNG, ZERSTÖRUNG – LANDSCHAFT ALS KULISSE UND AUSDRUCK Baumgartes Kunst ist frei von Eskapismus. Ihre Erfahrungen mit dem ema Apartheid in Südafrika schlugen sich auch in ihrer Malerei nieder und sind noch direkter in ihren Skizzen ablesbar: In dem Aquarell Port elizabeth (1986; Abb. 6) etwa steht eine verhüllte Figur im Vordergrund. Dahinter sind weitere Menschen zu sehen, von denen einer die Arme protestie- rend in die Höhe wirft. Eine dunkle Wolke schwebt über ihm. Im Hintergrund ist ein Gebäudeteil angedeutet, das den Mittelrisalit des Rathauses im südafrikanischen Port Elizabeth darstellen könnte. Das Bild ist fälschlich auf den 31. November 1986 datiert. Bereits im März desselben Jahres waren in der Stadt, wie in ganz Südafrika, Tausende auf die Straße gegangen, um vorhergehender Massaker an Demonstrierenden zu gedenken.22 Möglicherweise ﬁxierte Baumgarte mit dieser Skizze eine andere, spätere Protestkundgebung. Ein Aquarell trägt ebenfalls den Namen einer südafrikanischen Stadt im Titel: Deserted estate in Pretoria (Abb. 7) von 1994: Ein Raubtier, raumeinnehmend im Mittelgrund positioniert, schleckt seine Pfote ab. Dahinter öﬀnet sich ein Balustradengang vor olivgrünem abstraktem Hintergrund, im Vordergrund liegen überdimensionierte Früchte. 1994, als diese Arbeit entstand, war das Jahr, in dem Nelson Mandela Präsident von Südafrika wurde und die Apartheid oﬃziell endgültig beendet war.23 War der verlassene Herrschaftssitz im Besitz nun vertriebener Weißer gewesen, wodurch er frei für Neues, Anderes, von Unterdrückung Befreites wurde? Die Raubkatze im Vordergrund lässt Zweifel daran zu. Baumgartes Afrika-Werke sind nicht oﬀensiv politisch-sozialkritisch. Doch vor allem hinter den Zeichnungen und Skizzen steht eine Haltung, in der politische Realitäten sehr wohl eine Rolle spielen. Abb. 6 / Fig. 6 Port Elizabeth (Afrikanische Studie / Ohne Titel) / Port elizabeth (African study / Untitled) 1986 Aquarell und Bleistift auf Papier / Watercolor and pencil on paper Kunststiftung Ruth Baumgarte

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Abb. 7 / Fig. 7 Verlassenes Anwesen in Pretoria / Deserted Estate in Pretoria 1994 Kreide über Aquarell auf Karton / Chalk over watercolor on cardboard Kunststiftung Ruth Baumgarte In many cases, landscape serves as a signiﬁer, as an expression of threat; landscape is its animated echo—almost as in Old Masters such as Lucas Cranach the Elder, in whose paintings trees assume menacing ﬁgures and clouds in the sky announce disaster. e Zim- babwean poet Chirikure Chirikure writes in connection with Baumgarte’s work: “e land- scape … is not a miracle of nature that is there for the sake of its own existence; it is part of a whole mesh of mutually interconnected facets of life. Because of this reality, I ﬁnd it diﬃcult to spend hours admiring the landscape without placing everything around it in an appro- priate context.”25 Baumgarte counters the superﬁcial tourist view of the radiant plains and mountain landscapes in intense colors so readily conjured up in travel catalogs with a land- scape that is a backdrop, but also an expression of threat and oppression. “PAST, PRESENT, AND THE OUTLINES OF THE FUTURE” Many of Baumgarte’s works bear titles in which the word “Africa” appears: African Landscape i, e African, or African Vision for example. What does this mean? By bestowing these titles on her paintings, does the artist not run the risk of an over generalization? e European view of Africa is usually not very diﬀerentiated.26 e art world is no exception. e Parisian curator Simon Njami, for example, who has curated many presenta- tions on African art, was once asked whether he spoke “African,” and was wrongly criticized for showing artworks from Egypt, Morocco, and Algeria in an exhibition about Africa—by people who had actually never heard that these countries are part of the continent. At his 102

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Gemälde wie etwa Rift Valley (1997; S. 16/17), in dem eine Naturkatastrophe zum Gegenstand wird, und Wanting to Build a house (1994; S. 124/125) erzählen von den schwierigen Lebensbedingungen, vor allem in den ländlichen Regionen des Kontinents; in letztgenanntem Werk schleppt ein Mann ein Bündel dürrer Äste durch eine aufgewühlte, unwirtliche Landschaft; die Mühsal seines Vorhabens, ein Haus zu bauen, ist fast physisch spürbar. In dem Triptychon (even the elephant’s Death Will occur on a single Day, Turn of the Fire, e stream of Time, 1995–97; S. 18/19) kreisen auf dem linken Gemälde Geier vor einer giftig gelben Landschaft, während auf dem rechten Bild Adler auf Felsformationen thronen und in der Mitte Frauen Reisig tragen und arbeiten – auch das möglicherweise ein Verweis auf die blutige Geschichte Südafrikas. Laut Reifenscheid zeichnet das Triptychon Südafrika »entlang des Untergangs. Die beiden Flügeltafeln scheinen mit Geiern (links) und Adlern (rechts) die beiden Antipoden Tod und Leben zu verkörpern.«24 Auch wenn diese Interpretation nicht eindeutig belegbar ist, so bleibt der Eindruck einer latenten Gefahr für das Leben der Frauen. Die Landschaft dient in vielen Fällen als Bedeutungsträger, als Ausdruck der Bedro- hung, sie ist ihr belebtes Echo – fast wie bei Alten Meistern wie Lucas Cranach d. Ä., in dessen Gemälde sich Bäume zu bedrohlichen Gestalten formieren und Wolken am Himmel Unheil ankündigen. Der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure schreibt in Zusammen- hang mit Baumgartes Werk: »Die Landschaft … ist kein Wunder der Natur, das um seiner eigenen Existenz willen da ist, sie ist Teil eines ganzen Geﬂechts wechselseitig miteinander verbundener Facetten des Lebens. Aufgrund dieser Wirklichkeit fällt es mir schwer, stunden- lang die Landschaft zu bewundern, ohne alles darum herum in einen entsprechenden Zusam- menhang zu stellen.«25 Dem oberﬂächlichen touristischen Blick auf die glühenden Ebenen und Berglandschaften in intensiven Farben, der in Reisekatalogen so gern beschworen wird, setzt Baumgarte eine Landschaft entgegen, die Kulisse, aber auch Ausdruck von Bedrohung und Unterdrückung ist. »VERGANGENHEIT, GEGENWART UND DIE UMRISSE DER ZUKUNFT« Viele Werke Baumgartes tragen Titel, in denen das Wort »Afrika« vorkommt: African Land- scape i, e African, African Vision beispielsweise. Was bedeutet das? Läuft die Künstlerin, indem sie ihren Gemälden diese Titel zuschreibt, nicht Gefahr einer großen Verallgemeinerung? Der europäische Blick auf Afrika ist zumeist wenig diﬀerenziert.26 Dabei macht auch der Kunstbetrieb keine Ausnahme. Der Pariser Ausstellungsmacher Simon Njami etwa, der viele Präsentationen zu afrikanischer Kunst kuratierte, wurde einmal gefragt, ob er »Afrika- nisch« spreche, und fälschlich dafür kritisiert, dass er in einer Ausstellung über Afrika Posi- tionen aus Ägypten, Marokko oder Algerien zeigte – von Menschen, die tatsächlich noch nie davon gehört hatten, dass diese Länder Teil des Kontinents sind. Bei seiner Ausstellung ethnicolor 1987 in Paris zeigte Njami absichtlich farbenfrohe Kunst von europäischen und minimalistische Werke von afrikanischen Kunstschaﬀenden, um einem vorurteilsbeladenen Publikum seine eigenen Kategorisierungen vor Augen zu führen und dessen Erwartungen zu unterlaufen.27 Wovon spricht man, wenn man von »Afrika« spricht? In seinem Buch Afrotopia plädiert der senegalesische Philosoph Felwine Sarr dafür, dass Afrika sich auf seine eigenen 103

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Abb. 8 / Fig. 8 Afrika VII / Africa Vii 1987 Aquarell auf Papier / Watercolor on paper Privatbesitz / Private Collection 1987 exhibition ethnicolor in Paris, Njami intentionally showed colorful art by European artists and minimalist works by African artists in order to demonstrate to a biased audience its own categorizations and to subvert its expectations.27 What are we talking about when we talk about “Africa”? In his book Afrotopia, the Senegalese philosopher Felwine Sarr argues that Africa should reﬂect on its own qualities instead of letting Europe dictate them. Despite its diversity, writes Sarr, African nations “share the same fate. ey face the same historical challenges, they have the same recent history, but above all, they are united in the project of an Africa that should once again rule over itself, become its own guiding star.”28 As overgeneralizing as the “Africa” in the titles of Baumgarte’s paintings may seem at ﬁrst glance, they can be read in the context of the “joint destiny” of African countries cited by Sarr. is includes not only the past, but also the future. “Walking through an African city like Lagos, Abidjan, Cairo, or Dakar is ﬁrst and foremost a sensory and cognitive experience. e rhythm of the city grips you instantly. Vitality, creativity, and energy roar through the streets; chaos and order contest each other’s space; past, present, and the outlines of the future coexist next to each other. One instinc- tively feels how useless, abstract, and limited are the indicators and wealth rankings based on the annually-generated creation of value (gross national product).”29 104

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Qualitäten besinnen solle, anstatt sich diese von Europa diktieren zu lassen. Trotz seiner Vielfalt teilten, so Sarr, die afrikanischen Nationen »dasselbe Schicksal. Sie stehen vor denselben historischen Herausforderungen, haben dieselbe jüngere Geschichte, sind vor allem aber auch in dem Projekt eines Afrika geeint, das wieder über sich selbst herrschen, sein eigener Leitstern werden soll.«28 So verallgemeinernd das »Afrika« in den Titeln von Baumgartes Bildern zunächst erscheint, so lässt es sich in Zusammenhang mit dem von Sarr angeführten »gemeinsamen Schicksal« afrikanischer Länder lesen. Dieses beinhaltet nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft. »Durch eine afrikanische Stadt wie Lagos, Abidjan, Kairo oder Dakar zu gehen, ist in erster Linie ein sinnliches und kognitives Erlebnis. Der Rhythmus der Stadt erfasst einen augenblicklich. Vitalität, Kreativität und Energie tosen durch die Straßen, Chaos und Ordnung machen einander den Raum streitig; Vergangenheit, Gegenwart und die Umrisse der Zukunft existieren nebeneinander. Man spürt instinktiv, wie nutzlos, abstrakt und begrenzt die auf der jährlich erzeugten Wertschöpfung (dem Brutto - sozialprodukt) beruhenden Indikatoren und Wohlstandsrankings sind.«29 Die oﬀene Bezeichnung, mit denen Baumgarte viele ihrer Gemälde versieht, enthebt diese aus Zeit und Raum. Sie besitzen keinen narrativen, sondern eher symbolisch-metapho- rischen Charakter. Wenn Baumgarte ihre verzweifelnden Protagonistinnen und Protagonisten und brennenden Landschaften malt, dann können sie mit dem assoziiert werden, was Glissant in den 1990er-Jahren – jener Zeit, in der Baumgarte Afrika bereiste – mit »Mondialisation«, also »Globalisierung« umschrieb: »Was Globalisierung genannt wird, ist die Angleichung auf niedrigstem Niveau, die Herrschaft der multinationalen Konzerne, der Standardisierung und der ungeregelte Liberalismus auf den Märkten der Welt, doch für mich stellt sie nur die Kehrseite einer wunderbaren Realität dar, die ich Globalität nenne.«30 Diese Globalität, also die mondialité, ist für ihn »das nie gekannte Abenteuer, das wir in unserer Zeit alle leben dürfen, in einer Welt, die sich erstmals wirklich auf unvermittelte und unmittelbare, bahnbrechende Weise selbst wahrnimmt als vielfältig und eins und aufs engste verknüpft.«31 »Mondialisation« und mondialité: In Baumgartes Werken drückt sich sowohl das eine als auch das andere aus. — 105

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e open designation with which Baumgarte provides many of her paintings detaches them from time and space. ey do not possess a narrative character, but rather a symbolic-metaphorical one. When Baumgarte paints her despairing ﬁgures and burning landscapes, they can be associated with what Glissant described in the 1990s—the period when Baumgarte traveled Africa—as “mondialisation,” that is, “globalization”: “What is called globalization is approximation at the lowest level, the domination of multinational corpora- tions, of standardization, and of unregulated liberalism on the world’s markets, but for me it represents only the reverse of a wonderful reality that I call globality.”30 is globality, that is, this mondialité, is for him “the unprecedented adventure that we are all privileged to live in our time, in a world that for the ﬁrst time truly perceives itself in an unmediated and immediate, groundbreaking way as diverse and as one and as intimately connected.”31 “Mondialisation” and mondialité: Baumgarte’s works express both the one and the other. — 106

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1) Édouard Glissant, Philosophie der Weltbezie- hung: Poesie der Weite, Heidelberg 2019, S. 60. 2) Alexander Baumgarte im Gespräch mit der Autorin, 22.6.2022. 3) Beate Reifenscheid, Ruth Baumgarte – Annä- herung an den fremden Kontinent, in: Ruth Baum- garte – Turn of the Fire, hg. von Beate Reifenscheid (Ausst.-Kat. Ludwig Museum Koblenz), Mün- chen/London/New York 2017, S. 21. 4) Nachricht von Alexander Baumgarte, 18.7.2022. 5) Email von Wiebke Steinmetz, Leiterin der Kunststiftung Ruth Baumgarte, an die Autorin, 22.6.2022. 6) Reifenscheid 2017 (wie Anm. 3), S. 26. 7) Chirikure Chirikure, Ruth Baumgarte – eine Reaktion auf ihre Gemälde. Ein Kontinent und so viele Aspekte, in: Ausst.-Kat. Koblenz 2017 (wie Anm. 3), S. 38. 8) Klaus von Beyme, Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, Paderborn 2019, S. 141. 9) ANC (Hg.), Malibongwe. Freiheitsgedichte südafrikanischer Frauen nach Soweto, Dortmund 1980, S. 128. Ein weiterer Text der Dichterin ist ebenfalls abgedruckt in Ausst.-Kat. Koblenz 2017 (wie Anm. 3), S. 40f. 10) Alexander Baumgarte im Gespräch mit der Autorin, 22.6.2022. 11) Zur stilistischen Entwicklung der Afrika- Werke von Baumgarte siehe Reifenscheid 2017 (wie Anm. 3). 12) Bianca Strauß, Zwischen Erinnern und Ver- gessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte, in: Ruth Baum- garte. Vision Afrika: Turn of the Fire, hg. von Peter Joch (Ausst.-Kat. Städtisches Museum Braun- schweig), Petersberg 2019, S. 18. 13) Ebd., S. 20. 14) Zitiert nach URL: <https://fembio.org/ biographie.php/frau/biographie/irma-stern> [Zugriﬀ am 23.6.2022]. 15) Ruth Baumgarte über ihre Arbeit, in: Ruth Baumgarte. Retrospektive 1942–1989, Bilder und Zeichnungen, hg. von Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld 1989, S. 5. 16) Ebd. 17) Helmut Lethen, Ruth Baumgarte im Strom der Zeitgeschichte, in: Ruth Baumgarte. Werkver- zeichnis / Catalogue Raisonné, München 2022, Bd. I, S. 37. 18) Laut Alexander Baumgarte, im Gespräch mit der Autorin am 22.6.2022, betonte die Künstlerin gerne, »wie sehr die Last der Arbeit auf dem Rücken der Frauen lag.« 19) Maren Bodenstein, Über das Erwidern von Ruth Baumgartes Blick, in: Ausst.-Kat. Koblenz 2017 (wie Anm. 3 ), S. 31. 20) Beate Reifenscheid, Ruth Baumgarte und ihr Blick auf den afrikanischen Kontinent, in: Baum- garte 2022 (wie Anm. 17), Bd. I, S. 106. 21) Ebd., S. 100. 22) URL: <https://www.washingtonpost.com/ archive/politics/1986/03/22/south-african-blacks- honor-protesters-killed-by-white-police/fc4518f9- 08b8-4ef3-bd9c-a76334120ebf/> [Zugriﬀ am 5.7.2022]. 23) URL: <https://www.sahistory.org.za/article/ nelson-mandela-presidency-1994-1999> [Zugriﬀ am 5.7.2022]. 24) Reifenscheid 2017 (wie Anm. 3), S. 25. 25) Chirikure 2017 (wie Anm. 7), S. 35. 26) Einen peinlichen Höhepunkt der jüngeren Zeit lieferte die frühere österreichische Wirtschafts- ministerin Margarete Schramböck, die Afrika als »Land« bezeichnete und sich nach Kritik daran zu allem Überﬂuss noch »bei allen Geografen« statt bei der Bevölkerung Afrikas entschuldigte. Vgl. URL: <www.fr.de/politik/oesterreich-wirt- schaftsministerin-oevp-schramboeck-afrika-land- bezeichnete-twitter-laestert-91350184.html> [Zugriﬀ am 7.7.2022]. 27) Heinz-Norbert Jocks im Interview mit Simon Njami, »Die Welt, in der wir leben, kann sich nicht erlauben, nichts über Afrika zu wissen«, in: Kunst- forum International, Bd. 269, August – September 2020, S. 122. 28) Felwine Sarr, Afrotopia, Berlin 2019, S. 27. 29) Ebd, S. 19. 30) Édouard Glissant, Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit, Heidelberg 2005, S. 78. 31) Ebd. 107

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1) Édouard Glissant, Philosophie der Weltbe - ziehung: Poesie der Weite, Heidelberg 2019, p. 60. 2) Alexander Baumgarte in an interview with the author, June 22, 2022. 3) Beate Reifenscheid, “Ruth Baumgarte – Annäherung an den fremden Kontinent,” in Ruth Baumgarte – Turn of the Fire, ed. Beate Reifenscheid (exh. cat. Ludwig Museum Koblenz), Munich/London/New York 2017, p. 21. 4) Information provided by Alexander Baumgarte, July 18, 2022. 5) Email from Wiebke Steinmetz, head of the Kunststiftung Ruth Baumgarte Foundation, to the author, June 22, 2022. 6) Reifenscheid, “Ruth Baumgarte – Annäherung” (see note 3), p. 26. 7) Chirikure Chirikure, “Ruth Baumgarte – eine Reaktion auf ihre Gemälde. Ein Kontinent und so viele Aspekte,” in Ruth Baumgarte – Turn of the Fire (see note 3), p. 38. 8) Klaus von Beyme, Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, Paderborn 2019, p. 141. 9) ANC (ed.), Malibongwe. Freiheitsgedichte südafrikanischer Frauen nach Soweto, Dortmund 1980, p. 128. A further text by the poet is reprinted in Ruth Baumgarte – Turn of the Fire, p. 40ﬀ. 10) Alexander Baumgarte in an interview with the author, June 22, 2022. 11) On the stylistic development of the Africa works by Ruth Baumgarte, see Reifenscheid, “Ruth Baumgarte – Annäherung” (see note 3). 12) Bianca Strauß, “Zwischen Erinnern und Vergessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte,” in Ruth Baumgarte. Vision Afrika: Turn of the Fire, ed. Peter Joch (exh. cat. Städtisches Museum Braunschweig), Petersberg 2019, p.18. 13) Ibid., p. 20. 14) Quoted in URL: <https://fembio.org/ biographie.php/frau/biographie/irma-stern> (accessed on June 23, 2022). 15) “Ruth Baumgarte über ihre Arbeit,” in Ruth Baumgarte. Retrospektive 1942–1989, Bilder und Zeichnungen, ed. Samuelis Baumgarte Galerie (Bielefeld: 1989), p. 5. 16) Ibid. 17) Helmut Lethen, “Ruth Baumgarte im Strom der Zeitgeschichte,” in Ruth Baumgarte. Werkverzeichnis / Catalogue Raisonné, Munich 2022, vol. 1, p. 36. 18) According to Alexander Baumgarte, in an interview with the author, June 22, 2022, the artist liked to emphasize “how much the burden of work weighed on the backs of women.” 19) Maren Bodenstein, “Über das Erwidern von Ruth Baumgartes Blick,” in Ruth Baumgarte – Turn of the Fire (see note 3), p. 31. 20) Beate Reifenscheid, “Ruth Baumgarte und ihr Blick auf den afrikanischen Kontinent,” in Baumgarte, Werkverzeichnis / Catalogue Raisonné, vol. 1, p. 109. 21) Ibid., p. 101. 22) URL: < https://www.washingtonpost.com/ archive/politics/1986/03/22/south-african- blacks-honor-protesters-killed-by-white- police/fc4518f9-08b8-4ef3-bd9c-a76334120ebf/> [accessed on July 7, 2022]. 23) URL: <https://www.sahistory.org.za/article/ nelson-mandela-presidency-1994-1999> [accessed on July 7, 2022]. 24) Reifenscheid, “Ruth Baumgarte – Annäherung” (see note 3), p. 25. 25) Chirikure, “Ruth Baumgarte – eine Reaktion” (see note 7), p. 35. 26) An embarrassing recent highpoint was supplied by the former Austrian Minister of the Economy Margarete Schramböck, who referred to Africa as a “country,” and after being criticized for that apologized to “all the geographers,” instead of to Africa’s inhabitants. See URL: <www.fr.de/ politik/oesterreich-wirtschaftsministerin-oevp- schramboeck-afrika-land-bezeichnete-twitter-laes- tert-91350184.html> [accessed on July 7, 2022]. 27) Heinz-Norbert Jocks in an interview with Simon Njami, “Die Welt, in der wir leben, kann sich nicht erlauben, nichts über Afrika zu wissen,” in Kunstforum International, no. 269 (August – September), 2020, p. 122. 28) Felwine Sarr, Afrotopia, Berlin 2019, p. 27. 29) Ibid., p. 19. 30) Édouard Glissant, Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit, Heidelberg 2005, p. 78. 31) Ibid. 108

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B I N I C H E T WA K E I N E F R A U ? * E I N P E R S Ö N L I C H E R B L I C K A U F R U T H B A U M G A RT E , A F R I K A U N D AT H I - PAT R A R U G A R E N É E G A D S D E N ihr mögt mich in den übelsten Dreck treten, ich werde, wie staub, dennoch aufwirbeln.1 – Maya Angelou Ruth Baumgarte war eine komplexe, faszinierende Frau. Sie kam 1923 im bayerischen Coburg zur Welt, als die Weimarer Republik erste Schritte in Richtung Demokratie unter- nahm und allmählich die Verwüstungen des Ersten Weltkriegs, den Untergang des deutschen Kaiserreichs und die rigiden Vorstellungen des alten Regimes hinter sich ließ. Kurz nach ihrer Geburt übersiedelten ihre Eltern in die Hauptstadt, trennten sich jedoch bald darauf, sodass Ruth bei ihrer Mutter in Berlin-Karlshorst aufwuchs. Beide Eltern waren künstlerisch tätig (ihr Vater als eaterdirektor und späterer UFA-Produktionschef, ihre Mutter als Schauspie- lerin), und sie erkannten die Begabung ihrer Tochter bereits in jungen Jahren. Trotz der frühen Trennung kümmerten sich beide Elternteile um sie und förderten ihre künstlerische Entwicklung. Ihre prägenden Jahre standen im Zeichen der »Goldenen Zwanziger«, die Deutschland ein Klima relativer wirtschaftlicher Stabilität und eine allmählich ﬂorierende Unterhaltungsindustrie bescherten. Ob eater, Film, Malerei, Ballett oder Musik – Berlin war die kreative Hauptstadt Kontinentaleuropas. Baumgarte wurde als sensibler Mensch und aufmerksame Beobachterin mit all diesen Einﬂüssen konfrontiert. Doch das »goldene« Zeitalter der deutschen Gesellschaft und Kunst währte nicht lange und das sich wandelnde politische Klima mit den schrecklichen Geschehnissen, die sich in den 1930er-Jahren abzeichneten und in den 1940er-Jahren in die Gräuel des Zweiten Weltkriegs mündeten, spiegelt sich in Ruth Baumgartes Leben und Kunst. Sie nahm zunächst wahr, dass die Tänzerin Josephine Baker als Schönheit, als »Kulturgut« und Bot- schafterin gefeiert wurde, wurde aber wenig später Zeugin, wie Hitler bei den Olympischen Spielen 1936 dem Goldmedaillengewinner Jesse Owens den Handschlag verweigerte. Wie ihr Sohn Alexander Baumgarte berichtete, musste seine Mutter als junges Mädchen am Rande der Olympischen Spiele bei Gymnastikvorführungen mitwirken, die sie verabscheute. Der Aufstieg des Faschismus und der Terror, die Diskriminierungen, Verschleppungen, Zerstö- rungen und Morde dieser Jahre gingen an der jungen Frau nicht spurlos vorüber. Als auf- merksame Künstlerin reagierte sie mit Zeichnungen wie Zigeuner 2 im Regen (1943), die sie nach Einschätzung der Kuratorin Sandra Mühlenberend in große Gefahr gebracht hätten, wären sie an die Öﬀentlichkeit gelangt. In den Kriegsjahren wurde die Lage immer verzweifelter. Von klein auf fühlte Baum- garte sich verpﬂichtet, ihre alleinerziehende Mutter zu beschützen, und setzte ihre Begabung 133

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A I N ’ T I A WO M A N ? * A B R I E F P E R S O N A L L O O K AT R U T H B A U M G A RT E , A F R I C A , A N D AT H I - PAT R A R U G A R E N E É G A D S D E N You may trod me in the very dirt But still, like dust, i’ll rise. 1 – Maya Angelou Ruth Baumgarte was a complex and fascinating woman. She was born in 1923 in the south of Germany (Coburg, Bavaria) as the German Republic (Weimar Republic) made its ﬁrst steps into democracy and away from the devastation of World War I, the demise of the empire, and the rigid ideas of the old regime. Her parents moved soon with her to the capital city, and also separated. Baumgarte grew up with her mother in the Karlshorst district of Berlin. Her parents were both in the arts (father a ﬁlm director and producer, mother an actress), and her artistic talent was recognized very quickly. Although her parents had sepa- rated when she was still young, both cared for her and encouraged her development as an artist. e atmosphere of the “Golden Twenties” inﬂuenced her formative years, when a cer- tain economic stability had been achieved, and the entertainment industry in Germany began to ﬂourish. eater, ﬁlm, painting, dance, music—Berlin was the creative capital of continental Europe. Baumgarte was exposed to these inﬂuences. She was a sensitive person and a keen observer. is “golden” phase in German society and in the arts did not last long, and the shifting political climate with the encroaching horrors of the 1930s that culminated in the atrocities of the Second World War in the 1940s are reﬂected in Baum- garte’s life and art. She went from being aware of the beauty of the dancer Josephine Baker, and how Baker was seen as a cultural asset and ambassador, to witnessing the 1936 Olympics, where Jesse Owens’ gold-medal-winning athletic feats resulted in Adolf Hitler refusing to shake his hand. According to her son Alexander Baumgarte, the young Ruth had to partici- pate in group gymnastic demonstrations during the Olympic Games, an activity that she found highly distasteful. e rise of fascism, the terror, discrimination, kidnapping, destruc- tion, and murder that unfolded during these years did not go unnoticed by the young artist. She reacted as an observant artist could, making illustrations such as Gypsies2 in the Rain (Zigeuner im Regen, 1943) which curator Sandra Mühlenberend says would have placed Baumgarte into grave danger had they become publicly known. e war years became increasingly desperate. Raised by her mother, Baumgarte felt from an early age a responsibility to protect her, and used her skills as an artist and illustrator to feed them as times became diﬃcult. e situation continued to worsen. When Baumgarte’s 134

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Die amerikanische Sängerin und Tänzerin Josephine Baker (1906–1975) bei einer Auﬀührung in Paris, um 1960 / e American singer and dancer Josephine Baker (1906–1975) during a performance in Paris, around 1960 als Künstlerin und Illustratorin ein, um sie beide in jenen schwierigen Zeiten über Wasser zu halten. Doch die Situation verschlimmerte sich weiter. Als ihr erster Ehemann Eduard Busse erfuhr, dass die Sowjetarmee vor den Toren Berlins stand, schrieb er seiner Frau, bevor sie den Russen in die Hände falle, solle sie sich besser umbringen. In einem unterirdischen Bunker vor Luftangriﬀen und Straßenkämpfen versteckt, versuchten Ruth und ihre Mutter tatsäch- lich, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Wolltet ihr mich gebrochen sehen? Mit hängendem Kopf, Augen niedergeschlagen? Mit wie Tränen fallenden schultern, schwach von schwermütigen Klagen.3 – Maya Angelou Da sie sich in Berlin nicht mehr sicher fühlten, zog Baumgarte mit ihrer Mutter nach Bielefeld zu ihren Schwiegereltern, doch der ersehnte Schutz wurde ihnen verwehrt; die Familie ihres Mannes behandelte sie schlecht. Nach Busses Rückkehr von der Front verließ sie ihn 1946, obwohl schwanger. Baumgarte ließ sich scheiden und ordnete ihr Leben neu. Ihre solide künstlerische Ausbildung in Berlin kam ihr nun zugute, um sich und ihre Familie von ihren Einkünften ernähren zu können. Sie hatte am eigenen Leib erfahren, wie ihre Mutter die Kraft aufgebracht hatte, sie allein großzuziehen. 135

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ﬁrst husband Eduard Busse learned that Soviet troops were on the march to Berlin, he wrote to his wife encouraging her to kill herself rather than fall into their hands. Hiding from the aerial bombardments and the ﬁghting on the streets, Ruth Baumgarte and her mother actu- ally did slice their wrists in an attempt at suicide while hiding in an underground bunker. Did you want to see me broken? Bowed head and lowered eyes? shoulders falling down like teardrops, Weakened by my soulful cries? 3 – Maya Angelou No longer feeling safe in Berlin, Baumgarte and her mother went to her parents-in-law in Bielefeld for respite, which they did not receive. ey were treated badly by her husband’s family. After his return from the front, and despite being pregnant, Ruth Baumgarte left the marriage in 1946, divorced and started her life anew. Her excellent art training in Berlin was now used to generate an income to support herself and her loved ones. Baumgarte had experienced ﬁrsthand how her mother had had the strength to be a single parent. Baumgarte also witnessed the generation of post-World War I women who were active in the job market and public life as had never been seen before. Seemingly innumer- able were single mothers raising and supporting families in a way not hitherto experienced in the modern era, because of the death of myriad young men who left their lives across the bat- tleﬁelds of Europe—the Marne, Verdun, the Somme, Ypres, and many more. e German army suﬀered the highest number of military losses of the First World War, more than two million (primarily men) and over 700,000 civilians. e “missing men” demographic shift had a profound eﬀect on the lives and roles of women. Ruth Baumgarte was socialized in a time of great upheaval on many fronts. i am woman, hear me roar in numbers too big to ignore And i know too much to go back and pretend 4 – Helen Reddy Ruth Baumgarte’s artistic skill was the navigating force of her life. Her portrait of Hans Baumgarte’s sons was the catalyst that led to their developing a relationship and eventually marrying. Ruth brought with her a son (omas Busse) from her ﬁrst marriage; she had a daughter and son (Janine and Alexander) with Hans; and his two sons (Ernst-August and Hans-Hermann) from his ﬁrst marriage completed their highly dynamic family. Such a family construction was unusual in those conservative times. Baumgarte experienced directly, or through her family’s memories, the major part of the twentieth century, where women’s rights in the Western world made their most signiﬁ- cant advances in the modern era. At the same time, Ruth Baumgarte was witness to the rad- ical social upheavals in Europe and in Africa: the aftermath of the collapse of the German Empire, the rise of the fascist state, the Second World War, the creation of the Eastern bloc, the Cold War, Germany’s “economic miracle”, the end of colonial empires, the emergence of 136

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Baumgarte erlebte auch eine Generation von Frauen nach dem Ersten Weltkrieg, die auf dem Arbeitsmarkt und im öﬀentlichen Leben aktiv war wie nie zuvor. Ein Novum in der Neuzeit, mussten schier unzählige alleinerziehende Mütter ihre Familien ganz auf sich gestellt versorgen, weil zahllose junge Männer auf den Schlachtfeldern Europas an der Marne, vor Verdun, an der Somme, in Ypern oder an vielen anderen Orten gefallen waren. Mit über zwei Millionen vorwiegend männlichen Toten erlitten die deutschen Truppen im Ersten Weltkrieg die höchsten militärischen Verluste; hinzu kamen über 700 000 gefallene Zivilisten. Die demograﬁsche Verschiebung durch das Fehlen zahlreicher Männer hatte tiefgreifende Aus - wirkungen auf das Leben und die Rolle der Frauen. Ruth Baumgartes Sozialisation ﬁel in eine Zeit des umfassenden Wandels an vielen Fronten. ich bin Frau, hört mich brüllen Zu groß an der Zahl, um ignoriert zu werden und ich weiß zu viel, um zurück zu gehen und so zu tun als ob 4 – Helen Reddy Die treibende Kraft in Ruth Baumgartes Leben war ihr künstlerisches Talent. Beim Porträ- tieren von Hans Baumgartes Söhnen entwickelte sich zwischen ihr und dem Vater der Jungen eine Beziehung, die schließlich in eine Heirat mündete. Ruth brachte einen Sohn (omas Busse) aus erster Ehe mit und bekam mit Hans eine Tochter und einen weiteren Sohn (Janine und Alexander). Zusammen mit Hans` Söhnen aus erster Ehe (Ernst-August und Hans-Hermann) entstand so eine höchst dynamische Familie – eine ungewöhnliche Konstellation in jenen konservativen Zeiten. Baumgarte erlebte selbst oder mittelbar durch die Erinnerungen ihrer Familie einen Großteil des 20. Jahrhunderts, in dem die Frauenrechte in der westlichen Welt ihre bedeu- tendsten Fortschritte in der Moderne erzielten. Gleichzeitig wurde sie Zeugin der radikalen gesellschaftlichen Umwälzungen in Europa und Afrika, seien es die Folgen des Zusammen- bruchs des deutschen Kaiserreichs, der Siegeszug des faschistischen Regimes, der Zweite Weltkrieg, die Gründung des Ostblocks, der Kalte Krieg, das deutsche »Wirtschaftswunder«, das Ende der Kolonialreiche, die Unabhängigkeit afrikanischer Staaten oder die Aufhebung der Apartheid in Südafrika. Ruth Baumgarte war Zeitzeugin und zugleich das Produkt ihrer Zeit. Man kann sie hervorragend im Licht der intersektionalen feministischen und postkolo- nialen Analyse betrachten. Postkoloniale feministische Perspektiven decken koloniale Prozesse auf, die von Macht und Gewalt geprägt sind. Postkoloniale Perspektiven allein greifen hin- gegen zu kurz, da sie sich nur auf Rassismus als Hauptform der Ausgrenzung konzentrieren. Zu berücksichtigen sind auch die patriarchalen Wurzeln der kolonialen Macht. Zudem sind Heteronormativität, Kapitalismus und rassische Klassiﬁzierung in der Dynamik der Unter- drückung miteinander verknüpft. Durch ihre längeren Aufenthalte in Afrika erkannte Baum- garte, wie diese Kräfte in ihrer Lebenswelt in Erscheinung traten, auch wenn diese Begriﬀe zur Zeit ihrer Afrikareisen für diese Phänomene noch nicht verwendet wurden. Ihr Beitrag zum Diskurs über Unterdrückung bestand darin, so frei wie möglich zu leben, wo auch immer sie war. Sie behandelte die Personen, denen sie auf ihren Afrikareisen und in deut- schen Fabriken begegnete, auf Augenhöhe. Ihr Mitgefühl für andere Menschen ist klar an ihren Werken ablesbar. 137

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independent African nations, the end of apartheid in South Africa. She was a witness, and she was a product, of her times. Ruth Baumgarte can be well understood in the light of inter- sectional feminist and postcolonial analysis. Postcolonial feminist perspectives denounce colonial processes of power and violence. Postcolonial perspectives alone fail, by focusing only on racism as the main form of exclusion. e patriarchal roots of colonial power also have to be considered, and heteronormativity, capitalism, and racial classiﬁcation are inter- woven in the dynamic of oppression. Baumgarte understood how these forces played out in the world around her through her extended stays in Africa, although these words were not used to describe them at the time that she was there. Her contribution to the discourse of oppression was to live as freely as she could, wherever she was. To treat the people she met on her African journeys, and in the factories in Germany, as equals. Her compassion for humanity is self-evident in her work. Very noticeable in all of the drawings and paintings of Ruth Baumgarte is the variety of emotional expressions of the subjects she portrays. Ruth Baumgarte was a model of self-control her entire life. As a young, dedicated art student, who diligently attended classes and seriously attempted to learn the skills that were being taught. As a young woman in the wicked spontaneity of war-besieged Berlin and its aftermath, keeping her wits about her to survive the active destruction caused by bombs, bullets, and marauding soldiers, and then still having the discipline to pursue work as an illustrator for print and ﬁlm in order to feed her family. e freedom and joyousness (even in the face of adversity) that comes across in the Africa cycle seems to be the opposite of her lived experience in Germany. e prag- matism that her African subjects display is reminiscent of her own approach to the circum- stances of her life in Europe. nobody ever helps me into carriages, or over mud-puddles, or gives me any best place! And ain’t i a woman? Look at me! Look at my arm! i have ploughed and planted, and gathered into barns, and no man could head me! And ain’t i a woman? 5 – Sojourner Truth Baumgarte was a mature person at a very young age. With iron self-determination, she sought out the family of her ﬁrst husband and tolerated their mistreatment in order to be able to care for her mother and charges. When she was able to fend for them and herself, and with the conﬁdence in her own skills to support herself in the future, she divorced and set up her own, matriarchal household, for a brief time. e 1952 marriage with Hans Baumgarte was challenging from the beginning. e young single mother who was surviving on her quick intelligence and artistic skills met an already-married father of two sons, who was a major Bielefeld industrialist in the second gen- eration. Still, she held her own with him. eir meeting, which was a result of her skilled hands (they met at an exhibition of her portraits of children), culminated in marriage and the birth of two more children. Despite documented information over decades that Ruth Baum- garte seriously considered leaving the union, she did not. She kept her multi-layered genera- tional family with diﬀering interests, needs, and claims intact until the death of her husband 138

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Auﬀallend in allen Zeichnungen und Gemälden von Ruth Baumgarte ist die Band- breite, mit der die Porträtierten ihre Gefühle zum Ausdruck bringen. Ihr Leben lang bewies sie eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung: Schon als junge engagierte Kunststudentin besuchte sie ﬂeißig den Unterricht und setzte alles daran, sich die vermittelten Techniken anzueignen. Als junge Frau in den Kriegswirren im belagerten Berlin und in der Nachkriegs- zeit behielt sie einen klaren Kopf, um inmitten von Bombenangriﬀen, Kugelhageln und marodierenden Soldaten zu überleben, und brachte selbst in dieser Zeit noch die Disziplin auf, ihre Familie als Illustratorin für Presse und Film zu ernähren. Die Freiheit und Fröhlich- keit (selbst im Angesicht von Widrigkeiten), die ihr Afrika-Zyklus verströmt, war oﬀenbar das Gegenstück zu dem, was sie in Deutschland erlebte. Der Pragmatismus, den ihre afrikani- schen Motive bezeugen, erinnert an ihren eigenen Umgang mit ihren Lebensumständen in Europa. Mir hat noch nie jemand in einen Wagen geholfen oder über eine schlammpfütze oder den besten Platz überlassen! Bin ich etwa keine Frau? sehen sie mich an! sehen sie meinen Arm an! ich habe gepﬂügt, gepﬂanzt und die ernte eingebracht, und kein Mann hat mir gesagt, was zu tun war! Bin ich etwa keine Frau? 5 – Sojourner Truth Schon in jungen Jahren bewies Baumgarte menschliche Reife. Mit eiserner Selbstdisziplin wandte sie sich an die Angehörigen ihres ersten Mannes und nahm deren Herabwürdigungen in Kauf, um ihre Mutter und Anbefohlenen versorgt zu wissen. Sobald sie ihrer aller Lebens- unterhalt allein bestreiten und auf ihre eigenen Fähigkeiten vertrauen konnte, dass dies auch in Zukunft so blieb, ließ sie sich scheiden und lebte eine Zeitlang in ihrem eigenen matriar- chalischen Haushalt. Die schließlich 1952 geschlossene Ehe mit Hans Baumgarte war von Anfang an für sie eine Herausforderung. Die junge alleinerziehende Mutter, die ihr Überleben mit wacher Intelligenz und künstlerischem Geschick sicherte, traf auf einen verheirateten Mann, Vater zweier Söhne und Bielefelder Großindustrieller der zweiten Generation. Dennoch konnte sie sich gegen ihn behaupten. Ihren geschickten Händen war es zu verdanken, dass sie sich (bei einer Ausstellung ihrer Kinderporträts) kennenlernten, später heirateten und zwei weitere Kinder bekamen. Wie Unterlagen belegen, erwog Ruth Baumgarte jahrzehntelang, ihren Mann zu verlassen. Sie tat es letztlich jedoch nicht, sondern hielt ihre komplexe Mehrgenera- tionenfamilie mit all ihren unterschiedlichen Interessen, Bedürfnissen und Ansprüchen bis zu seinem Tod 1999 zusammen – eine vor allem angesichts ihres umfangreichen Kunstschaﬀens bewundernswerte Leistung. In der Mitte ihrer Laufbahn wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Sujets Industrie und Gewerbe zu und illustrierte die von der Firma ihres Mannes herausgegebenen Kalender und Werbematerialien. In diesem faszinierenden Aspekt ihres Schaﬀens zeigt sich ihre strate- gische Denkweise: Dadurch, dass sie die Arbeiter porträtierte und im Produktionsbetrieb 139

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Studie VI / study Vi um / around 1997 Braune Kreide auf cremefarbenem Büttenpapier / Brown chalk on cream-colored hand-made paper Kunststiftung Ruth Baumgarte Hans Baumgarte in 1999. is was a tremendous achievement, and deserves recognition, especially in light of Ruth Baumgarte’s prodigious art production. In the middle of her career, Ruth Baumgarte turned her attention to the world of manufacturing and industry, and illustrated the calendars and advertising materials of her husband’s company. is fascinating aspect of her work shows what a strategic thinker she was. By portraying the workers and visiting the production sites of the ﬁrm, Ruth Baumgarte was able to stay in touch with the pulse of life in a way that was not foreseen for the wives of wealthy men in the 1950s and 1960s. By keeping herself relevant through her artistic contri- bution, she made her own life richer, and left a body of work that is a valuable document of mid-twentieth-century German industrial history, and the history of everyday life (Alltags- geschichte). Even more: her appearance in the plants, her interaction with the workers, was inspiring and important for them as well as for her circle of contemporaries. Ruth Baumgarte’s behavior, so untypical of the way women were “supposed” to behave at that time, was pioneering, and helped to increase the free room available for women to act and operate in. Just as “not all heroes wear capes”, not all women’s activists or feminists declared themselves as such, or sought out a public role as such. It was and is women like Ruth Baumgarte, who determinedly challenged the control mechanisms of the patriarchy simply through her own choices and existence, that are the backbone of progress in the feminist cause. 140

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ein- und ausging, gelang es Ruth Baumgarte, am Puls des Geschehens zu bleiben, auf eine Weise, wie es für die Frau eines wohlhabenden Mannes in den 1950er- und 1960er-Jahren eigentlich unüblich war. Durch ihren künstlerischen Beitrag gewann sie an Status, bereicherte ihr eigenes Leben und hinterließ einen Werkkomplex, der zugleich ein wertvolles Zeugnis der deutschen Industrie- und Alltagsgeschichte Mitte des 20. Jahrhunderts darstellt. Mehr noch: Ihr Auftreten im Betrieb und ihr Umgang mit den Arbeitern waren für diese ebenso anregend und wichtig wie für ihr eigenes damaliges Umfeld. Baumgartes für Frauen ihrer Zeit untypi- sches Verhalten war wegweisend und trug dazu bei, deren verfügbaren Handlungsspielraum zu erweitern. Man sagt, »nicht alle Helden tragen einen Umhang«, und das galt auch für Aktivistinnen oder Feministinnen, denn nicht jede von ihnen bekannte sich explizit zur Frauenrechtsbewegung oder wählte eine öﬀentliche Rolle. Damals wie heute sind es Frauen wie Ruth Baumgarte, die durch ihre persönlichen Entscheidungen und ihre Lebensweise die Kontrollmechanismen des Patriarchats entschlossen herausfordern und so die feministischen Anliegen unterstützen und voranbringen. Künstlerinnen und Künstler, die unabhängig von Aufträgen oder Kundenwünschen ein eigenständiges Œuvre schaﬀen, wählen dafür per se Motive und Materialien, die ihnen am meisten entsprechen. Gerade dies – der Ausdruck des freien Willens – gilt in unserer westlichen Gesellschaft als höchstes Gut. Jean-Jacques Rousseau etwa verfolgte konsequent seine intellektuellen Interessen. Alle seine Schriften, insbesondere seine Abhandlungen Vom Gesellschaftsvertrag und Über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, waren wegweisend für die Aufklärung und wirken bis heute auf die Rechtsstaat- lichkeit und gesellschaftliche Entwicklung nach. Paul Gauguin wiederum konzentrierte sich ausschließlich auf sein malerisches Weltbild. Sein Werk bildet in der Malerei einen elemen- taren Brückenschlag vom Impressionismus zur Moderne. Sein Einﬂuss auf seine künstleri- schen Zeitgenossen (vielleicht schnitt er tatsächlich Van Goghs Ohr ab!) war für den Kanon der westlichen Kunstgeschichte ebenso fundamental wie sein Gesamtwerk – bei aller berech- tigten Kritik an seinem Verhalten unter feministischen und postkolonialen Aspekten. So einﬂussreich Rousseau und Gauguin zweifellos waren, verfolgten beide ihre künst- lerischen Ziele rücksichtslos auf Kosten ihrer Familien. Rousseau gab seine fünf Kinder ins Waisenhaus, weil er nicht bereit war, ﬁnanziell für sie zu sorgen. Gauguin wiederum war von den »irdischen Genüssen« Polynesien so fasziniert, dass er seine Frau und fünf Kinder in Europa wirtschaftlich und sozial ihrem Schicksal überließ, während er in seinem »Südsee - paradies« schwelgte. Solche Handlungsweisen kennen wir von Männern. Bis heute nimmt man sie als »Kollateralschäden« hin, in der Annahme, dass diese Männer zum Wohle der Gesellschaft Großes leisten. Die bewussten Opfer, die deren Kinder und Ehefrauen bringen müssen, werden ganz selbstverständlich hingenommen, während ein solches Verhalten von einer Frau kaum geduldet, geschweige denn bewundert würde. Im Gegensatz hierzu stehen Leben und Werk von Ruth Baumgarte, was sie eindeutig in die vorderste Reihe bewundernswerter Feministinnen erhebt. Ungeachtet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und unserer westlichen Überzeugung von der Gleichwertigkeit von Mann und Frau erleben wir häuﬁg, dass Frauen ihre Familien eben nicht im Stich lassen, um ihre Ideen, Erﬁndungen und Karriereziele zu verwirklichen. Statt- dessen opfern sie häuﬁger ihre eigenen Interessen, um das Glück ihrer Lieben zu gewähr- leisten. Ruth Baumgarte fand mit zunehmender Intensität und Konzentration im Laufe der 141

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All artists who create an independent body of work, not dependent upon commis- sions or on the wishes of clients, are necessarily pursuing the motifs and materials for their art that best please them. is, in our Western society, is what we consider an expression of the highest good: the articulation of the free will. Jean-Jacques Rousseau pursued his intellectual interests without restraint. All of his writing, especially his treatises e social Contract and A Discourse on inequality, shaped and advanced the Age of Enlightenment and continue to aﬀect the rule of law and the development of society to this day. Paul Gauguin focused exclu- sively on his painterly vision, and his work is an essential bridge in the ﬁeld of painting from Impressionism to Modernism. His inﬂuence on his contemporary artists (perhaps he really did cut oﬀ Van Gogh’s ear) as well as the body of work he left behind (despite justiﬁable criti- cism of his behavior in the light of feminist and postcolonial analysis), is fundamental to the canon of Western art history. As inspiring as Rousseau and Gauguin undoubtedly are, they both pursued their artistic destinies by willingly sacriﬁcing their families and children. Rousseau placed his ﬁve children in a foundling home, not wanting to earn the money necessary to feed and take care of them. Fascinated by the “earthly delights” of Polynesia, Gauguin abandoned his wife and ﬁve children to their own economic and social fate back in Europe, in order to live in the “paradise” of the South Sea. ese are actions that we are familiar with from men, and that until now have been accepted as “collateral damage” from these men, for bringing whatever is perceived as great advantages to the greater whole through their activities. e conscious sac- riﬁce of the well-being of their children and spouses has been accepted as par for the course. Such behavior would hardly be tolerated from a woman, let alone admired. Here we can contrast the life and work of Ruth Baumgarte, and place her distinctly in the forefront of feminist admiration. Despite Article 1 of the Universal Declaration of Human Rights, and our conviction in the West that women and men are both persons of equal value, we often see that women will not abandon their families to pursue their ideas, inventions, and career goals. Instead, they will more often sacriﬁce their own interests to ensure the happiness of their loved ones. Ruth Baumgarte found a way, with increasing intensity and focus over the years, to follow and advance her own artistic horizon, while maintaining a stable home for those entrusted to her care. is is the characteristic of a person of integrity. every face encountered e same question About places i have been only the heart answers 6 – Chirikure Chirikure In pursuit of her highest source of inspiration, Ruth Baumgarte traveled extensively in East and South Africa, and visited North Africa as well. According to her son Alexander Baum- garte, she visited Namibia (the former colony German South West Africa) “one or two times”, but did not care for it because it was “too German”. is feeling did not apply to her travels in the countries of the African Great Lakes area, which were largely comprised of regions that had been the former colony German East Africa. Her son’s statement reveals the essence of Ruth Baumgarte’s later life and work: an enjoyment of peoples and places that bore no resemblance 142

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Jahre einen Weg, ihren persönlichen künstlerischen Horizont zu erweitern und gleichzeitig den ihr Anvertrauten ein stabiles Zuhause zu geben. Dieses Vorgehen zeichnet sie als integren Menschen aus. jedes Gesicht hielt mir dieselbe Frage entgegen über die orte, an denen ich war bloß das herz antwortet 6 – Chirikure Chirikure Auf der Suche nach ihrer Quelle intensivster Inspiration bereiste Ruth Baumgarte große Teile Ost- und Südafrikas und gelangte auch nach Nordafrika. Wie ihr Sohn Alexander Baumgarte berichtet, besuchte sie Namibia (die ehemalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika) »ein oder zwei Mal«, aber es sagte ihr nicht zu, weil es ihr »zu deutsch« war. Ganz anders empfand sie hingegen die Länder im Gebiet der Afrikanischen Großen Seen, die großteils aus der ehema- ligen Kolonie Deutsch-Ostafrika hervorgegangen waren. Die Aussage ihres Sohnes oﬀenbart den Kern von Ruth Baumgartes späterem Leben und Wirken: ihre Begeisterung für Völker und Orte, die keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem Herkunftsland aufwiesen, das man wohl nicht als ihre »Heimat« bezeichnen kann, da ihre als Beweis geltenden Bilder ebenso wie die uner- müdliche Rückkehr auf den afrikanischen Kontinent dafür sprechen, dass sie eher Afrika als spirituelle Heimat empfand. Wenn weiße Europäerinnen und Europäer die Mimik der in Baumgartes Werken abgebildeten afrikanischen Menschen deuten, steht für sie gelegentlich der Eindruck von Wahrnehmung (Coca-Cola / Wahrnehmungen / Afrika III / Perception) / Perception (Coca-Cola / Perceptions / Africa iii / Perception) 1987 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper Privatbesitz / Private collection Braunschweig

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to her birth country. One is not tempted to say “home country”, because the visual evidence, and her tireless return to the African continent, leads one to feel that she considered Africa a spiritual home. Some interpretations by white Europeans of the facial expressions of the African ﬁg- ures in Baumgarte’s work concentrate on their sadness, or highlight what the interpreters feel to be expressions of tiredness and burdensomeness. Looking at her Africa works, as a Black American, a child of the African diaspora, and getting the reactions to Baumgarte’s work from other Africans, Caribbeans, and members of the same diaspora, reveals a diﬀerent narra- tive altogether. For people who have Afrocentric features and are used to looking at and inter- acting with people with these features, Ruth Baumgarte’s African oeuvre is a delightful window of nuance, and not necessarily a document of melancholy. Baumgarte is a masterful portraitist, and it is telling that she painted the backdrops and landscapes ﬁrst, and then placed the ﬁgures onto them or into them, to create the whole. She approached the ﬁgures and the landscapes as separate elements. By painting this way, Baumgarte shows us how she wants to emphasize the subtlety of her rendered subjects. Dark-skinned people can genuinely take pleasure in Ruth Baumgarte’s work, perhaps in a way that a white audience cannot. Baumgarte can be perceived in a sense as an “hon- orary Black person”. Alexander Baumgarte corroborates that his mother was appreciated and congratulated by the Black audiences that viewed her African work in New York and Paris. Alone or in accompaniment, she went through the cities and countryside of many diﬀerent African nations, over veldt and plateau, along the seacoast, through the desert, and found a resonance, a communication, a spiritual bonding with African people wherever she went, especially in South Africa. She was able to capture so many diﬀerent facets of the lives of the women and men she met because apparently, they felt respected and enjoyed her company. Yet for the “white gaze” used to only perceiving “the oppressed” when looking at Africans, the pantheon of subtle dramas and ﬂeeting emotions she revealed in her African work is not always or easily visible. Art that is excellent or important for the development of art history is often not understood at the time it is created, because it is bringing a message from the future. e exhibitions of Ruth Baumgarte’s Africa cycle have till now been for a predominantly white audience, in Europe or in New York, a city that Ruth Baumgarte loved, felt comfortable in and visited often. Due to population shifts in the Western world, driven by the consequences of the interwoven forces of patriarchy, capitalistic economic devastation, colonial oppression, and climate instability, but also due to the positive eﬀects of the contact of the Western World with the people of the global South, more and more dark-skinned people will be present in traditionally white lands, and in their educational and cultural institutions. Although Ruth Baumgarte might not have imagined it, perhaps her work will eventually be appreciated for its deep beauty and the psychological mastery of its depiction of “the souls of Black folk” (W.E.B. Du Bois), primarily by people who look like the very people she por- trayed. Possibly those looking like the subjects in her sketches and canvases will comprise a signiﬁcant part of the audience of viewers and connoisseurs of her work in the future. e winner of the 2022 prize of the Ruth Baumgarte Foundation is the South Africa artist Athi-Patra Ruga. He is a harbinger of that vision: the ﬁrst prizewinner to be of Black South African heritage, and the ﬁrst to explicitly and forcefully deal with identity in post- 144

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Traurigkeit oder Müdigkeit und Last im Vordergrund. Wenn ich als schwarze Amerikanerin, als Kind der afrikanischen Diaspora, Baumgartes Afrika-Bilder betrachte, zeigt sich mir ebenso wie anderen Afrikanerinnen und Afrikanern bzw. Karibinnen und Kariben sowie Angehörigen derselben Diaspora ein ganz anderes Narrativ. Für Menschen, die afrozentri- sche Züge haben und es gewohnt sind, Menschen mit solchen Physiognomien zu betrachten und mit ihnen zu interagieren, bieten die in Afrika entstandenen Werke Baumgartes ein reizvolles, nuancenreiches Panorama und vermitteln nicht unbedingt Melancholie. Baum- garte war eine hervorragende Porträtistin. Bezeichnenderweise malte sie zunächst die Hin- tergründe und Landschaften und vollendete das Gesamtbild dann erst durch das Einfügen der Figuren. Für sie waren Figuren und Landschaften separate Elemente. Durch diese Mal- technik machte sie deutlich, wie sehr sie die Subtilität der dargestellten Personen unterstrei- chen wollte. Dunkelhäutige Menschen betrachten Ruth Baumgartes Werke häuﬁg mit einem Ver- gnügen, das einem weißen Publikum womöglich verwehrt bleibt. Man könnte die Malerin gewissermaßen eine »schwarze Frau honoris causa« nennen. Wie Alexander Baumgarte bestä- tigt, fanden die Afrika-Bilder seiner Mutter bei Ausstellungen in New York und Paris gerade beim schwarzen Publikum viel Anklang und Beifall. Allein oder in Begleitung bereiste sie die Städte und Landschaften vieler afrikanischer Nationen, die Steppen und Hochebenen Süd- afrikas, die Meeresküste und die Wüste. Wo sie auch hinkam, stieß sie auf Resonanz, geriet in Kommunikation und erlebte spirituelle Verbundenheit mit den afrikanischen Menschen. Das galt insbesondere für Südafrika. Sie konnte so viele verschiedene Facetten des Lebens jener Frauen und Männer, denen sie begegnete, wahrnehmen, weil sich diese augenscheinlich res- pektiert fühlten und ihre Gesellschaft schätzten. Für den »weißen Blick« hingegen, der gewohnt ist, Afrikanerinnen und Afrikaner nur als »Unterdrückte« wahrzunehmen, ist die Fülle an subtilen Dramen und ﬂüchtigen Emotionen, die Baumgarte in ihren Afrika-Bilder oﬀenbart, häuﬁg nicht oder nur schwer erkennbar. Herausragende oder für die Kunstgeschichte entscheidende Werke werden zum Zeit- punkt ihrer Entstehung oft nicht verstanden, weil sie mit ihren Botschaften ihrer Zeit voraus sind. Ausstellungen zu Ruth Baumgartes Afrika-Zyklus waren bisher für ein überwiegend weißes Publikum bestimmt, sei es in Europa oder in New York, einer Stadt, die sie liebte, in der sie sich wohl fühlte und die sie häuﬁg besuchte. Im Zuge des Bevölkerungswandels in der westlichen Welt, ausgelöst durch die ineinandergreifenden Kräfte des Patriarchats, des Nie- dergangs der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, der kolonialen Unterdrückung und der Folgen des Klimawandels, aber auch durch die positiven Eﬀekte aufgrund der Kontakte zwi- schen Menschen der westlichen Welt und des globalen Südens, wird es in traditionell weißen Ländern und in deren Bildungs- und Kultureinrichtungen immer mehr dunkelhäutige Men- schen geben. Auch wenn Ruth Baumgarte es sich vielleicht nicht hätte träumen lassen, wird ihr Werk vielleicht einmal für seine innige Schönheit und die meisterhaft psychologische Wiedergabe der »Seele der Schwarzen« (W.E.B. Du Bois) gewürdigt, und zwar primär von Menschen, die den Abgebildeten ähneln. Vielleicht werden diejenigen, die den Figuren in ihren Skizzen und Gemälden gleichen, künftig einen erheblichen Teil der Betrachter und Kenner ihrer Werke ausmachen. Der Preis der Ruth-Baumgarte-Stiftung geht im Jahr 2022 an den südafrikanischen Künstler Athi-Patra Ruga. Er ist ein Vorreiter dieser Vision: der erste schwarze Preisträger 145

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apartheid South Africa, considering themes of identity, sexuality, queerness, and postcolo- nialism in his visual and performance art. Before studying fashion design at the Gordon Flack Davidson Academy of Design in Johannesburg, Ruga studied at Belgravia Art College in East London. is institution of higher learning is not in England, where one would think it would be found, according to the names. “East London” and “Belgravia” here exemplify the arbitrariness of colonization. e school is in East London, in the South African municipality of Buﬀalo City. It is one of the wealthier parts of South Africa, prosperity which is driven in part by German industry and the Mercedes-Benz plant there. Its namesake East London in England is synonymous with poverty, in historical contrast with the posh West End of the town. On the other hand, Belgravia, southwest of Buckingham Palace, is home to the most aﬄuent people living in the United Kingdom. e randomness of the juxtaposition of a concept of wealth with that of one that recalls abject poverty of Dickensian dimensions, typiﬁes the oﬀhandedness with which colo- nialization took place worldwide, with European settlers replacing the names of places that the people who were already there had, with names that reminded them of their European homes. As political activist and singer Miriam Makeba has discussed, the white people came to Africa, where history was transmitted in the oral tradition, and disregarded that history and the place names used. “Poof!”, she said: the white colonizers imposed their names for things by writing them down, and used this writing as legitimization for the changes they imposed on the oral tradition-based cultures they already found there and summarily disregarded. An identity would seem to be arrived at by the way in which the person faces and uses his experience.7 – James Baldwin Belgravia Art College was at the beginning of Athi-Patra Ruga’s journey as a young artist. One can imagine that his eye was sharpened from the very start of his career for the absurdi- ties of colonial oppression at “Belgravia in East London”. Ruga experienced his childhood formative years under apartheid, but even now, decades after it has ended, the evidence of white appropriation of South African land and culture is omnipresent. Athi-Patra Ruga destroys and deconstructs colonialism by creating his own myths, identities, and realities, such as the visual saga of the ﬁctional country of Azania, e Future White Women of Azania or with his character, the Versatile Queen Ivy. Several of his works feature rainbows or refer to them, an allusion to Bishop Desmond Tutu’s name for South Africa (“Rainbow Nation”) since the end of apartheid in 1994. e rainbow imagery enables Ruga to eﬀectively critique everything from national politics to body politics, as the rainbow ﬂag is traditionally known as the gay pride ﬂag. e artist Ruga speaks of re-examining the past and making the present bearable. One of his central messages is that of hope, of a glorious, improved and happy future. Ruga views the world with wonder and awe, and his art sends a signal that Africa has creative relevance to the world as an auteur, and not just as a supplier of raw materials and resources, of the material or immaterial kind. 146

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südafrikanischer Herkunft und der erste, der sich ebenso explizit wie eindringlich mit dem Selbstverständnis der Menschen Südafrikas nach dem Ende der Apartheid auseinandersetzt, der emen der Identität, Sexualität, Queerness und des Postkolonialismus in seiner bil- denden und Performance-Kunst aufgreift. Vor seinem Modedesign-Studium an der Gordon Flack Davidson Academy of Design in Johannesburg besuchte Ruga das Belgravia Art College in East London, das aller- dings keineswegs in England liegt, wie man dem Namen nach vermuten könnte. »East London« und »Belgravia« sind in diesem Fall Beispiele für koloniale Willkür: Das East London, in dem die Hochschule angesiedelt ist, gehört zur südafrikanischen Metropolge- meinde Buﬀalo City in einem der besser situierten Landesteile, dessen Wohlstand teilweise auf die deutsche Industrie und das örtliche Mercedes-Werk zurückgeht. Das britische East London ist dagegen das von Armut geprägte historische Gegenstück zum noblen Londoner West End. Andersherum leben im Londoner Stadtteil Belgravia südwestlich vom Buckingham Palace die reichsten Bürger des Vereinigten Königreichs. Das willkürliche Nebeneinander eines wörtlichen Inbegriﬀs für Reichtum und eines Namens, der an bittere Armut in Dickensʼschem Stil erinnert, ist bezeichnend für die unbe- darfte Lässigkeit, mit der die Kolonialisierung weltweit erfolgte, als europäische Siedler die von den Einheimischen verwendeten Toponyme einfach durch Namen ersetzten, die sie an ihre europäische Heimat erinnerten. Die politische Aktivistin und Sängerin Miriam Makeba erzählte: Die Weißen kamen nach Afrika, wo Geschichte mündlich überliefert ist, aber die Weißen diese Geschichte ebenso wie die vorhandenen Ortsnamen ignorierten. »Im Handum- drehen«, so Makeba, drängten die weißen Kolonisatoren den Dingen ihre neuen Namen auf, indem sie sie niederschrieben. Durch das geschriebene Wort legitimierten sie die Verände- rungen, die sie den, auf mündlicher Überlieferung basierenden Kulturen im neuen Land auf- zwangen. eine identität erlangt man oﬀenbar durch die Art und Weise, wie man sich seinen erfahrungen stellt und sie nutzt.7 – James Baldwin Das Belgravia Art College stand am Anfang von Athi-Patra Rugas Laufbahn als junger Künstler. Man kann sich vorstellen, dass sein Blick für die absurden Auswüchse der kolo- nialen Unterdrückung in »Belgravia, East London« von Anfang an geschärft wurde. Seine prägenden Kindheitsjahre verbrachte Ruga unter den Bedingungen der Apartheid, doch auch heute, Jahrzehnte nach ihrer Aufhebung, sind die Spuren der weißen Appropriation von Land und Kultur Südafrikas allgegenwärtig. Athi-Patra Ruga vernichtet und dekonstruiert den Kolonialismus durch selbst geschaﬀene eigene Mythen, Identitäten und Realitäten wie die visuelle Saga vom ﬁktiven Land Azania, The Future White Women of Azania, oder mit der von ihm geschaﬀenen Kunstﬁgur, der Versatile Queen Ivy. Der Regenbogen, der in mehreren seiner Werke thematisiert oder angedeutet wird, spielt auf die »Regenbogennation« an – Bischof Desmond Tutus Bezeichnung für Südafrika seit dem Ende der Apartheid 1994. Das Symbol des Regen- 147

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e art of Athi-Patra Ruga and that of Ruth Baumgarte have some harmonizing similarities. e bold colors, and the depictions of the people portrayed, are open windows for us to gaze upon complex emotional occurrences. While Baumgarte traveled widely throughout Africa for her studies of women and men, Ruga is more self-suﬃcient, and portrays himself most often—in the guise of either a woman or a man, or a ﬁgure with characteristics of both. His questioning of heteronormativity is another strategy to under- mine the brutal colonial legacy still felt in the status quo. Baumgarte let her draftsman’s skill and her eye for intimate moments guide her choice of subjects and scenes. Her work feels peaceful and private. Ruga chooses a more mon- umental approach. He positions himself, and most of the ﬁgures he depicts, in a large, often frontal way. On his canvases, in his tapestries, in the stained-glass works, the faces and bodies take up the picture plane and exude an air of gravitas suitable to the depiction of religious icons, even when their expressions are playful and their props contradict their presentation this way. Athi-Patra Ruga juggles the past and the present, the horrors already experienced and the hope of things to come, in an art process that he readily describes as being a journey of self-healing. What he hopes for is that we viewers can be healed alongside him. Gay, queer, femme: Ruga expands on the notion of self by exploring a broad spec- trum of sexualities. As part of his artistic adventure, he has delved deeply into the work of Irma Stern (1894–1966), a white South African female artist with German roots. Stern is an important artist in the country of her birth. She studied art in Germany and was a pio- neer of Expressionism in South Africa. Athi-Patra Ruga worked at a studio in the Irma Stern Museum during a 2021–22 residency, and entered into a deep dialogue with her works. Even before that, in high school, he encountered her paintings in a book, and has been influenced by her use of color and line ever since. Ruga was also familiar with the work of Ruth Baumgarte, although he did not con- front it in depth, the way he did the work of Stern. Yet, the visual congruencies in the works of Baumgarte and Ruga are delightful. Ruth Baumgarte would likely be pleased that Athi- Patra Ruga has been selected for this generous monetary prize that bears her name. Conceiv- ably Carl Jung’s idea of shared experiences and ancestors in the collective unconscious does hold validity. if my cup won’t hold but a pint, and yours holds a quart, wouldn’t you be mean not to let me have my little half measure full? 8 – Sojourner Truth It is an entertaining thought and a valid one, to look at Ruth Baumgarte with the eyes of a Black person’s experience. She herself scoﬀed at the idea that her life was “easy” because of having married into material wealth. Baumgarte had many restrictions on her freedom and ability of generate an income, imposed upon her by her husband. In Germany between the 1950s and the 1970s, husbands had many measures for control over their wives, codiﬁed in law, controls that only the tremendous eﬀorts of feminists over hundreds of years ﬁnally got rid of at the end of the twentieth century. 148

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Athi-Patra Ruga Die nacht der langen Messer iii / The Night of the Long Knives III 2014 Fotograﬁe / Photography Fondation Gandur pour l’Art, Genf / Geneva FGA-ACAD-RUGA- 0001 bogens gibt Ruga die Möglichkeit, von der Nationalpolitik bis hin zur Körperpolitik alles zu kritisieren, denn die Regenbogenﬂagge ist traditionell gleichzeitig Symbol der Gay-Pride- Bewegung. Als Künstler will Ruga nach seinen eigenen Worten die Vergangenheit hinterfragen und die Gegenwart erträglich machen. Eine seiner zentralen Botschaften ist die der Hoﬀnung auf eine fabelhafte, glückliche, bessere Zukunft. Er betrachtet die Welt mit Staunen und Ehrfurcht, und seine Kunst setzt ein Zeichen dafür, dass Afrika über seine Rolle als Lieferant materieller und immaterieller Rohstoﬀe und Ressourcen hinaus für die Welt auch eine eigen- ständige kreative Bedeutung hat. Zwischen dem Kunstschaﬀen Athi-Patra Rugas und demjenigen Ruth Baumgartes ﬁnden sich viele Übereinstimmungen. Die kraftvollen Farben und die Art der Wiedergabe der Dargestellten öﬀnen fensterartig den Blick auf komplexe Gefühlszustände. Während Baumgarte für ihre Studien von Frauen und Männern weite Teile Afrikas bereiste, ist Ruga autarker und porträtiert sich meist selbst, sei es als Frau, als Mann oder auch als androgynes Wesen. Das Hinterfragen der Heteronormativität ist eine weitere Strategie, mit der er das im Hier und Jetzt nach wie vor spürbare brutale koloniale Erbe untergräbt. Baumgarte ließ sich bei der Wahl ihrer emen und Szenen von ihrem zeichnerischen Geschick und ihrem Blick für intime Momente leiten. Ihre Werke wirken friedlich und intim. Ruga wählt einen eher monumentalen Ansatz. Er positioniert sich selbst und die meisten der von ihm dargestellten Figuren großformatig und häuﬁg frontal. In seinen Gemälden, Wandteppichen und Glasbil- dern nehmen die Gesichter und Körper die gesamte Bildﬂäche ein und strahlen eine Würde aus, wie man sie von christlichen Ikonen kennt, auch wenn ihr spielerischer Ausdruck und die Requisiten im Widerspruch dazu stehen. In einem künstlerischen Prozess, den er gern 149

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Baumgarte had many harrowing experiences in her life, and was sensitive thereby to the suﬀering of others. Her need to be in control of her situation, for her own safety and the safety of her loved ones, enabled her to survive the war and to establish a peaceful and prosperous household afterwards. She was an icon, an embodiment of how a woman could achieve success during the time of Germany’s post-World War II reconstruction (Wieder- aufbau). Ruth Baumgarte did her best for her family and her community, and helped other artists with her gallery activities. Yes, her biography is diﬀerent to that of most Black women, but one can recognize how women of all backgrounds must overcome the restraints and traumas imposed upon them, in order to live in a fulﬁlled and constructive way. Baumgarte’s “reward”, it seems, for maintaining her family and stability in Germany, was the spiritual freedom, and mental and emotional release she gained during her African wanderings. Baumgarte is a role model for us in this regard as well. To seek out the places and people that make you happy, without abandoning those who still depend on you, and to use your talents and life energy to bring joy to yourself and others. Does life ask you to do any- thing other? Ruth Baumgarte did it, until her death in 2013. Her foundation continues her good works for society beyond her passing. Athi-Patra Ruga is doing it. Ruga has said “Let’s make it fun for each other”, meaning this time all of us humans are sharing on this planet. Let us cooperate instead of exploit each other. Let’s enjoy the ride! We are in excellent company if we consciously decide, as these artists did, for a love of self, which will allow us to see the humanity in everyone we encounter, and for a love of life, which will ensure that we make decisions and set actions for the highest good of the planet, and all the living creatures with which we share it. — september 11–26, 2022 new York–Lech am Arlberg–Vienna 150

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einen Pfad zur Selbstheilung nennt, jongliert Athi-Patra Ruga zwischen Vergangenheit und Gegenwart, erlebten Schrecken und dem Vertrauen auf eine bessere Zukunft. Er hoﬀt, dass wir als Betrachter gemeinsam mit ihm Heilung ﬁnden. Schwul, queer, femme: Durch das Ausprobieren eines breiten Spektrums sexueller Orientierungen erweitert Athi-Patra Ruga den Identitätsbegriﬀ. Auf seinem künstlerischen Weg setzte er sich u. a. intensiv mit dem Werk der weißen Südafrikanerin mit deutschen Wurzeln Irma Stern (1894–1966) auseinander, die in ihrer Heimat als bedeutende Künstlerin gilt. Sie absolvierte ihr Kunststudium in Deutschland und war eine Pionierin des Expressio- nismus in Südafrika. Als Artist-in-Residence bezog Athi-Patra Ruga 2021/22 ein Atelier im Irma Stern Museum und geriet in innigen Dialog mit ihren Werken. Ihr Einsatz von Farben und Linien hatte ihn schon zuvor beeinﬂusst, seit er im Gymnasium ihre Bilder in einem Buch entdeckt hatte. Auch mit Ruth Baumgartes Werk ist Athi-Patra Ruga vertraut, wenn auch nicht ganz so tiefgreifend wie mit Sterns Schaﬀen. Die visuellen Übereinstimmungen zwischen seinen eigenen und Baumgartes Arbeiten sind dennoch sehr reizvoll. Baumgarte wäre gewiss erfreut, dass gerade er den nach ihr benannten, großzügig dotierten Preis erhalten hat. Möglicher- weise ist an Carl Gustav Jungs Vorstellung von gemeinsamen Erfahrungen und Vorfahren im kollektiven Unbewussten durchaus etwas Wahres. Wenn in meine Tasse nur ein halber Liter passt, in deine aber ein ganzer, wäre es dann nicht gemein von dir, wenn du mir keine volle Tasse zugestehst? 8 – Sojourner Truth Ruth Baumgarte mit den Augen einer schwarzen Person zu betrachten, ist nicht nur reizvoll, sondern auch gerechtfertigt. Sie selbst lachte darüber, wenn jemand der Ansicht war, ihr Leben sei »einfach« gewesen, nur weil sie einen reichen Mann geheiratet hatte. Vielmehr hatte er ihre Freiheit in vielerlei Hinsicht beschnitten und ihre Möglichkeiten eingeschränkt, ﬁnanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Auch in der Zeit zwischen den 1950er- und 1970er- Jahren genossen Ehemänner in Deutschland noch gesetzlich verankerte Rechte, ihre Ehe- frauen zu bevormunden, was erst im späten 20. Jahrhundert dank der jahrhundertelangen hartnäckigen Anstrengungen der Feministinnen endgültig abgeschaﬀt wurde. Baumgarte machte in ihrem Leben viele verstörende Erfahrungen, die sie für das Leid anderer sensibilisierten. Ihrem Bedürfnis nach Kontrolle über ihr Leben und nach Sicherheit für sich und die von ihr geliebten Menschen verdankte sie es, dass sie den Krieg überlebte und anschließend ein friedliches, gedeihliches Familienleben führen konnte. Sie war eine Ikone, ein Paradebeispiel dafür, wie eine Frau in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg zu Erfolg kommen konnte. Für ihre Familie und ihr Umfeld gab sie ihr Bestes, und ihren Künstlerkolleginnen und -kollegen griﬀ sie als Galeristin unter die Arme. Ihre Vita unterscheidet sich natürlich von den Biograﬁen der meisten schwarzen Frauen, zeigt jedoch klar, dass Frauen aller Hintergründe die ihnen auferlegten Zwänge und Traumata überwinden müssen, um ein erfülltes, konstruktives Leben führen zu können. 151

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*) is paper is written under consideration of the style of scholarship propagated by “queer-pas- gay” African-American feminist scholar and activist bell hooks, as exempliﬁed by her book Where We stand. Class Matters (2000). Much gratitude to the people and institutions that contributed knowledge and feedback to enable this essay: the N.Y. Public Library, Wakeﬁeld branch; Friends of the Tuckahoe, N.Y. Public Library; the Africa Center/Museum of African Art New York; South African curator uli Mlambo-James; South African artist Senzeni M. Marasela; Domnican artist Pauline Marcelle; the speakers and participants of the 25th annual Philo- sophicum Lech 2022, which had the theme “Hate”; and Austrian writer Sabine Scholl, for the intensive discussion of bell hooks’ ideas from Where We stand. Class Matters at the discussion “Haben und Gehabe. Klasse und Literatur” (Have and Have Not. Class and Literature), at the literary quarter Alte Schmiede in Vienna in May 2022. 1) Maya Angelou, And still i Rise: A Book of Poems. London: Virago, 2020. 2) Editorial note: is term was in current use at the time the work was created. Nowadays it is regarded as having negative connotations and is therefore avoided. 3) Ibid. 4) Helen Reddy, i Am Woman. Written by Helen Reddy and Ray Burton. Irving Music, 1971. 5) Sojourner Truth, speech delivered at the Women’s Convention in Akron, Ohio, 1851. Text available online under URL: <https://en.m.wikisource.org/wiki/Ain% 27t_I_a_Woman%3F> [accessed 29.09.2022]. 6) Chirikure Chirikure, “Places Found in Fiction”, in: idem, Aussicht auf eigene schatten, poetry in Shona and English, with German translations. Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn, 2011. Text available online under URL: <https://issuu.com/wunderhorn/docs/chirikure_ nach_plot> [accessed 29.09.2022]. 7) James Baldwin, e Devil Finds Work. New York: Vintage, 2011. 8) Truth, op. cit. 152

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Baumgartes »Belohnung« dafür, dass sie ihre Familie in Deutschland beisammenhielt und ihr Stabilität gab, war augenscheinlich die spirituelle Freiheit, die mentale und emotio- nale Loslösung, die sie auf ihren Afrikareisen erlebte. Auch in dieser Hinsicht ist Baumgarte uns ein Vorbild. Die Orte und Menschen zu besuchen, die uns glücklich machen, ohne dieje- nigen im Stich zu lassen, die auf uns angewiesen sind, und unsere Talente, unsere Lebens- energie zu nutzen, um sich und anderen Freude zu bereiten – was mehr könnte das Leben von uns verlangen? Ruth Baumgarte erfüllte dies bis zu ihrem Tod im Jahr 2013. Ihre Stif- tung setzt ihr Werk zum Wohle der Gesellschaft auch darüber hinaus fort. Athi-Patra Ruga tut es ihr gleich und sagte einst: »Lasst uns einander Freude machen«, gemeint ist in der Zeit, die wir Menschen gemeinsam auf diesem Planeten verbringen. Lasst uns kooperieren, anstatt uns wechselseitig auszubeuten. Lasst uns das Leben genießen! Bei diesen Künstlern sind wir in bester Gesellschaft, wenn wir uns bewusst für eine Selbstliebe entscheiden, die uns die Augen für die Menschlichkeit in allen öﬀnet, denen wir begegnen, und für eine Liebe zum Leben, die dafür sorgt, dass unsere Entscheidungen und Handlungen dem Wohl des Planeten und aller Lebewesen dienen, mit denen wir uns die Erde teilen. — 11.–26. september 2022 new York–Lech am Arlberg–Wien *) Dieser Essay wurde im Einklang mit dem 1) Maya Angelou, »Und dennoch erhebe ich Wissenschaftsstil verfasst, wie ihn die »queer-pas- gay« afroamerikanische feministische Wissenschaft- lerin und Aktivistin bell hooks u. a. in ihrem Buch Die Bedeutung von Klasse (2000) propagiert. Mein tiefempfundener Dank richtet sich an die Men- schen und Institutionen, die diese Arbeit durch Wissen und Feedback möglich gemacht haben: die N.Y. Public Library, Zweigstelle Wakeﬁeld; Friends of the Tuckahoe, N.Y. Public Library; das Africa Center/Museum of African Art, New York; die süd- afrikanische Kuratorin uli Mlambo-James; die südafrikanische Künstlerin Senzeni M. Marasela; die dominikanische Künstlerin Pauline Marcelle; die Referentinnen und Referenten sowie Teilneh- merinnen und Teilnehmer des 25. Philosophicums Lech 2022, das unter dem ema »Der Hass« stand; die österreichische Schriftstellerin Sabine Scholl für die intensive Auseinandersetzung mit bell hooks’ Gedanken in Die Bedeutung von Klasse bei der Diskussionsrunde »Haben und Gehabe. Klasse und Literatur« im Mai 2022 im Literaturquartier Alte Schmiede in Wien. mich«, in: Phänomenale Frauen: Gedichte, deutsche Übersetzung von Judith Zander, Berlin 2020, S. 10f. 2) Anmerkung der Redaktion: Diese Bezeich- nung entspricht dem Sprach gebrauch der dama- ligen Zeit und wird heute als negativ konnotiert abgelehnt. 3) Maya Angelou zit. nach Zander 2020 (wie Anm. 1). 4) »Helen Reddy«, »I Am Woman«, Songtext, 1971, deutsche Übersetzung online abrufbar unter URL: <https://lyricstranslate.com/de/i-am-woman- ich-bin-frau.html> [Zugriﬀ am 4.10.2022]. 5) Sojourner Truth, Rede auf dem Frauenkon- gress in Akron, Ohio, 1851, deutsche Übersetzung online abrufbar unter URL: <https://www.rav.de/ publikationen/rav-infobriefe/feministischer-info- brief-121-2021/sojourner-truth-aint-i-a-woman- bin-ich-etwa-keine-frau> [Zugriﬀ am 4.10.2022]. 6) Chirikure Chirikure, »Orte, gefunden in der Erﬁndung«, in: ders., Aussicht auf eigene Schatten, Gedichte auf Shona und Englisch mit deutscher Übersetzung, Heidelberg 2011, S. 8f. 7) James Baldwin, e Devil Finds Work, New York 2011, deutsche Übersetzung hier von Birgit Lamerz-Beckschäfer. 8) Truth 1851 (wie Anm. 5). 153

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W E R K L I S T E L I S T O F WO R K S R U T H B A U M G A RT E In der folgenden Werkliste sind die Originaltitel von Werken fett und kursiv ausgezeichnet. Serientitel folgen in Klammern. Reine Übersetzungen von Werktiteln erscheinen nicht gefettet. / In the following List of Works the original titles are indicated by the use of bold type and italics. Titles of series follow in parentheses. Translations of the titles of works are shown in italics. 157 162 4 85 81 Selbstportrait / self-Portrait um / around 1940 Kohle auf Zeichenpapier / Charcoal on drawing paper 62,8 × 48,3 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Leben / Life um / around 1950 Tusche (Feder, Pinsel) und Aquarell auf farbig grundiertem Papier / India ink (pen, brush) and watercolor on colored primed paper 29,7 × 21,8 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Markttag / Market Day (Rote Blume Afrika XiX / Red Flower Africa XiX) 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper 89,2 × 67 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Rote Blume Afrika I / Red Flower Africa i 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper 100 × 68 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 84 65 67 64 Rote Blume Afrika XV / Red Flower Africa XV 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper 100 × 67,9 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Die Ährenleserinnen i / e Gleaners I 1988 Kohle und Kreide auf grauem Papier / Charcoal and chalk on gray paper 60 × 74 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Die Ährenleserinnen ii / e Gleaners II 1988 Kohle und Kreide auf grauem Papier / Charcoal and chalk on gray drawing paper 60 × 74 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Der gelbe hut / e Yellow Hat (Rote Blume Afrika iV / Red Flower Africa iV) 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper 92 × 67,9 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte

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83 127 119 87 Rote Blume Afrika III / Red Flower Africa iii (Rote Blume XV / Red Flower XV) 1988 Kohle und Kreide auf blaugrauem Papier / Charcoal and chalk on blue-gray paper 68 × 92,2 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Afrika XX / Africa XX (Anatomische Landschaft i / Anatomical Landscape i) 1990 Öl auf Karton / Oil on cardboard 137 × 98 cm Privatbesitz / Private Collection Die Botin / e Messenger 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard 137 × 98 cm Privatbesitz / Private Collection Netzﬂicker / net Mender (netze ﬂicken / Mending nets) 1991 Pastellkreide auf Papier / Pastel on paper 137 × 98 cm Privatbesitz / Private Collection 77 112/ 113 126 123 Kürbiskerntrocknerin / Woman Drying Pumpkin seeds (Kürbisse trocknen / Drying Pumpkins) 1991 Pastellkreide auf Karton / Pastel on cardboard 140 × 100,2 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Afrikanische Landschaft i / African Landscape I (Afrikanische Landschaft i / African Landscape i) 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard 98,8 × 138 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Anatomische Landschaft ii / Anatomical Landscape II (Afrika X / Africa X) 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard 138 × 98,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Die Wasserträgerin / e Water Carrier 1991 Öl auf Karton / Oil on cardboard 137,5 × 98,8 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 110/ 111 34 37 117 115 Besucher / Visitors 1992/93 Öl auf Karton / Oil on cardboard 98 × 137 cm Privatsammlung Missverständnis / Misunderstanding (Das Missverständnis / e Misunterstanding) 1993 Öl auf Karton / Oil on cardboard 138,7 × 98,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Der Afrikaner / e African (Afrikaner / African) 1993 Öl auf Karton / Oil on cardboard 138,5 × 98,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Afrikanische Landschaft iii / African Landscape III 1993 Öl auf Karton / Oil on cardboard 138,5 × 98,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Afrikanische Landschaft iV / African Landscape IV 1993 Öl auf Karton / Oil on cardboard 138,6 × 98,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 158

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25 18 18/ 19 19 Alles was kräht war am Anfang ein ei / Anything Crowing Had Once Been an Egg (Afrikanische szene / African scene) 1995 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 80 × 70 cm Privatbesitz / Private collection sogar der elefant stirbt innerhalb eines Tages / Even the Elephant’s Death Will Occur on a Single Day 1995–97 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 80 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Feuerwende / Turn of the Fire 1995–97 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 120 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Der strom der Zeit / e Stream of Time 1995–97 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 80 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 130 16/ 17 70 71 schatten, die hinter deinen Rücken fallen / Shadows Falling Behind Your Back (schatten, die hinter ihren Rücken fallen / shadows Falling Behind her Back) 1995 Öl auf Karton / Oil on cardboard 100 × 73 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Rift Valley 1997 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 100 × 120 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Studie I / study i (studie i / study i) um / around 1997 Braune Kreide auf blaugrauem Papier / Brown chalk on blue-gray paper 98,1 × 67,9 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Studie II / study ii (studie ii / study ii) um / around 1997 Braune und schwarze Kreide auf blaugrauem Papier / Brown and black chalk on blue-gray paper 100 × 67,8 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 20/ 21 35 124/ 125 32 129 sein Land / His Land 1994 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 150,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Regen / Rain 1994 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 100 × 120 cm Privatbesitz / Private collection ein haus bauen wollen / Wanting to Build a House 1994 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 100 × 120 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Rückkehr / Return (Rückkehr / Return) 1994 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 120 cm Privatbesitz / Private collection Das tägliche Gespräch / e Daily Chat 1995 Öl auf Karton / Oil on cardboard 100 × 75 cm Privatbesitz / Private Collection 159

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173 Selbstportrait (unvollendet) / self-Portrait (unﬁnished) um / around 2011 Braune Kreide auf graugrünem Karton / Brown chalk on green-gray cardboard 101,4 × 72,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 120/ 121 Afrikanische Vision / African Vision 1998/99 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 140 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 68 69 14 Afrikanischer Rhythmus i / African Beat I (Afrikanischer Rhythmus i / The African Beat i) 2000 Aquarell, Kreide und Kohle auf Karton / Watercolor, chalk and charcoal on cardboard 101,8 × 73,6 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Afrikanischer Rhythmus ii / African Beat II 2000 Aquarell, Kreide und Kohle auf Karton / Watercolor, chalk and charcoal on cardboard 101,3 × 72,8 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Inferno 2003 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 100,5 × 80,5 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 72 73 28/ 29 22/ 23 Studie III / study iii (studie iii / study iii) um / around 1997 Braune und schwarze Kreide auf blaugrauem Papier / Brown and black chalk on blue-gray paper 100,3 × 67,9 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Studie IV / study iV (studie iV / study iV) um / around 1997 Braune Kreide auf blaugrauem Papier / Brown chalk on blue-gray paper 100,1 × 65,3 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Brennender himmel / Burning Sky (Der brennende himmel / Burning skies / e Burning sky) 1998 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120 × 140 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte An einem abgelegenen ort / In a Remote Spot um / around 1998 Öl auf Leinwand / Oil on canvas 120,5 × 140 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte 160

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75 Autoexotik / Autoerotik / Auto Exotic / Auto Erotic 2022 Ölstift und Pastell auf Leinwand / Oil stick and pastel on canvas 110 × 80 cm What If e World Gallery, Kapstadt / Cape Town 79 26/ 27 31 ein Anblick / schauplatz zur Kontemplation / A Sight / Site for Contemplation 2020 Buntglas, Blei und pulverbeschichteter Stahl / Stained glass, lead, and powder-coated steel 170 × 90 cm What If e World Gallery, Kapstadt / Cape Town inyanga yeDwarha Der Mondmonat des seerosenblatts, aus dem Mondliederbuch / Inyanga yeDwarha e Lunar Month of the Lily Pad, From the Lunar Songbook 2021 Wolle und Garn auf Stramin / Wool and thread on tapestry canvas 343 × 305 cm What If e World Gallery, Kapstadt / Cape Town Jakob, bereit zum Ring- kampf mit einem engel / Jacob about to Wrestle an Angel 2021 Wolle und Garn auf Stramin / Wool and thread on tapestry canvas 190 × 144 cm What If e World Gallery, Kapstadt / Cape Town W E R K L I S T E L I S T O F WO R K S AT H I - PAT R A R U G A 161

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B I O G R A F I E 1923 Am 27. Juni wird Ruth Johanna Kellner in Coburg geboren. Sie stammt aus einer Schauspielerfamilie. Die Eltern sind Kurt Rupli (1899–1960), eaterdirektor und späterer UFA- Produktionschef, sowie die Schauspie- lerin Margarethe Kellner-Conrady (1899–1969). 1924–1934 Mutter und Tochter ziehen 1924 in die Berliner Innenstadt in die Nähe des Tiergartens. Ein Jugendfreund ist der spätere Komponist und Musikdirektor Heinz Struve (1925–2015), der 2013 seine Autobiograﬁe im Dschungel – zwischen nazis und stalinisten verfasst. 1926 beginnt die lebenslange Freundschaft mit Marie-Luise Krüger (verh. Bieder). 1935–1939 1935 kommt es zum Umzug nach Berlin-Karlshorst. Ruth wird Schülerin am Karlshorster Lyzeum (ab 1938 Marie-von-Ebner- Eschenbach-Schule). Sie schließt mit dem »Einjährigen« (Mittlere Reife) ab. Mit ihrer Mutter zieht sie 1939 in die Rheingoldstraße 32 in Berlin- Karlshorst, wo sie häuﬁg ihre Tante und deren angenommenen Sohn Dieter triﬀt. 1939 besucht sie die Private Kunstschule des Westens von Emmy Stalmann (1878–1951) in der Kant- straße 154 A in Berlin-Charlottenburg (bis 1941). An der Kunstschule unterrichtet seit 1937 Hans Scholz (1911–1988) als Nachfolger von Gerhard Ulrich (1903–1988). 163 1941 Mit ihm verbindet Ruth eine lange Freundschaft. 1955 erscheint dessen Erfolgsroman Am grünen strand der spree, der 1960 verﬁlmt wird. Sie beginnt das Studium der Malerei und Freien Graﬁk an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste Berlin (bis 1944) bei den Professoren Gerhard Ulrich, Kurt Wehlte, Wilhelm Tank, Hermann Franke und Carl Michel. Während dieser Zeit entstehen Akt- und Porträtzeichnungen sowie Werke mit Arbeitermotiven und erste Illustrationen. Im Laufe der Kriegsjahre beob- achtet sie Deportationen von Verfolgten der NS-Diktatur. Während ihrer Studienzeit arbeitet sie von 1941 bis 1944 in den Zeichentrickﬁlmateliers von Wolfgang Kaskeline (1892–1973). Der soge- nannte UFA-Kaskeline ist der einzige noch in Deutschland tätige jüdische Regisseur in dieser Zeit. In seinen Ate- liers in Neubabelsberg versteckt Kaske- line auch Verfolgte, um sie vor dem Zugriﬀ der Gestapo zu schützen. Dazu gehören u. a. zwei Kommilitoninnen und Freundinnen von Ruth, die bei Kaskeline arbeiteten: Uta von Kardorﬀ (*1921), geborene von Witzleben, und Lilo von der Horst, die sich immer wieder den Verhören der Gestapo stellen mussten. 1942 Ruth begegnet vermutlich Sinti und Roma in der Kleingartenanlage Wiesengrund in Karlshorst. Die Arbeit Zigeuner im Regen, 1943 entsteht. Nahe Karlshorst beﬁndet sich das Zwangslager Berlin-Marzahn, in das Sinti und Roma eingewiesen werden. Von hier werden 1943 die

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B I O G R A P H Y 1923 Ruth Johanna Kellner is born in Coburg on June 27 into a theatrical family: her father Kurt Rupli (1899– 1960) is a theater director and later head of production for UFA, her mother Margarethe Kellner-Conrady (1899–1969) an actress. 1941 1924–1934 1935–1939 Mother and daughter move to the Tiergarten district in the center of Berlin in 1924. e later composer and musical director Heinz Struve (1925–2015) becomes a childhood friend; in 2013 he publishes his auto - biography, in the Jungle: Between nazis and stalinists. Beginning of her lifelong friendship with Marie-Luise Krüger (later Bieder) in 1926. In 1935 the Kellners move to the Berlin district of Karlshorst. Ruth attends the Karlshorst Lyzeum (known after 1938 as the Marie von Ebner Eschenbach Schule). She gradu- ates with the “Einjährige” (secondary school certiﬁcate). In 1939 she moves with her mother to Rheingoldstraße 32 in Karlshorst, where she often sees her aunt and her aunt’s foster son Dieter. In 1939 she visits the Kunstschule des Westens, a private art school directed by Emmy Stalmann in the Kantstraße 154 A in the Berlin district of Charlottenburg (until 1941). Hans Scholz (1911–1988), succes - sor to Gerhard Ulrich (1903–1988), has taught at the art school since 1937. A long friendship develops with Ruth. 164 1942 In 1955 his novel on the Green Beach of the spree is a success and is ﬁlmed in 1960. Ruth begins to study painting and graphic arts at the Staatliche Hoch - schule für bildende Künste Berlin (State Academy for Fine Arts, until 1944) under professors Gerhard Ulrich, Kurt Wehlte, Wilhelm Tank, Hermann Franke, and Carl Michel. During this time she draws nude studies and portraits, works with motifs of workers, and makes her ﬁrst illustrations. During the war years she observes deportations of people persecuted by the Nazi dictatorship. During her studies, she works in the animated ﬁlm studios of Wolfgang Kaskeline (1892–1973) from 1941 to 1944. e so-called UFA Kaskeline is the only Jewish director still working in Germany during this period. In his stu- dios in Neubabelsberg, Kaskeline also hides persecuted people, in order to protect them from the Gestapo. ese include two fellow students and friends of Ruth who worked for Kaskeline: Uta von Kardorﬀ (*1921, née von Witzleben), and Lilo von der Horst, who repeatedly has to submit to interrogations by the Gestapo. Ruth presumably meets Sinti and Roma in the Wiesengrund allotment garden area in Karlshorst. She creates the work Zigeuner im Regen (Gypsies in the Rain, 1943). Near Karlshorst there is a forced labor camp in Berlin-Marzahn, where Sinti and Roma are conﬁned. From here, the prisoners are deported to Auschwitz in 1943 and murdered there.

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1943 1944 Häftlinge nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. An der Akademie lernt sie Florian Breuer (1916–1994), einen Schüler von Max Kaus (1891–1977), kennen, mit dem sie eine jahrzehntelange Verbindung haben wird. Er vermittelt ihr die Aquarellmalerei und prägt ihr Kunstschaﬀen damit stark. Sie lernt ihre Kommilitonin Annemarie Stübler (verh. Kranz) kennen, die sie mehrfach porträtiert. Stübler lebt nach dem Krieg in der DDR. Beide bleiben in engem Kontakt. Den Sommer 1943 verbringt Ruth mit dem Reichsarbeitsdienst bei Lauen- burg, Pommern (heute: Lębork/Polen), zum Torfstechen. Später wird sie diese Zeit als »ausgesprochen bereichernd« bezeichnen. Sie heiratet den Studienkollegen Eduard Alfred Gustav Busse (1914– 2003) aus Bielefeld, der unmittelbar nach der Hochzeit an die Front zurück- kehren muss. Infolge der Evakuierung der Staatlichen Hochschule in Berlin wechselt sie für fünf Monate zum Studium an die Staatliche Industrie- und Kunstgewer- beschule Sonneberg in üringen. Sie bewirbt sich um einen Studien- platz an der Staatlichen Kunsthoch- schule Dresden, Abteilung Malerei und Plastik. Weil nur Kriegsversehrte aufgenommen werden, erhält sie eine Absage und kehrt nach Berlin zurück. 1945 Am 3. Februar erlebt Ruth den schlimm sten Luftangriﬀ auf Berlin. Am 8. Mai erfolgt die Kapitulation. Berlin-Karlshorst wird durch die sowje- tische Armee zum Sperrgebiet erhoben. 165 Ihr bleiben nur wenige Stunden, um einen Teil ihrer Arbeiten aus der Woh- nung Rheingoldstraße 32 zu retten. Sie zieht nach Berlin-Lichtenrade und arbeitet kurzzeitig als Pressezeichnerin für die deutsch-sowjetische Berliner Zeitung. Nach der Begegnung mit dem Arzt Dr. Fritz Kohs werden dessen Gesichts- züge in mehreren ihrer Kompositionen erkennbar. In Lichtenrade übernimmt sie die Leitung eines von der sowjetischen Besatzungsmacht gegründeten Jugend- heims (später Lortzingclub) und arbeitet ab Juli als Zeichenlehrerin am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium in Lichtenrade. Es entstehen erste Aqua- rellzeichnungen, darunter Knaben - porträts und Atelierecke (Abends). 1946 Anfang des Jahres siedelt sie nach Bielefeld über und ernährt dort allein ihre nachgereiste Familie. Sie pendelt jedoch regelmäßig nach Berlin. Die Ehe mit Eduard Busse wird geschieden. Sie lernt den Feuilletonchef der Freien Presse in Bielefeld, Dr. Steﬀ Koch, kennen. 1947 Der Sohn omas Christian Busse wird geboren. Mit dem Auftakt ihrer Karriere als Illustratorin, angewandte Graﬁkerin und freischaﬀende Malerin entstehen Illustrationen für Zeitungen und Magazine wie die linksgerichtete Freie Presse (1949–1953) sowie Magazin der hausfrau (1949–1954). Sie gestaltet eine Reihe von Kinder- und Jugend - büchern, aber auch Belletristik, wie etwa Werke von Alfred Döblin und Oscar Wilde.

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1943 1944 At the academy she meets Florian Breuer (1916–1994), a student of Max Kaus (1891–1977), who will remain a friend for decades. He teaches her watercolor painting and thus exerts a strong inﬂuence on her artistic work. She meets fellow student Annemarie Stübler (later Kranz), whom she portrays several times. Stübler lives in the GDR after the war. ey remain in close contact with each other. Ruth spends the summer of 1943 with the Reich Labor Service near Lauenburg, Pomerania (today: Lębork, Poland), digging peat. Later she will describe this time as “particularly enriching.” She marries fellow student Eduard Alfred Gustav Busse (1914–2003) from Bielefeld, who has to return to the front immediately after the wedding. As a result of the evacuation of the Staatliche Hochschule in Berlin, she studies at the Staatliche Industrie- und Kunstgewerbeschule Sonneberg (State Vocational School of Arts and Crafts) in uringia for ﬁve months. Her application to the Department of Painting and Sculpture at the Staatliche Kunsthochschule Dresden (State Academy of Art) is rejected because only those disabled in the war are admitted. She returns to Berlin. 1945 On February 3, Ruth experiences the worst air raid on Berlin. On May 8, Germany surrenders. Berlin-Karlshorst is declared a restricted area by the Soviet Army. She has only a few hours to save some of her work from her apartment at Rheingoldstraße 32. She moves to the Lichtenrade district in 166 Berlin and works brieﬂy as an illustrator for the German-Soviet Berliner Zeitung. After meeting the physician Dr. Fritz Kohs, his facial features can be recognized in several of her composi- tions. In Lichtenrade she takes over the management of a youth center founded by the Soviet occupation forces (later Lortzingclub) and from July works as a drawing teacher at the Ulrich von Hutten Gymnasium (high school). She produces her ﬁrst watercolor drawings, including portraits of boys and Atelierecke (Abends) (Studio Corner, Evening). At the beginning of the year, she moves to Bielefeld and becomes the sole breadwinner for her family, who arrive afterwards. But she commutes regularly to Berlin. She and Eduard Busse divorce. She meets Dr. Steﬀ Koch, head of the feature section of the Freie Presse newspaper in Bielefeld. 1946 1947 Birth of her son omas Christian Busse. She launches a career as an illustra - tor, applied graphic artist, and freelance painter, creating illustrations for news- papers and magazines such as the left- leaning Freie Presse (1949–1953) and Magazin der hausfrau (1949–1954). She creates the graphic design for a number of children’s and youth books, as well as ﬁction, including works by Alfred Döblin and Oscar Wilde. She establishes connections with the Bielefeld publisher Erich Vogel (1906–1956) and the lawyer Albert Daltrop (1886–1977), who has returned from eresienstadt.

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1948–1951 Verbindungen zu dem Bielefelder Verleger Erich Vogel (1906–1956) und dem aus eresienstadt zurück - gekehrten Rechtsanwalt Albert Daltrop (1886–1977) werden gepﬂegt. Es kommt zu einer ersten öﬀentli- chen Beteiligung mit Tuschzeichnungen an der Ausstellung Deutsches Buch- schaﬀen in Bielefeld. Sie tritt dem Landesberufsverband Bildender Künstler Nordrhein-Westfalen bei und nimmt bis 1952 an zahlreichen Gruppenausstellungen teil. In den Jahren 1947 bis 1948 ist sie stark in der Kultur- und eaterszene engagiert. Der Schauspieler Hans Wintrath (1905–1965) wird ein enger Bekannter und später Freund der Familie Baumgarte. Sie lernt den schwedischen Unter- nehmer Carl Erik Pihl (1914–1970) kennen, mit dem sie nach Paris reist. Mit dem Bühnenbildner Johann Wenzel Minarik (1925–1999), der später u. a. an der Münchner Staatsoper tätig ist, hat sie eine kurze Beziehung. Ruth lernt den Unternehmer Hans Baumgarte (1917–1999) bei einer eigenen Ausstellung mit Kinderbild- nissen kennen und porträtiert dessen beiden Söhne aus erster Ehe. Von 1950 bis 1953 reist sie gemeinsam mit Hans Baumgarte mehrmals an den Bodensee. 1952 Die Ehe mit dem Industriellen Hans Baumgarte wird geschlossen. Aus dieser gehen die Kinder Janine und Alexander hervor. Der Patchwork-Familie gehören auch die Kinder aus erster Ehe Ernst- August und Hans-Herrmann an. Die Hochzeitsreise führt das Paar zu 167 den Olympischen Spielen in Helsinki und durch ganz Skandinavien. Es beginnt eine Zeit intensiver Reisetätigkeit, u. a. durch ganz Europa, mehrwöchige Rundreisen durch Spanien und Italien sowie zahlreiche Aufenthalte in vielen internationalen Großstädten, immer wieder auch in Berlin. Reisebilder wie die Aquarelle Finnische impression (1952), Blick auf den Vesuv (1955) und istanbul (1960) entstehen. Im Auftrag der Eisenwerke Baumgarte fertigt Ruth Kalenderillus- trationen (bis 1969), die zum Werk - zyklus Fabrikwelten führen, und die sie zusammen mit dem befreundeten Bielefelder Graﬁker Werner Kuhnert umsetzt. Für das eater Apollo in Düssel- dorf, das von ihrem Vater für die UFA geleitet wird, gestaltet sie 1952 das Programmcover. Weitere Aufträge, u. a. durch die Firma Dr. Oetker folgen. Aus gesellschaftlichen Gründen wird ihr die Illustrationsarbeit für die politisch linksgerichtete Freie Presse von ihrem Mann untersagt. In den Jahren 1954 bis 1961 ent- stehen zahlreiche Porträts, Stillleben und eaterdarstellungen. 1956 holt Kurt Rupli, Ruths Vater, die Oper Porgy and Bess von George Gershwin während einer Welttournee nach Düsseldorf an das Apollo eater. Erste internationale Ausstellungen des Werks von Ruth Baumgarte ﬁnden statt: Galeria Machico, Estoril, Portugal (1954), Galleries Dr. Khalili, Teheran, Iran (1957), Circolo Nautico, Alessio, Italien (1961). 1953–1959

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1948–1951 Ruth presents ink drawings at the Deutsches Buchschaﬀen show in Biele- feld, her ﬁrst public participation in an exhibition. She joins the Professional Association of Visual Artists in North Rhine-Westphalia, participating in numerous group exhibitions until 1952. In the years 1947 to 1948 she is actively involved in the cultural and theater scene. e actor Hans Wintrath (1905– 1965) becomes a close acquaintance and later friend of the Baumgarte family. She meets the Swedish businessman Carl Erik Pihl (1914–1970), with whom she travels to Paris. She has a brief relationship with the stage designer Johann Wenzel Minarik (1925–1999), who later works at the State Opera in Munich and elsewhere. Ruth meets the businessman Hans Baumgarte (1917–1999) at her exhibi- tion of children’s portraits, and portrays his two sons from his ﬁrst marriage. From 1950 to 1953 she travels several times to Lake Constance together with Hans Baumgarte. 1952 She marries the industrialist Hans Baumgarte, with whom she has two children, Janine and Alexander. e patchwork family also includes the children from his ﬁrst marriage, Ernst-August and Hans-Herrmann. eir honeymoon takes the couple to the Olympic Games in Helsinki and through Scandinavia. A period of intensive travel begins, including tours throughout Europe and several weeks of round trips through Spain and Italy, as well as numerous journeys to many large international 168 cities, including repeated visits to Berlin. Baumgarte creates travel paintings including the watercolors Finnische impression (Finnish Impression, 1952), Blick auf den Vesuv (View of Vesuvius, 1955), and istanbul (1960). Commissioned by the Baumgarte Ironworks, she produces calendar illustrations (until 1969), which lead to the cycle of works Fabrikwelten (Factory Worlds), realized together with the graphic artist Werner Kuhnert, a friend from Bielefeld. In 1952, she designs the program cover for the Apollo eater in Düssel- dorf, which is managed by her father for UFA. Further commissions follow, including from the Dr. Oetker company. For social reasons, Baumgarte’s husband forbids her to do illustration work for the politically left-wing Freie Presse. In the years 1954 to 1961 she cre- ates numerous portraits, still lifes, and theater illustrations. In 1956 Kurt Rupli, Ruth’s father, brings George Gershwin’s opera Porgy and Bess to the Apollo eater in Düsseldorf during a world tour. e ﬁrst international exhibitions of Ruth Baumgarte’s work are held at Galeria Machico, Estoril, Portugal (1954), Galleries Dr. Khalili, Tehran, Iran (1957), and Circolo Nautico, Alessio, Italy (1961). From the mid-1950s on she visits the island of Sylt annually. Between 1957 and 1959 she undertakes a ﬁrst trip to Johannesburg, South Africa, and to Egypt. 1953–1959

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Ab Mitte der 1950er-Jahre folgen 1975–1979 1960–1972 1973–1974 jährliche Aufenthalte auf Sylt. Zwischen 1957 und 1959 unternimmt sie eine erste Reise nach Johannesburg, Südafrika, und nach Ägypten. Um 1960 reist sie wiederholt in den Iran, u. a. nach Teheran, Ishafan und an das Kaspische Meer. 1960 stirbt ihr Vater Kurt Rupli. 1965 stirbt der enge Freund und Schauspieler Hans Wintrath. 1966/67 entsteht Kontakt zur Kulturszene in Prag aufgrund des Werkzyklus Fabrikwelten. Ihr wird ein Lehrauftrag an der örtlichen Kunst - akademie angeboten. Aufgrund von Trennungsabsichten des Ehepaars Baumgarte erwägt Ruth nach München zu ziehen. 1969 stirbt die Mutter Margarethe Kellner-Conrady. 1970 folgt der überraschende Tod von Carl Erik Pihl. Ihre Werke zeigen ab 1970 erstmals die gesellschaftliche Sensibilisierung für Gesellschafts- und Umweltthemen, z. B. in den Werken Meditation (1975) und später Winter (1975). Es kommt zu intensiven Reisen in die östlichen Pyrenäen und zur Auseinan- dersetzung mit den durch den Spani- schen Bürgerkrieg belasteten Regionen (Portbou und Ampurdán), die bereits Alma Mahler-Werfel, Walter Benjamin und Lion Feuchtwanger während ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten prägten. 1974 ﬁndet eine Einzelausstellung in der Galerie Chamoizzi, Lyon, Frank- reich, statt. 169 1980 1975 tritt sie dem Bundesverband Bildender Künstler Ostwestfalen-Lippe bei. Bis 1985 kommt es zur Teilnahme an zahlreichen Ausstellungen des Ver- bandes. 1975 wird die Produzentengalerie Das Fenster in Bielefeld gegründet, die sie bis 1982 betreibt und damit auch die regionale Kunstszene fördert. Der ehemalige Feuilletonchef der neuen Westfälischen, Martin Bodenstein, schreibt in seinem Buch Mimen, Maler und Mimosen: »Das Fenster besaß eine winzige Sitzecke für Enthusiasten, die nicht auf Kunst- komfort, sondern auf komfortable Kunst und obendrein auf Konversation mit ihren Schöpfern Wert legten. Mit ihrer legendären Galerie habe Ruth Baumgarte ›die Butzenscheiben der Provinz aufgestoßen‹.« 1975 begeht ihr Cousin Dieter Noack (geb. 1938) Selbstmord. 1978 entsteht das Werk Der entschluss, in dem das gesellschaft- lich tabuisierte ema Suizid verar- beitet wird. 1976 stirbt die Tante Anna-Marie Schubert (Dada). Ab 1980 kommt es zu jährlich mehr- monatigen Aufenthalten in Afrika, parallel zu Reisen durch Europa und immer wieder nach Spanien. Künstle- risch entwickelt sich die Auseinander- setzung mit gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, u. a. nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl im Jahr 1986. Es entstehen die Bilderfolge Wintertod (1982–1983), ausgehend vom spanischen skizzenbuch Bilder zur spanischen Legende sowie die Folge »A la recherche du temps perdu /

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1980 In his book Mimen, Maler und Mimosen (Actors, Painters, and Mimosas), Martin Bodenstein, former head of the arts section of the neue Westfälische newspaper, writes: “Das Fenster had a tiny seating area for enthusiasts who did not value art comfort, but comfortable art and, on top of that, conversation with its creators. With her legendary gallery, Ruth Baumgarte had ‘pushed open the windows of the province’.” In 1975, her cousin Dieter Noack (*1938) commits suicide. In 1978 she creates the work Der entschluss (e Decision), which deals with the socially taboo subject of suicide. In 1976, her aunt Anna-Marie Schubert (Dada) dies. From 1980 on she visits Africa every year for several months, while also making trips through Europe and repeatedly to Spain. Artistically, she engages with social and political changes, including those after the nuclear disaster in Chernobyl in 1986. She creates the series of pictures Wintertod (Winter Death, 1982/83), based on the spanisches skizzenbuch (Spanish Sketchbook) pictures on the Spanish Legend, as well as the series “A la recherche du temps perdu / Lebensabend I” (A la recherche du temps perdu / Twilight Years, 1984), Der Zweifel (e Doubt, 1985), and Der Freund (e Friend, 1985). She begins with the Africa Cycle, which by 2011 will comprise about 100 works. It deals with the socio-political upheavals on the African continent. 1960–1972 1973–1974 1975–1979 Around 1960 she travels on several occasions to Iran, including Tehran, Isfahan, and the Caspian Sea. In 1960 her father Kurt Rupli dies. In 1965 her close friend, the actor Hans Wintrath, dies. In 1966/67 she establishes contact with the cultural scene in Prague through her cycle of works Fabrik- welten. She is oﬀered a teaching position at the local art academy. e Baumgartes plan to separate, and Ruth Baumgarte considers moving to Munich. In 1969 her mother Margarethe Kellner-Conrady dies. In 1970 Carl Erik Pihl dies suddenly. After 1970, her work begins to reveal an awareness of social and envi- ronmental issues, for example in the works Meditation (1975) and später Winter (Late Winter, 1975). In-depth travels to the eastern Pyrenees, where the artist engages with the regions aﬀected by the Spanish Civil War (Portbou and Ampurdán), which had already inﬂuenced Alma Mahler- Werfel, Walter Benjamin, and Lion Feuchtwanger during their ﬂight from the Nazis. In 1974 a solo exhibition is held at the Chamoizzi Gallery, Lyon, France. In 1975 she joins the Federal Associa- tion of Visual Artists in Ostwestfalen- Lippe. She participates in numerous exhibitions of the association until 1985. In 1975, the artists’ co-operative gallery “Das Fenster” is founded in Bielefeld, which she manages until 1982, promoting the regional art scene. 170

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1984–1987 1990–1999 Lebensabend I« (1984) und Der Zweifel (1985) sowie Der Freund (1985). Sie beginnt mit dem Afrika-Zyklus, der bis 2011 ca. 100 Werke umfassen wird. Er thematisiert die gesellschaftli- chen und sozialpolitischen Umbrüche des afrikanischen Kontinents. 1984 tritt sie dem Lippischen Künstler- bund bei. Ab 1985 reﬂektiert sie in Milieustu- dien die Spannungsfelder zwischen Individuum und Gesellschaft, Mensch und Natur. Bei häuﬁgen Begegnungen mit Nichtsesshaften, so auch in New York, triﬀt sie auf einen Mann, der in Eises- kälte nur mit einer Schulterdecke bekleidet ist. Die Erlebnisse führen zu der acht- teiligen Zeichnungsserie »Nichtseßhaft« (ab 1986). 1986 wird sie mitverantwortliche Gründerin der Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld. Um 1987 nimmt sie Kontakt zum staatlichen Kunsthandel der DDR und zur ostdeutschen Kunstszene auf. Von Gerhard Kettner, Rektor der Hoch- schule für Bildende Künste Dresden, wird ihr ein Lehrauftrag angeboten. Seit 1990 steht sie in freundschaftlicher Verbindung zu dem renommierten Kunsthändler Joachim Jean Aberbach (1910–1992) und dessen Frau Susan, New York. Ab 1992 kommt es zur intensiven internationalen Ausstellungstätigkeit, u. a.: Ladengalerie Berlin (1991), Frost & Reed Ltd., London, Großbritannien (1992), G. W. Einstein Company Inc., New York, USA (1993), Galleria Giulia di Roma, Rom, Italien (1994), Stichting Veranneman, Kruishoutem, 171 Belgien (1996), Galleria Marieschi di Monza, Italien (1997). Es entstehen die mehrteilige Werkreihe »African Landscapes« sowie die Werke Wanting to Build a house (1994), A Man Without Livestock isn’t a Man (1994) und his Land (1994). 1993 kommt es zur ersten Präsenta- tion der »Afrika«-Bilder im Kunstverein Paderborn. In den Jahren 1995 bis 1997 malt sie das monumentale Triptychon e stream of Time. Reisen nach Spanien (Ibiza), wo sie auch den ZERO-Künstler Heinz Mack (*1931) triﬀt, folgen, ebenso wie die Begegnung mit dem Autor Martin Suter (*1948). 1999 stirbt ihr Ehemann Hans Baumgarte. Im Jahr 2000 reist sie nach Afrika, Italien, Spanien (Ibiza), USA und Großbritannien. Es ﬁndet die Einzelausstellung Visiones Africanas in der Sala Pelaires Galeria d’Art, Palma de Mallorca, Spanien, statt. Ab 2001 folgen die Einzelausstel- lungen African Visions bei Susan Aberbach Fine Art, Fuller Building, New York, USA, sowie 2002 bzw. 2004 die Einzelausstellungen in der Galerie Schloss Mochental, Ehingen, und der Galleria Marieschi di Milano, Mailand, Italien. Das letzte Selbstbildnis bleibt ebenso wie das letzte Werk des Afrika-Zyklus, Afrikanische Komposition, unvollendet. 2012 wird die Kunststiftung Ruth Baumgarte gegründet. Am 7. Februar 2013 stirbt Ruth Baumgarte in Bielefeld. 2000–2004 2011–2013

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(1994), A Man Without Livestock isn’t a Man (1994), and his Land (1994). In 1993 the ﬁrst presentation of the “Africa” paintings takes place at the Kunstverein Paderborn. From 1995 to 1997 she paints the monumental triptych e stream of Time. She makes trips to Spain (Ibiza), where she meets the ZERO artist Heinz Mack (*1931) and encounters the author Martin Suter (*1948). In 1999 her husband Hans Baumgarte dies. In 2000 she travels to Africa, Italy, Spain (Ibiza), the United States, and the United Kingdom. e one-woman exhibition Visiones Africanas is held at Sala Pelaires Galeria d’Art, Palma de Mallorca, Spain. From 2001, she has one-woman shows African Visions at Susan Aberbach Fine Art, Fuller Building, New York, as well as solo exhibitions at Galerie Schloss Mochental, Ehingen (2002), and Galleria Marieschi di Milano, Milan, Italy (2004). e last self-portrait remains unﬁn- ished, as does the last work of the Africa Cycle, African Composition. e Ruth Baumgarte Art Foundation is founded in 2012. Ruth Baumgarte dies in Bielefeld on February 7, 2013. 2000–2004 2011–2013 1984–1987 1990–1999 In 1984 she joins the Lippe Artists’ Association. Beginning in 1985, she reﬂects on the tensions between the individual and society, man and nature, in milieu studies. During her frequent encounters with homeless people, including in New York, she meets a man clad only in a blanket over his shoulders in the freezing cold. e experiences lead to the eight- part drawing series “Nichtseßhaft” (Vagrant, from 1986 on). In 1986 she becomes co-founder of the Samuelis Baumgarte Gallery, Bielefeld. Around 1987 she establishes con- tact with the state art trade of the GDR and the East German art scene. She is oﬀered a teaching position by Gerhard Kettner, rector of the Hochschule für Bildende Künste Dresden (Academy of Fine Arts). From 1990 she is on friendly terms with the renowned art dealer Joachim Jean Aberbach (1910–1992) and his wife Susan, New York. Starting in 1992 she engages in intensive international exhibition activity, including: Ladengalerie Berlin (1991), Frost & Reed Ltd, London, United Kingdom (1992), G. W. Ein- stein Company Inc, New York, USA (1993), Galleria Giulia di Roma, Rome, Italy (1994), Stichting Veranneman, Kruishoutem, Belgium (1996), Galleria Marieschi di Monza, Monza, Italy (1997). She produces the multi-part series of works “African Landscapes,” as well as the works Wanting to Build a house 172

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Bildnachweis / Picture Credits: S. / pp. 26/27, 31, 75, 79: What If e World Gallery (Cape Town), photographer: Hayden Phipps S. / p. 135: bpk / Maurice Zelewski / adoc photos S. / p. 149: Fondation Gandur pour l’Art, Genève © Photographic credit: Fondation Gandur pour l’Art, Genève. Photographer: Lucas Olivet Für alle anderen abgebildeten Werke und Details / For all other reproduced works and details: Ulrich Helweg, Kalletal © Kunststiftung Ruth Baumgarte Umschlagvorderseite / Front cover: Rückkehr / Return, 1994, Detail von / detail of S. / p. 32 Rückseite / Back cover: Der Afrikaner / The African, 1993, Detail von / detail of S. / p. 37 Frontispiz / Frontispiece: Frühes Selbstbildnis / early self-Portrait um / around 1947 Öl auf Hartfaser / Oil on masonite 45 × 37 cm Kunststiftung Ruth Baumgarte Ganzseitige Abbildungen / Full page images: S. / p. 6: Afrikanische Landschaft i / African Landscape I, Detail von / detail of S. / pp. 112/113 S. / p. 13: Der Afrikaner / e African, Detail von / detail of S. / p. 37 S. / p. 38: Rift Valley, Detail von / detail of S. / pp. 16/17 S. / p. 62/63: Der Afrikaner / e African, Detail von / detail of S. / p. 37 S. / p. 88: ein haus bauen wollen / Wanting to Build a House, Detail von / detail of S. / pp. 124/125 S. / p. 109: Afrikanische Landschaft iV / African Landscape IV, Detail von / detail of S. / p. 115 S. / p. 132: Afrikanische Landschaft iii / African Landscape III, Detail von / detail of S. / p. 117 S. / pp. 154/155: Afrikanische Landschaft i / African Landscape I, Detail von / detail of S. / pp. 112/113 S. / p. 156: sein Land / His Land, Detail von / detail of S. / pp. 20/21 S. / p. 176: Afrikanische Landschaft i / African Landscape I, Detail von / detail of S. / pp. 112/113

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Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung / is catalogue has been published on the occasion of the exhibition Ruth Baumgarte. Africa: Visions of Light and Color Albertina, Wien / e Albertina Museum, Vienna 8. Dezember 2022 – 5. März 2023 / December 8, 2022 – March 5, 2023 575. Ausstellung der Albertina / 575th exhibition of the Albertina Museum Ausstellung / Exhibition Generaldirektor / Director General Klaus Albrecht Schröder Kuratorin / Curator Angela Stief Assistenzkuratorin / Curatorial Assistant Martina Denzler Ausstellungsorganisation / Exhibition Management Barbara Buchbauer, Elisabeth Wolﬁk Restauratorische Betreuung / Conservation Graﬁk- und Gemälderes- taurierung der Albertina / Prints, Drawings and Paintings Conservation of the Albertina Museum Rahmung und Passepartourierung / Framing and Mounting Rahmung der Albertina / Framing Department of the Albertina Museum Katalog / Catalogue Herausgegeben von / Edited by Klaus Albrecht Schröder und / and Angela Stief Redaktion / Editing Martina Denzler, Lisa Trapp Produktionsleitung / Head of Production Sandra Maria Rust Projektmanagement Hirmer Verlag / Project Management Hirmer Publishers Cordula Gielen Lektorat Deutsch / German Copyediting Claudia Wagner, Starnberg Lektorat Englisch / English Copyediting Jane Michael, München / Munich Übersetzung aus dem Englischen / Translation from the English Birgit Lamerz-Beckschäfer, Datteln Übersetzung aus dem Deutschen / Translation from the German David Sánchez Cano, Madrid Design Christoph Steinegger / Interkool Herstellung / Production Sophie Friederich, Hirmer Verlag Lithograﬁe / Pre-press Reproline mediateam GmbH & Co. KG, Unterföhring Papier / Paper Gardamatt Art, 150g/m² Druck und Bindung / Printing and Binding Printer Trento s.r.l., Trento © 2022 ALBERTINA, Wien / e ALBERTINA Museum, Vienna; Hirmer Verlag, München / Munich; und die Autorinnen und Autoren / and the authors © Kunststiftung Ruth Baumgarte © Athi-Patra Ruga, What If e World Gallery (Cape Town) Printed in Italy ISBN 978-3-7774-4129-0 (Museumsausgabe / Museum edition) ISBN 978-3-7774-4126-9 (Buchhandelsausgabe / Trade edition) www.hirmerverlag.de www.hirmerpublishers.com Bibliograﬁsche Information der Deutschen National- bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek ver- zeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliograﬁe; detaillierte biblio- graﬁsche Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek: e Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbiblio- graﬁe; detailed bibliographic data is available online at http://dnb.de. Jahrespartner der Albertina / Annual Partner of the Albertina Museum Partner der Albertina / Partner of the Albertina Museum