Die Samuelis Baumgarte Galerie präsentiert eine große Retrospektive mit über 100 Werken aus sieben Jahrzehnten der kürzlich verstorbenen, international bekannten Künstlerin Ruth Baumgarte. Die Vernissage findet am Samstag, dem 6. Juli 2013 um 17:00 Uhr statt. Zur Ausstellung erscheint eine 224-seitige Publikation mit umfangreichen Farbabbildungen. Am 27.06.2013 wäre die Malerin und Mäzenin Ruth Baumgarte 90 Jahre alt geworden. Die aus diesem Anlass geplante Retrospektive ist nun zu einer posthumen Ehrung geworden, da Ruth Baumgarte am 7. Februar 2013 verstorben ist.
Gezeigt wird die Werkschau Ruth Baumgarte als nicht-kommerzielles Kulturereignis in Zusammenarbeit mit der 2012 gegründeten Ruth Baumgarte Kunststiftung, die Ruth Baumgartes künstlerisches Lebenswerk zukünftig verwalten, fördern und darüber hinaus alljährlich einen Preis an eine/n figurativ arbeitende/n Künstlerin und Künstler verleihen wird.
Die 1923 in Coburg geborene und in Berlin aufgewachsene Künstlerin stammt aus einer alten Theaterfamilie. Ihr Vater war der UFA-Direktor und Mehrheitseigner der Tobis Filmproduktionen Kurt Rupli und ihre Mutter die anerkannte Schauspielerin Margarethe Kellner-Conrady. Ihre erste künstlerische Ausbildung erhielt sie bereits als Schülerin und besuchte 1938 die bekannte Private Kunstschule des Westens von Emmy Stalmann in Berlin.
Film zur Ausstellung
Von 1940 bis 1944 studierte sie freie Graphik und Malerei an der Hochschule für bildende Künste Berlin bei den Professoren Ulrich, Michel, Tank, Franzke und Wehlte. Während des Studiums war sie ständige Mitarbeiterin der Kaskeline-Zeichentrickfilmateliers, Berlin. Infolge der Evakuierung der Hochschule im Zweiten Weltkrieg wechselte sie auf die Staatliche Industrie- und Kunstgewerbeschule in Sonneberg in Thüringen, bis sie 1945 nach Berlin zurückkehrte.
Selbstbildnis (...an der Tür), 1979, Bister, Kreide und Aquarell auf Papier, 40 x 38 cm.
Das Kriegsende erlebte die junge Künstlerin in Berlin. Nach der Kapitulation Deutschlands wurde sie dort Pressezeichnerin an der ersten deutsch-russischen Berliner Zeitung und Zeichenlehrerin am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium. Nur aufgrund ihrer ersten Ehe mit einem aus Bielefeld stammenden Künstler siedelte sie 1946 nach Westdeutschland um. Die Ehe hielt trotz ihres ersten gemeinsamen Sohnes Thomas nur noch kurze Zeit.
Ruth Baumgarte wurde seit 1947 Illustratorin bei diversen Buchverlagen, Zeitungen und Zeitschriften, so auch der in Bielefeld ansässigen Freien Presse (einer Vorgängerzeitung der heutigen Neuen Westfälischen). Über zweitausend Illustrationen entstanden für Bücher, Magazine und Zeitschriften. In dieser Zeit begann sie sich auch einen Namen als freischaffende Künstlerin zu machen und präsentierte ihre Arbeiten in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Ende der 1940er Jahre lernte sie ihren späteren, zweiten Ehemann, den Industriellen Hans Baumgarte, auf einer Ausstellung ihrer Kinderporträts kennen.
1952 heirateten Ruth und Hans Baumgarte. Aus der Ehe gingen die Kinder Janine (Tierärztin) und Alexander (Galerist und Kunsthändler) hervor. Seit den frühen 1950er Jahren reiste Ruth Baumgarte in viele Länder Europas, die Staaten des damaligen Ostblocks, später immer wieder nach Afrika, in den Nahen Osten, nach Vorderasien und die USA. 1975 gründete sie die Bielefelder Galerie Das Fenster, aus welcher Mitte der 1980er Jahre die mit ihrem Sohn Alexander gegründete, heute international agierende Samuelis Baumgarte Galerie und der spätere Unternehmenszweig Art Consulting hervorgingen. Ruth Baumgarte hat ein variantenreiches und vielschichtiges Œuvre hinterlassen, in welches die Samuelis Baumgarte Galerie mit der Retrospektive zum 90. Geburtstag einen umfassenden Einblick gewährt. Die Kunst von Ruth Baumgarte, welche fest in der figürlichen Tradition verankert ist, beeindruckt durch einen außergewöhnlichen Kolorismus, welcher sich durch das Gesamtwerk zieht.
Bereits im Frühwerk von Ruth Baumgarte, welches zeitgeschichtlich während der NS-Diktatur entsteht, wird subversive Kritik am bestehenden Regime sichtbar. So thematisiert die frühe Zeichnung Zigeuner im Regen (1943) die politischen Zustände und lässt sogar das Thema der Deportation, aber auch subtile Anzeichen vermuteter Vernichtung anklingen, so dass Ruth Baumgarte diese Arbeiten zur damaligen Akademie-Zeit nicht offiziell hätte zeigen können. Ein frühes Belegstück ihrer künstlerischen Selbstbehauptung ist das nonkonformistisch angelegte Frühe Selbstbildnis (um 1947). In androgyner Kleidung, mit Baskenmütze und vor allem: mit einer Zigarette im Mund, verstößt sie wie selbstverständlich gleich gegen mehrere Verhaltenskodices der Zeit.
Die Werke unmittelbar nach dem Krieg stimmen als eigene Formulierungen insgesamt überein mit den Rekonstruktionssehnsüchten der Menschen im Nachkriegsdeutschland. Arbeiten wie Atelierecke (1945) und Stillleben (1948) oder Kinderbildnisse wie Heidi (1949) und Kleine Tänzerin (1950) sind einerseits Verarbeitungen mit damit verbundenen Hoffnungen, andererseits Bilder einer positiven Zukunftszugewandtheit im Rahmen einer Kunst, die sich neuen Erkenntnissen, neue Wahrheiten zuwendet.
Beeinflusst durch ihre zahlreichen Reisen in ferne Länder klingt bereits in frühen Arbeiten, wie z.B. In den Vorstädten (1964), die ausgeprägte Farbigkeit an, welche später in ihrem Afrika-Zyklus seine volle Entfaltung findet. So berührt der Akt Meditation (1975) nicht nur durch die sinnliche Form der weiblichen Figur, sondern insbesondere durch die intensiv blau-gelbe Farbgebung.
Immer wieder greift Ruth Baumgarte auch tiefgründige, politische und gesellschaftskritische Themen auf, wie in Der Zweifel (1985) oder Und die weißverfärbten Gesichter waren plötzlich schwarz (1986). Auch die Arbeiten der vierteiligen Serie Wintertod (1982−1983), mit der Verschmelzung von Individuum und Landschaft und dem symbolischen Vergleich des Winters als Tod der Natur mit dem Ableben eines Menschen, waren für Ruth Baumgarte immer wichtig und verkörperten bedeutende Erkenntnisse über Welt und Schicksal.
Ein herausragendes Kapitel begann mit ihren Reisen nach Afrika. Beeinflusst durch die für Europäer ungewohnten, unwirklichen Farben des afrikanischen Kontinents, ist die Farbgebung der Afrika-Serie leuchtend, explosiv strahlend und ausdrucksorientiert, fast rauschhaft und schwelgend. So sprechen Ihre Gemälde wie African Vision (1999) oder The Daily Chat (1995) mit Ihren warmen Farben direkt die Emotionen des Betrachters an.
Bei Ruth Baumgarte besitzen die Afrika-Bilder doppelte Relevanz: Einmal als ästhetische Ereignisse, zum anderen als Position im politisch-sozialen Spannungsfeld, wie es in Rift Valley (1997), Burning Sky (1998) oder Inferno (2003) deutlich wird. Auch die Studien und Zeichnungen, vor allem zu Afrika, z.B. Study I-VI (1997), sind besonders detailliert gestaltet. Impulse aus früheren Beispielen aufnehmend und weiterentwickelnd, spielen sie mit freier, schwingender oder sich knäuelnd verdichtender Linie, um dem Blattgrund eine Gestalt abzuringen. Der Afrika-Zyklus, welcher mit farbig-leuchtenden, großformatigen Ölgemälden wie dem Triptychon von 1995/97 Turn of the Fire, Even the Elephant‘s Death will Occur on a Single Day und The Stream of Time die große Halle dominiert, wurde seit Ende der 1980er Jahre international in großen Einzelausstellungen, u. a. in New York, London, Rom, Mailand, Paris und Berlin gezeigt.