Im East Village, 1988
Ein Mann in Hut und dickem Mantel tritt uns auf dem Bürgersteig entgegen. Sein Kopf ist so weit nach vorne geneigt, dass sein rotbärtiges Gesicht unter dem Hut nicht zu erkennen ist. Während die eine Hand tief in einer Manteltasche steckt, hält die andere Hand einen kleinen Blumentopf, an seinem Handgelenk hängt achtlos eine Plastiktüte. Trotz der Kälte hält der Mann das Usambaraveilchen fürsorglich vor sich in der Hand, um es nicht zu zerdrücken. Die dunklen Rasterfassaden im Hintergrund wirken kalt, die in Blautönen changierende Straße öffnet sich links zu einem tiefen Abgrund und die Auslagen am rechten Bildrand erscheinen unbelebt. Sein anonymer Auftritt wird durch die städtische Umgebung unterstrichen, doch gleichzeitig tritt er durch seine sorgsame Geste aus der kalten Umgebung heraus. Die komplementären Kontrasttöne seines roten Barts und grünen Huts, seines gelb-bräunlichen Mantels und der violetten Blüten beleben zudem die Szene.
Die Malerin baut einen Kontrast zwischen den anonymen Großstadtbauten und der fürsorglichen Haltung des Mannes gegenüber dem winzigen Stück blühender Natur auf und entwickelt so ein romantisches Sehnsuchtsmotiv. Ruth Baumgarte hat in ihren sozialkritischen Aquarellen immer wieder die wachsende Unwirtlichkeit der Städte und die Vereinsamung des Menschen porträtiert. Die geschilderte Szene beobachtete die Künstlerin während ihres New-York-Aufenthalts und zeigte sie als Kehrseite zu dem pulsierenden Szeneviertel East Village in Manhattan.