Atelierecke (abends), 1945, Aquarell und Tusche (Feder) auf Ingrespapier, 45,2 x 30,7 cm

Atelierecke (abends), 1945

Pures Rot, Blau, Gelb und Grün – Ruth Baumgarte entwirft mit dem Werk Atelierecke eines ihrer ersten expressiven Aquarelle. Auf den ersten Blick erweckt das Interieur mit Stuhl, Wandregal, Blumenvase und Fenster behagliche Bürgerlichkeit. Doch das Stillleben mit den grün belaubten Ästen im Krug und insbesondere die rechts ins Bild ragende Staffelei verraten, dass der Raum noch einem anderen Zweck dient: als Zeichenraum für den Unterricht.

Nach ihrem Kunststudium und ersten beruflichen Aufträgen arbeitete Ruth Baumgarte als Zeichenlehrerin am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium in Berlin-Lichtenrade. Ab Juli 1945 fand der Unterricht mit den Schülern im Privathaus des Schuldirektors direkt gegenüber des eigentlichen, aber zerstörten Gebäudes statt. Außer ein paar dunklen Schatten am Fenster und einem Stromkabel deutet jedoch nichts im Bild auf einen herbstlich-kalten Oktoberabend hin: Die Farben bringt die Malerin durch die Nass-in-Nass-Technik so stark in Bewegung, dass sie imstande sind, im Raum ein eigenes Licht zu entzünden und mit den Mitteln der Kunst einen vorzeitlichen Jahreszeitenumschwung anzukündigen.