Später Winter, 1975, Aquarell, Gouache und Kreide auf Papier, 69,8 x 55,7 cm

Später Winter, 1975

Im Mittelpunkt dieses faszinierenden Aquarells steht eine Winterlandschaft mit einer Katze, die gerade ihre Beute in Sicherheit bringt. Von ihrem Urinstinkt angetrieben, wendet sie sich drohend gegen mögliche Angreifer um. Ihr langer Schwanz streicht angriffslustig über die dünne Eisdecke. Ihre schmalen Augen leuchten wie Scheinwerfer gelb auf und zeigen, dass sie sich auch in unwirtlichen Verhältnissen ein Überleben sichern kann. In einer Federzeichnung hat Ruth Baumgarte die Monumentalität des Tiers gegenüber seiner Umgebung bereits angelegt. Durch die bewusste Verschiebung der Größenverhältnisse verleiht sie der kreatürlichen Szene eine symbolhafte Bedeutung.

Später Winter stellt einen Wendepunkt in Ruth Baumgartes Oeuvre dar. Die Dominanz rationalen, wirtschaftlichen Denkens erhält ab 1970 erste Risse und eine neue Gefühlskultur entwickelt sich im Zuge der Studentenbewegung. Ruth Baumgarte reagiert auf die Veränderungen: Ihre Darstellungen entfernen sich von nüchternen Darstellungen hin zu sinnhaft gesteigerten Kompositionen. Sie setzt nun die in der Kunst oft als „Mädchenkunst“ belächelte Aquarellmalerei ein, um die neue „Eiszeit“ in ihrem privaten und öffentlichen Umfeld künstlerisch auszudrücken. Farblich unruhige Flächen verwebt sie zu glasartigen Bildgründen, deren Knirschen man angesichts Später Winter förmlich zu hören scheint. Die Kreatur steht auf unsicherem Boden und muss sich gegenüber den unwägbaren Elementen der Natur behaupten.