Folge: Und die weißverfärbten Gesichter waren plötzlich schwarz (Atomwolke), 1986, Aquarell auf Papier, 74,8 x 55,5 cm

Folge: Und die weißverfärbten Gesichter waren plötzlich schwarz (Atomwolke), 1986

Zwei Figuren sind in einen abstrakten Farbraum gesetzt. Im Vordergrund kniet ein Mann in gebeugter Haltung und bedeckt resigniert seine Augen mit beiden Händen. Hinter ihm erscheint eine Frau, die mit vor Entsetzen starren Augen einen Punkt unter ihr fixiert, und dabei ein Tuch in die Höhe hält. Über ihnen, am oberen Bildrand, scheint sich eine helle pilzartige Form im undefinierbaren Raum auszubreiten. Sie ist der Grund für die Ohnmacht und die Angst der Dargestellten. 

Der konkrete Anlass für das Aquarell ist die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986. Nachfolgend herrschte in der deutschen Öffentlichkeit große Verunsicherung über den Umgang mit dem atomaren Störfall. 

Die Möglichkeiten der Aquarelltechnik, durchscheinende bis verdichtete Flächen zu erzeugen und das Fließen der Farbe selbst sichtbar zu machen, setzt Ruth Baumgarte in dieser Arbeit gezielt ein, um die fortschreitende Auflösung der Körper aufzuzeigen. Die Weißwerte, traditionell Papierpartien, die keine Farbe bedecken, deuten auf den unsichtbaren Prozess hin. Sie bilden zugleich helle Lichtpunkte und – symbolhaft – Fehlstellen im Bild. Je mehr die Farbe aus den Körpern entwichen ist, desto stärker werden die Auswirkungen der weißen Wolke in den Fehlstellen sichtbar, die die angststarre Frau mit ihrem erhobenen Tuch noch zu verhindern sucht. Auch die ineinanderlaufenden Farbflächen des Raums bieten für die Menschen keine Orientierung mehr, die einem Abgrund entgegen sehen.

Die Künstlerin zeigte in diesem Werk, dass sie, wie auch in anderen Werken aus den Achtzigerjahren daran interessiert war, die unsichtbaren Auswirkungen politischer Krisen auf die Psyche des Einzelnen zu reflektieren.