Der Zweifel (Zweifel), 1985
Typisch für ihre Arbeiten in den Jahren ab 1975 ist, wie Ruth Baumgarte aus einer humanistischen Haltung heraus aktuelle Gesellschaftsthemen mit der Strahlkraft des Aquarells verknüpft. Sowohl von der Komposition als auch vom Figurenpersonal her nimmt diese Arbeit eine Sonderstellung unter den großformatigen Aquarellen der Achtzigerjahre ein. Transparent aquarellierte Schichten verschränken mehrere Erzählstränge und lassen eine vieldeutige, kaleidoskopartige Bildwelt entstehen.
An der vorderen Bildebene ist ein Mann zu sehen, der seinen Kopf in die Hand gelegt hat. Ähnlich wie in Francisco de Goyas bekannter Radierung Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (1793−1799) erscheinen hinter und über ihm geheimnisvoll wirkende Gestalten, die Spielarten seiner Welt und Persönlichkeit verkörpern: Ein Mann im Smoking im städtischen Ambiente, ein athletischer Junge, ein suchender Liebhaber vor einer nächtlichen Bar. Über diesen Figuren und der Stadt thront eine weibliche Figur, die uns mit halb geöffneten Augen ansieht.
Die einzelnen Ebenen sind nicht mehr zu unterscheiden, so eng greifen die Umrisse der dargestellten Figuren ineinander. Eine adernartige Struktur zieht sich über die gesamte Bildebene hinweg und splittert den bewegten Szenenwechsel auf. Das prekäre Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft wird so in der inneren und äußeren Zerrissenheit der Figur und dem farblichen Warm-Kalt-Kontrast anschaulich dargestellt.