Anatomical Landscape II (Africa X), 1991, Öl auf Karton, 138 x 98,5 cm

Anatomical Landscape II (Africa X), 1991

Seit ihrer Akademiezeit hat Ruth Baumgarte immer wieder Rückenakte von Männern und Frauen gezeichnet. Mit den kantigen Konturen des Kohlestifts erkundete sie schon damals bestimmte anatomische Details, u. a. die Schulterpartie, und vitalisierte so ihren Gegenstand. Nun wechselt sie in die Ölmalerei, um das Sujet des Rückenakts, das nach Michelangelo und Gericault in der Moderne durch figürlich-expressive Maler wie Egon Schiele oder später Lucien Freud und Rainer Fetting wiederentdeckt wurde, auch für sich neu zu formulieren.

Ab 1991 wendet sich Ruth Baumgarte vermehrt der Ölmalerei zu und definiert das Verhältnis von Figur und Grund neu. Die gegenständliche Figur ist nun oft von einem abstrakten Raum umgeben, wie dieses ausdrucksstarke Beispiel anschaulich zeigt.

Das Gemälde wird völlig von einer Rückenfigur beherrscht. Rücken und Arme sind aus breiten und flächigen, pastosen Pinselstrichen zusammengesetzt, die eine bewegte All-Over-Struktur bilden. Dabei setzt die Malerin nebeneinanderliegende Farbwerte wie Gelb, Orange und Rostrot sowie Grün, Türkis und Blau ein, um fließende Übergänge im Farbauftrag zu erzielen und allein durch die Farbe die einzelnen Elemente des Körpers plastisch zu modulieren. Die Künstlerin griff mit der »Modulation« auf ein malerisches Grundprinzip von Paul Cézanne zurück, wonach sich ein Bild aus richtig gesetzten Farbtönen selbst modelliere, und übersetzte es in die expressive Ölmalerei.

Vom Halswirbel aus zieht ein heller werdender Streifen von Orange und Gelb nach unten und leuchtet im Bereich der Wirbelsäule hell auf; der linke Arm geht an der Schulter farblich in den Hintergrund über, genauso wie der rote Farbstrom den oberen Rücken »durchzieht«. Der Rücken wird zur einzigen lebenden Membran, die die Farbflut im Umfeld in sich aufnimmt. Eine ausgewogene Balance zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion entsteht, durch die der Körper zur Landschaft und die Landschaft zum Körper wird.