Arbeiter auf dem Dach, 1943, Tusche (Feder, Pinsel) und Kohle
auf grauem Ingrespapier, laviert, 56,7 x 42,3 cm

Arbeiter auf dem Dach, 1943

Auf dem fast 60 cm großen Blatt stellt die junge Zeichnerin mit Feder und Pinsel in Tusche eine pointierte Szene dar. Zwei Männer, die in ihrer Kleidung mit Schiebermütze und ausgebeulter Jacke als Arbeiter gekennzeichnet sind, befinden sich in angeregtem Gespräch auf einem Dach. Der eine hebt gestikulierend und deutlich sichtbar die Hand, der andere blickt ruhig rauchend, mit einer Hand in der Hosentasche, auf die Ruinen gegenüber. 

Ruth Baumgarte setzt die Tusche als malerisches Mittel ein, um Figur und Umraum plastisch auszuarbeiten. Sie legt die Szene zuerst in schwarzen Konturen an und modelliert dann mit breiten Pinsel- und Federstrichen die Binnenformen eines Arms oder Rückens. Der graue Grund und die dunkelgrau bis schwarz dargestellte Szene tragen zur düsteren Atmosphäre des Blatts bei.

Das mit wenigen Pinselstrichen erfasste, expressiv anmutende Tuscheblatt greift mit den beiden Arbeitern ein auf den ersten Blick unverfängliches Thema auf. Doch Bildmotive wie Arbeiter in einer von Bomben zerstörten Stadt unter einem düsteren Himmel zu zeigen, waren nicht die heroischen Themen, die im Kunstkanon des Naziregimes als vorbildhaft galten. Die Figuren des Arbeiters, des Bauern oder des Soldaten fungierten zwar als wichtige Bildgegenstände in der damaligen deutschen Reichskunst, doch wurden sie mit Werkzeug wie Hacke, Hammer oder Sichel zusammen gezeigt, um auf ihren körperlichen Arbeitseinsatz zu verweisen und ihre jeweilige Profession zu repräsentieren. Die Zuordnung der Arbeiter in der Zeichnung von Ruth Baumgarte zu einer eindeutigen Tätigkeit, seien es Dach- oder Aufräumarbeiten, bleibt unklar. Sie sitzen oder stehen von den Betrachtern abgewandt und sind mehr mit sich als mit einer klar umrissenen Aufgabe beschäftigt. Auch folgt ihre Darstellung keinem geschönten, neo-klassizistischen Körperbild, so dass dieses Blatt nicht im Kontext des Akademieunterrichts entstanden sein kann.

Das Arbeitermotiv wird sie ab den Fünfzigerjahren in ihren Illustrationen wieder aufgreifen, siehe das Kapitel Fabrikwelten.