Kunst vor 1945 - Coming of Age

Zigeuner im Regen, 1943, Kreide auf Papier, 48 x 37,8 cm

Wacher Blick für Menschen und Situationen

Erste Impulse und weitreichende Prägungen für ihren weiteren künstlerischen Werdegang erhält Ruth Baumgarte von 1941 bis 1944 an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Berlin-Charlottenburg. Ihre fundierte Ausbildung in freier Grafik und Zeichnung vermittelt ihr Gerhard Ulrich in der Fachklasse Illustration. Kurt Wehlte, Spezialist für Maltechnik, führt sie in die Malerei ein. Von Beginn an hat Ruth Baumgarte einen wachen Blick für die Menschen und Situationen in ihrem sozialen Umfeld, nimmt die Verstrickungen und Zustände der Zeit genau auf und offenbart in ihren künstlerischen Darstellungen die gesellschaftlichen Verhältnisse. 

Subversive Hinweise 

Eines ihrer frühen bedeutenden Werke - Zigeuner im Regen- entsteht noch während ihrer künstlerischen Ausbildung. Zeichnerisch präsentiert sie schon jetzt ihr Talent mit einer detailreichen Darstellung der Figuren sowie komplizierten räumlichen Arrangements. Das Motiv zeigt zwei flüchtende Musiker vor der Silhouette des Bahnhofs Wuhlheide, der in der Nähe der damaligen Wohnung der Künstlerin in Berlin-Karlshorst liegt und Durchgangsbahnhof für die Deportationszüge nach Auschwitz war. 

Die Darstellung von Sinti und Roma in der Kunst ist bemerkenswert und entsteht sicher außerhalb des Unterrichts, geben doch solche Darstellungen subversive Hinweise auf die unerbittlichen Folgen der menschenverachtenden Rassenideologie während des Nationalsozialismus.

Zum Oeuvre

Knabenportrait, 1944, Pastellkreide auf grauem Ingrespapier, 41 x 31,3 cm

Die verlorene Generation

Während der Kriegsjahre beobachtet sie Deportationen von Verfolgten der NS-Diktatur und einige ihrer Arbeiten erzählen von Vertreibung und Verfolgung – ein wichtiger Beitrag zur Kunst im Zweiten Weltkrieg. Bemerkenswert ist auch die beeindruckende Porträtserie von jungen und älteren Männern um 1943/44, denn in ihrer Darstellung entlarvt die Künstlerin eindrucksvoll deren Ohnmacht und Angst vor dem Volkssturm gegen Kriegsende und fängt die unausweichliche Lage in resignativen und melancholischen Bildnissen ein. 

Moderne Porträtmalerei

Gleichzeitig lernt sie die handwerklich anspruchsvolle Aquarellmalerei über den Studienfreund Florian Breuer kennen, der sie durch diese Maltechnik stark prägen wird. Ihre außergewöhnliche Gabe als Porträtistin manifestiert sich in Selbstbildnissen in den Jahren zwischen 1940 und 1944. Ebenso widmet sie dem Kind in der Kunst ihre Aufmerksamkeit mit einer Reihe einfühlsamer Porträts von Kleinkindern und Jugendlichen. Ihre Porträtkunst gilt allgemein als wichtiger Beitrag zur modernen Porträtmalerei.