Umwelt- und Sozialthemen

Folge: Und die weißverfärbten Gesichter waren plötzlich schwarz (Atomwolke), 1986, Aquarell auf Papier, 74,8 x 55,5 cm

Stilpluralismus und der "Hunger nach Bildern"

Die deutsche Kunst der 80er-Jahre wendet sich von Konzeptkunst und Minimalismus ab und kehrt unter anderem mit den Neuen Wilden zu einer von Expressivität und Emotionalität geprägten Malerei mit einer großen stilistischen Vielfalt zurück. Erwartungshaltungen, dass der Künstler stets Bilder neu erfinden müsse, gelten nicht mehr. In der Kunst herrscht ein neuer Stilpluralismus, der sich auch aus dem Bildfundus vergangener Jahrhunderte bedient und den „Hunger nach Bildern“ (Wolfgang Max Faust) stillt. 

Aufgrund privater Umbrüche kann sich Ruth Baumgarte während dieser Zeit wieder verstärkt ihrer Malerei widmen und setzt sich in ihrer Kunst der 80er-Jahre mit gesellschaftlichen und politischen Brennpunkten wie das Wettrüsten im Kalten Krieg oder die Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl auseinander. Umwelt- und Sozialthemen nehmen nun einen zentralen Platz in ihrer Kunst ein.

“Symbolische Formen spielen in dieser Phase eine immer größere Rolle, die Bildebenen schieben sich zusammen und verschränken sich zu flächigen Kompositionen. Es dominieren düstere, dunkle Farbtöne, die Darstellung entfernt sich von einer nüchternen Abbildung hin zu symbolistischen und teils surrealen Kompositionen.” (Eckhart J. Gillen, Kunsthistoriker und Kurator, Berlin)

 

Zum Oeuvre

Im East Village, 1988, Aquarell und Kohle auf Papier, 74,9 x 55,3 cm

Unbequeme Sozialthemen in der Kunst

In ihrer Kunst in Umbruchzeiten führt die Malerin die Aquarelltechnik zu absolut künstlerischer Hochform. Sie lädt die Aquarelle mit unbequemen Sozialthemen ihrer Zeit auf und reagiert auf politische Debatten der Gesellschaft mit der Darstellung von Tabuthemen in ihrer Kunst wie Alterseinsamkeit, Selbstmord oder die Aids-Epidemie. Das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Umwelt, die Folgen der Industrialisierung, macht sie in einer Werkreihe zur Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung sichtbar. 

Ihre Darstellungen entfernen sich nun von nüchternen Darstellungen hin zu sinnhaft gesteigerten Kompositionen. In ihren Aquarellen tauchen nun kompliziert geschichtete, durchscheinende, fließende Bildgründe auf, die den Abgebildeten keinen sicheren Halt im Raum mehr geben. Auf symbolische Weise macht sie darauf aufmerksam, dass die vermeintlichen Sicherheiten moderner Gesellschaften brüchig werden. Wo früher reale Szenen dargestellt sind, finden sich nun Symbole des Seelischen bis hin zu teils surrealen Kompositionen. Es sind sinnbildliche Darstellungen der Vanitas (Vergänglichkeit) und des Todes in der Kunst, die die verunsicherte Gesellschaft lebensnah veranschaulichen.