Braunschweig Vision Africa 2019

VORWORT Die Ausstellung „Ruth Baumgarte – Vision Afrika. Turn of the Fire“ ist in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall für das Städtische Museum Braunschweig. Sie widmet sich einer ungemein spannenden Künstlerin, die Afrika über viele Jahre bereiste und ihre persön- lichen Visionen dieses facettenreichen und widersprüchlichen Kontinents entwickelte. Afrika war seit jeher das Ziel einer Un- zahl von Projektionen seitens der Europäer. Es wurde beispiels- weise ein prominentes Thema in der exotistischen Malerei, die die Sensationen des „Fremden“ feierte. Während der Kolonial- zeit wiederum wurde Afrika in der Fotografie erforscht – doku- mentarisch, aber auch voyeuristisch im Eroberungsstil. Zu allen diesen und späteren Versuchen, Afrika im Bild auf Sen- sationen hin ‚auszuschlachten‘ und im Bild ‚festzumachen‘, liefert Ruth Baumgarte einen Gegenentwurf. Mit ihren lichten, zuwei- len wie geträumt wirkenden Landschaften, die jede Materie transparent erscheinen lassen, flüchtige Phantome versammeln, zeigt sie, dass jedes Bild von Afrika nur eine persönliche Vision ist. So inszeniert Ruth Baumgarte einen gleichberechtigten Dia- log zwischen dem Kontinent und der Künstlerin. Ihre Afrika-Land- schaften sind durch dynamische Farbverläufe und Strudel ge- prägt. Damit veranschaulicht Ruth Baumgarte die Energien des Kontinents, ohne ihn leichtfertig protokollieren zu wollen. Afrika ist für das Städtische Museum Braunschweig schon seit der Gründungszeit in den 1860er Jahren ein wichtiges Thema. Im Haus entstand unter anderem durch Schenkungen von Reisen- den, Sammlern, Wissenschaftlern und gerade auch von Vertre- tern der Kolonialpolitik des Kaiserreichs eine umfangreiche Afri- ka-Sammlung. Das Städtische Museum verfolgt das Ziel, die hauseigenen Sammlungen weiterhin umfassend zu erforschen, historisch zu situieren und gerade auch bezüglich kolonialge- schichtlicher Aspekte und der Legalität von Erwerbungen zu un- tersuchen. Hinsichtlich einer kritischen Reflexion der europäischen Wahr- nehmung von Afrika passen Ruth Baumgartes ebenso energie- reiche wie sensible Visionen des Kontinents und die Philosophie des Hauses wunderbar zueinander. Deshalb werden – unabhän- gig von der Ruth-Baumgarte-Schau – während der Ausstellungs- zeit in der Ethnologischen Abteilung des Hauses im 1. Oberge- schoss ausgesuchte Stücke gezeigt, die das Thema Afrika in Braunschweig umkreisen und teilweise genau den kolonialisti- schen Blick aufzeigen, zu dem die Werke Ruth Baumgartes in scharfem Kontrast stehen. Grundlage für das Zustandekommen dieser Ausstellung war die Zusammenarbeit mit der Kunststiftung Ruth Baumgarte, Biele- feld. Herzlich danke ich dem Vorsitzenden des Vorstands Alexan- der Baumgarte, dem Stiftungsleiter Marco Gutjahr und der Stif- tungsmitarbeiterin Viktoria Nixdorf für die vertrauensvolle, effi- ziente Kooperation und die engagierte Unterstützung des Pro- jekts sowie den zahlreichen Leihgebern von Werken Ruth Baum- gartes. Das Team des Städtischen Museums betreute die Schau in be- währter qualitätvoller Weise wissenschaftlich und organisato- risch. Mein Dank gilt insbesondere Martin Baumgart, Dr. Lars Berg, Heike Billerbeck, Berit Dost, Dr. Evelin Haase, Annika Hille, Jörg Liewald, Wolfgang Koebbel, Thomas Mattern, Désirée Oh- lendorf, Garnet Rösch-Meier, Gabriele Schneider, Bianca Strauß. Afrika ist ein Kontinent mit vielen strukturellen Problemen. Afrika ist aber auch ein Kontinent der Potentiale, der die Zukunft der Welt nachhaltig mitbestimmen wird. Man darf und sollte Afrika nicht unterschätzen. Gerade diesen Grundsatz verbildlicht Ruth Baumgarte mit ihren weiten Afrika-Landschaften, die vor Energie nur so vibrieren. Direktor Städtisches Museum Braunschweig Dr. Peter Joch Vorwort 7

h c o J r e t e P PHANTOM WELT – RUTH BAUMGARTES VISIONEN VON AFRIKA Ruth Baumgarte präsentiert „ihr“ Afrika, das sie vielfach erkun- dete, stets als Welt von energetisch aufgeladenen Farben und starken Kontrasten. Diese malerische Methode nutzt Ruth Baum- garte durchaus in symbolischem Sinne: Sie zeigt einen vitalen Kontinent, dessen Landschaft vor Energie zu vibrieren scheint und von großen gesellschaftlichen Kontrasten in übertragenem Sinne unwiderruflich geprägt ist. Ihre persönliche künstlerische Afrika-Reise im Bild beginnt Ruth Baumgarte in Ägypten. Sie skizziert Marktszenen in Luxor (Abb. 1) und Kairo (vgl. Kat.-Nr. 2), zeigt ein Gewimmel aus farbig gewan- deten Händlern und Kunden in strahlendem Licht. Die hellen, pas- Abb. 1 | Luxor, 1985, Öl auf Leinen-Malpappe, 40 x 30 cm tellfarbenen Architekturen sind als flächige Kulissenwände aufge- baut. Die Farbigkeit und der Aufbau nach Flächenwerten erinnern an die Darstellungen, die anlässlich der berühmten „Tunisreise“ der drei Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet entstan- den. Diese Reise im April 1914 gehört sicherlich zu den wichtigsten Schlüsselmomenten der künstlerischen Rezeption des Kontinents Afrika in der Moderne. Sie bedeutete einen Meilenstein in der Ent- wicklung einer abstrahierenden Kunst, die sich von Mustern des figurativen Expressionismus vollständig löste. Die Künstler der „Tu- nisreise“ entwickelten hierbei stilistische Mittel weiter, wie sie unter anderem Paul Cézanne erarbeitet hatte. Cézanne schuf in seinen Landschaften sozusagen einen Makro-Verbund einzelner abstrahierter, flächiger Bildzonen. Er nutzte Farbmodulationen als Mittel durch sinnliche Wirkungen auf den Betrachter bildnerische Perspektiven zu definieren und Räume zu erzeugen. Genau an die- ses Prinzip schließen die Künstler der „Tunisreise“ in ihren luziden, leichten Darstellungen von nordafrikanischen Szenen an – und schließlich auch, unter anderen Vorzeichen, Ruth Baumgarte in ihren Visionen eines ‚fremden‘ Kontinents. Sie zeigt Szenen aus Nordafrika, speziell Ägypten, mit der lichtdurchstrahlten Leichtigkeit, die schon die Ikonen der „Tunisreise“ kennzeichnete. Dabei redu- ziert sie beispielsweise die Architektur – ganz im Sinne von Klee, Macke und Moilliet – auf einzelne abstrahierte, leuchtende Felder. Der Kontinent mit seinem strahlenden Licht und seinen farben- prächtigen Szenen wird so im angemessenen Modus in Szene gesetzt: Afrika erscheint als heller, dynamischer Kontinent, als vitale Kulisse für bewegtes Leben. Ruth Baumgarte denkt die „Tunisreise“ nunmehr aber auf zwei- erlei Weise fort. Ihre zweite Methode, die ‚afrikanischen‘ Bild- muster von Macke, Klee und Moilliet fortzuspinnen und neu zu deuten, ist noch wesentlich subtiler und eigenständiger angelegt als die Komposition lichter abstrahierter Bildbühnen. Schauen wir auf ihr frühes Porträt „In Ägypten“ aus dem Jahr 1985 (Abb. 2). Zu sehen ist ein dunkelhäutiger Ägypter vor dem Hintergrund ei- ner Wüstenlandschaft. Die Landschaft besteht aus einzelnen re- duzierten, abstrahierten Bildsektoren, aus Flecken und Farbströ- men, wie sie aus der informellen Malerei bekannt sind. Mit der vereinzelten Figur vor einem unendlichen Horizont und mit diesen 8 Peter Joch

Abb. 2 | In Ägypten, 1985, Öl auf Hartfaser, 40 x 50 cm dynamischen fließenden Formen, die keinen direkten Abbildcha- rakter aufweisen, entfernt sich die Darstellung von den Mustern der Genremalerei, die noch die ägyptischen Marktszenen Ruth Baumgartes geprägt hatten. Der porträtierte Ägypter mit seinem mitgenommenen Gesicht – ein Augenlid scheint herabzuhängen – steht frei vor einer pulsierenden Landschaft. Der Mensch ist nicht eingepasst, er ragt heraus, er fordert den Betrachter zu einer Aus- einandersetzung auf. Er ist einsam. Nichts lenkt von ihm und sei- nem erkennbar schwierigen Leben ab. Energiereiches Afrika und in buchstäblichem Sinne fragwürdige Umstände menschlicher Existenz – diese beiden Momente wird Ruth Baumgarte in ihren Visionen von Afrika immer wieder ausloten. Aus den abstrahierten, leuchtenden ‚Kachel-Mustern‘ nach Vorbild der „Tunisreise“ entwickelt Ruth Baumgarte also eine aus infor- mellen Farbströmen zusammengesetzte, unkalkulierbare Welt- landschaft. Wie die Künstler der „Tunisreise“ nutzt sie weiterhin lichtstarke, abstrahierte Bildsektoren. Im Gegensatz zur Kunst der 1910er Jahre aber blendet sie in zunehmendem Maße individuelle Figuren in die Darstellungen ein, zeigt ein Afrika der Menschen, keines der künstlerisch selbstgenügsamen Impres- sionen von Kulissen. Sie präsentiert Afrika nicht als idyllisch- malerisches Theatrum licht aufstrahlender Szenen, sondern eher als Hort ebenso faszinierender wie unkalkulierbarer und schließ- lich auch bedrohlicher Kräfte. In den afrikanischen Landschaften Ruth Baumgartes als Energiespeichern sendet jeder Gegen stand seine spezifische Strahlung aus. Im Gemälde „The Water Carrier“ von 1991 (vgl. Kat.-Nr. 36) lodern die Pflanzen genauso unbändig wie das Lagerfeuer am Bildrand. In „African Landscape I“ (vgl. Phantom Welt – Ruth Baumgartes Visionen von Afrika 9

Kat.-Nr. 42) werden die Energie und die wechselnden Texturen des Landes durch harte Kontraste hell leuchtender Farbzonen zum Ausdruck gebracht. Unter einem roten Himmel explodieren die Farben nahezu. Die Energie Afrikas ist allgegenwärtig und durchdringt selbst beschaulich scheinende Landschaftsmotive. „African Landscape IV“ (Abb. 3) zeigt eine Gebirgslandschaft, die aus lauter strahlenden, klar abgegrenzten Farbbahnen zusam- mengesetzt ist. Die Farben veranschaulichen die Dynamik Afrikas. Gleichzeitig nutzt Ruth Baumgarte eine farbliche Vielfalt von Far- ben, um den Facettenreichtum des Kontinents zum Ausdruck zu bringen. Die Energie Afrikas nimmt im Werk auch bedrohliche Zustände an. So ist „African Landscape III“ (Abb. 5) ein einziger feuriger Strudel aus gleißendem Licht. Das Licht scheint die Menschen Abb. 3 | African Landscape IV, 1993, Öl auf Karton, 137 x 98 cm 10 Peter Joch

Abb. 4 | Anatomical Landscape II, 1991, Öl auf Karton, 137 x 98 cm Abb. 5 | The African III, 2001, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm zu verbrennen. Ein sitzender Mann bedeckt mit seinen Händen den Kopf, ein anderer streckt die Arme gen Himmel. Die feurige Landschaft, die auch an Sandstürme denken lässt, scheint die Menschen permanent existentiell herauszufordern. In glühenden Farbstrudeln müssen sich die vereinsamten Menschen zu be- haupten versuchen. Ruth Baumgarte thematisiert Momente von Gefährdung und Überlebenswillen, inszeniert die Landschaft als bedrohliche Kulisse, als Schauplatz von Dramen, die durch Gesten sparsam angedeutet sind. Bei diesen Szenen befinden sich die Figuren nicht allein in einer Landschaft, sondern sind mit der Landschaft alleine schon durch die verwendeten Formen strukturell eng verbunden. „Afrika I“ aus dem Jahr 1986 (vgl. Kat.-Nr. 24) erhebt eine solche Überblen- dung zum Prinzip. Gezeigt ist in Nahsicht ein Afrikaner, dessen Gesicht halb transparent zu sein scheint. Die Landschaft mit ihren Höhenzügen und der bewölkte Himmel scheinen durch den Men- schen sozusagen hindurch. Der Mensch bevölkert nicht allein Afrika, er ist geradezu Afrika, spiegelt Afrikas Kräfte, Afrikas Strukturen. Ruth Baumgarte zeigt damit, wie sehr der Kontinent die Menschen prägt, dass er das Schicksal der Menschen ist – im Guten wie im Schlechten. Afrika und die Menschen sind eins. Diese ganzheitliche Sicht auf den Kontinent führt Ruth Baumgarte dem Betrachter auf hintergründige Weise vor. In diesem bildneri- schen Schmelztiegel sind Mensch und Landschaft durchlässige Membranen, die einander durchdringen, sind Materie und imma- terielle Vision zugleich. So spiegelt im Gemälde „On the River Bank“ (vgl. Kat.-Nr. 28) die Figur das grüne Licht des Wassers wider. In ähnlicher Weise bettet die Szene „Rest By the Way“ (vgl. Kat.- Nr. 26) die Menschen – Mutter und Kind, die auch an ‚exotische‘ Figuren Paul Gauguins denken lassen – stimmig in eine vielfarbig gefleckte Landschaft. Wie ein Programmbild wirkt in diesem Zusammenhang „Anatomical Landscape II“ (Abb. 4). Hier sind Körper und Landschaft untrennbar miteinander verwoben, ist jeder Linienzug Landschaft und menschlicher Körper zugleich. Die afrikanische Landschaft ist oft – das zeigten bereits die feurigen Panoramen – gnadenlos. In dem Bild „In the Desert“ (vgl. Kat.-Nr. 37) scheint die Wüste vor sengender Hitze zu flirren. In ihrer schattenlosen Weite, die alles Lebendige buchstäblich zu Phantom Welt – Ruth Baumgartes Visionen von Afrika 11

durchziehen scheint, wird der sitzende Mann zu einem nahezu durchsichtigen, entleerten Phantom, zu einer Fata Morgana, einer flüchtigen Vision. In diesem Sinne wirken auch in „Morning I“ (vgl. Kat.-Nr. 38) Mensch und Vieh wie körperlose Gespenster, wie immaterielle Traumgestalten, wie vergängliche Schatten. Durch das Ensemble flüchtiger Figuren setzt Ruth Baumgarte ei- ner alles beherrschenden Natur eine kleine, allzu vergängliche Sphäre der Menschen entgegen. Mit dieser Gegenübersetzung entwickelt sie ein künstlerisches Konzept von Landschaft weiter, das seit der Romantik die Tradition der abendländischen Malerei Abb. 6 | Turn of the Fire (Triptychon), 1995–1997, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm 12 Peter Joch

Abb. 7 | African Vision, 1998–1999, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm Abb. 8 | A man without livestock isn’t a man, 1994, Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm wesentlich bestimmt: Die Künstler der Romantik – allen voran natürlich Caspar David Friedrich – hatten die Natur als allumfas- senden Organismus interpretiert, als Hort der Ewigkeit, der die Welt der Menschen überkrönt und relativiert. Vor unendlichen Ho- rizonten erscheint der Mensch bei den Romantikern als ebenso begrenztes wie verlorenes Wesen, als einsame Seele. Genau die- se Opposition von großer und kleiner Welt präsentiert auch Ruth Baumgarte. Sie reflektiert aber nicht im Sinne der Romantiker über das Wesen der Natur schlechthin, sondern verwendet Mittel der malerischen Romantik, um den spezifischen majestätischen Charakter der afrikanischen Landschaften herauszustellen, die lichte Weite unter einer gleißenden Sonne, die das vergängliche Phantom Mensch gnadenlos bestrahlt. Bei diesem symbolträchtigen – in zweiter Instanz romantischen – Spiel um Transparenz und Auflösung der Figur kommt der Farbe eine besondere Rolle zu. Sie ist nicht gegenstandsgebunden, dient nicht der Markierung einzelner Körper. Sie erzeugt vielmehr Strömungen und Wirbel, die in die Figuren hineinfließen. So erscheinen die menschlichen Figuren als Bestandteil der farbli- chen Dynamik im Bild. Prägnante Beispiele für die farbliche Ver- schmelzung von Figur und Landschaft sind etwa „African Land- scape V „ (vgl. Kat.-Nr. 48), „His Land“ (vgl. Kat.-Nr. 49) oder auch „In a remote Spot“ (vgl. Kat.-Nr. 77) von 1998. Durch die Farben, die alle Grenzen zwischen belebt und unbelebt überwinden, ver- lieren die Figuren ihre Materie, werden sie Transmitter von Ener- gie. Dieser Effekt ist besonders gut im Gemälde „Turn of the Fire“ von 1995–1997 (Abb. 6) zu erkennen. Hier durchstrahlt das zu- ckende Feuer, das seine „Runde“ vollzieht, die Körper der Men- schen. Die Menschen erscheinen genauso flüchtig wie das Feuer mit seiner gleichzeitig zerstörerischen wie lebenspendenden Kraft. Das Gemälde ist der mittlere Teil eines Triptychons, das ins- gesamt dem Thema Vergänglichkeit gewidmet ist. Umrahmt wird das zentrale Gemälde von zwei Bildtafeln, die riesige Geier zeigen (vgl. Kat.-Nr. 60 und Kat.-Nr. 62). Im feurigen Vanitas-Theater des Triptychons werden die Menschen zur flackernden Vision. Diesen Gedanken bringt Ruth Baumgarte auch in Bildtiteln direkt zum Ausdruck. So ist denn eine Figurenszene mit einer hochaufragen- den Frau vor einem starkfarbigen, pulsierenden Hintergrund als „African Vision“ (Abb. 7) betitelt. Im Sinne dieses „visionären“ Elements symbolisieren die entleerten, schattenartigen Figuren in den Afrika-Szenen Ruth Baumgartes nicht nur die alles durch- strahlende Energie des Kontinents. Sie stehen auch für eine Kunst, die sich nicht anmaßt, einen fremden Kontinent ohne grundlegende Reflexion von Darstellbarkeit ins Bild zu bannen. Die „Schemen“ materialisieren die Erkenntnis, dass sich fremde Kulturen nur als Vision, nicht als unmittelbares Abbild darstellen lassen. Das visionäre Element bedeutet aber noch mehr als einen Blick auf die gedankliche Verarbeitung des ‚Gegenstands‘ Afrika durch die Künstlerin. Es steht auch für einen tiefgreifenden Res- pekt vor den Menschen Afrikas, die nicht einfach detailgenau auf- genommen werden können, die erkundet, umkreist werden kön- nen und sich doch einer allzu genauen Erfassung erfolgreich wi- Phantom Welt – Ruth Baumgartes Visionen von Afrika 13

dersetzen. Die allumfassenden Farbstrudel und Lichtlandschaften, die die Materie zum flüchtigen Schatten werden lassen, veran- schaulichen sicherlich auch die Intensität der Empfindungen, die der Kontinent Afrika in der Künstlerin hervorrief. Die Gemälde sind sozusagen auch ein energetisches Tagebuch. Die Malweise Ruth Baumgartes mit informellen farblichen Sek- toren, Verunklärungen und abstrahierenden Reduktionen reflek- tiert damit stets die gestaltende visionärere Kraft und die Sub- jektivität der europäischen Künstlerin mit. Mit ihrem Bildpro- gramm vermeidet es die Künstlerin, Afrika als ein voyeuristisch in Augenschein genommenes Objekt in Szene zu setzen. Unmiss- verständlich setzt sie sich von der langen exotistischen Tradition ab, die den faszinierenden Kontinent ab dem frühen 19. Jahrhun- dert in den Blick nahm und bis heute Künstler prägt. Das Erfolgsrezept der exotistischen Kunst – denken wir beispiels- weise an die berühmten Nordafrika-Gemälde von Eugène Dela- croix – bestand prinzipiell in der Vereinigung von Verismus und Voyeurismus. Möglichst detailgetreu, so auch bei Delacroix, wur- den die pittoresken – vielfach sexualisierten – Reize der ‚Fremden‘ ins Bild gesetzt. In dieser Tradition wurden gängige Projektionen zum Thema Afrika, vom orientalisch anmutenden Boudoir bis zum ungehemmt sinnlichen Naturvolk, erfolgreich bedient. Genau diese vereinnahmende, sozusagen koloniale Sichtweise durch- bricht Ruth Baumgarte in ihren bewusst lückenhaften, eben Abb. 9 | Inferno, 2003, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm 14 Peter Joch

visionären Bildern. Sie verweigert Details und veristischen Anspruch, stellt selbstreflexiv die malerischen Mittel heraus und inszeniert zwischen dem Bildgegenstand Afrika und der Künstlerin einen gleichberechtigten Dialog, formuliert künstlerisch ihre per- sönliche Antwort auf einen Kolonialismus des vereinnahmenden europäischen Blicks. Ruth Baumgarte gelingt es, gestalterische Leichtigkeit und grund- legende Bedeutungen zu kombinieren: Bei aller visionären Flüch- tigkeit verweist das afrikanische Figurenensemble Ruth Baum- gartes auf existentielle Basisbedingungen des Lebens. „A Man Without a Livestock Isn't a Man“ (Abb. 8) zeigt einen stolzen Her- denbesitzer, der prahlerisch eine hilflos-unentschlossene Frau zu beindrucken sucht, verweist mit zynischem Unterton auf die Be- deutung des Viehs in vielen afrikanischen Ländern – und auf die harten Gesetze der Gesellschaft. „Wanting to build a House“ von 1994 (vgl. Kat.-Nr. 50) wiederum zeigt einen Mann mit Krug und einem Bündel aus Zweigen, der sich augenscheinlich bemüht, in der Unendlichkeit eine Heimstatt zu begründen, die Ursehnsucht nach einem „Zuhause“ zu befrie- digen. Die weit geschwungene Landschaft symbolisiert – dem Titel zum Trotz – eher eine unbehauste als eine Geborgenheit spendende Welt. So lässt die Kulisse zutiefst daran zweifeln, dass der Afrikaner der stets herausfordernden Weite zu entrinnen ver- mag. Die Szene wirkt wie ein Symbol für einen Kontinent, der wortwörtlich kaum zur Ruhe kommt und dem Einzelnen vielfach nur wenig Schutz zu bieten vermag. „Burning Sky“ (vgl. Kat.-Nr. 69) und „Inferno“ (Abb. 9) schließlich zeigen eine tödliche Flammen- landschaft, eine flammende Apokalypse, die die Menschen durch- strahlt. Dargestellt sind Flächenbrände, wie sie häufig afrikanische Landstriche heimsuchen. Das verzehrende Feuer steht gleichzeitig auch für die Bedrohlichkeit des Kontinents, der auch gesellschaft- liche und wirtschaftspolitische ‚Flächenbrände‘ kennt. In ihrem Spiel um existentielle Grundgrößen kennt Ruth Baum- garte aber auch ganz andere Tonlagen. „Turning towards the Light“ (S. 18, Abb. 6) zeigt die Wendung einer Frau zum Himmel, zum ‚Licht‘ als Symbol für die Hoffnung auf die Zukunft. Die beiden Gemälde „African Beat“ wiederum (vgl. Kat.-Nr. 64 und 65) bin- den die Muster luzider, durchscheinender Figuren in Farbmuster ein, die unmittelbar musikalische Rhythmen widerspiegeln. Die Figuren tanzen wildbewegt, scheinen die existentiellen Konflikte und Schwierigkeiten beim „Beat“ zu vergessen. Ein ‚existentielles‘ Programmbild besonderer Art schließlich ist „The African II“ aus dem Jahr 2001 (Abb. 10). Ruth Baumgarte setzt in diesem Porträt erneut ihre Technik dynamischer Farbsek- toren ein, baut eine energetisch hoch aufgeladene Landschaft auf. Gezeigt ist das Konterfei eines Schwarzafrikaners, der den Abb. 10 | The African II, 2001, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm Betrachter mit aller Konzentration mustert. Der Mann hat ein Auge verloren. Die rechte Augenhöhle ist zugewachsen, gar nicht mehr erkennbar. Dieses Motiv ist auf der einen Seite vollkommen rea- listisch. In vielen afrikanischen Ländern gestaltet sich die medi- zinische Versorgung höchst unzureichend. Viele Menschen erlei- den den Verlust von Gliedmaßen oder eben auch Augen. Auf der anderen Seite hat das ‚unvollständige‘ Konterfei eines Versehrten durchaus eine symbolische Bedeutung: Es sorgt dafür, dass der gewohnte, eintrainierte Dialog zwischen porträtierter Figur und Betrachter empfindlich gestört wird. Der Betrachter ist verwirrt, kann seine gewohnten Wahrnehmungsraster ‚Auge in Auge‘ nicht zur Anwendung bringen. Ruth Baumgarte veranschaulicht damit, dass Afrika nicht einfach abzubilden ist. Ähnlich wie bei den ex- pressiven farblichen Verfremdungen der Landschaft und der vi- sionären Auflösung der Figuren unterläuft Ruth Baumgarte so er- folgreich jede Selbstverständlichkeit der Wahrnehmung und jede naive Vorstellung, Afrika ließe sich ohne weiteres zum Ding ma- chen und protokollieren. Das ist ihre Bekundung von Respekt gegenüber dem großen Kontinent. Die Verbindung von Realismus, Verfremdung und Symbolsprache, wie sie gerade auch den Halb- blinden kennzeichnet, ist vielleicht der wichtigste Grundsatz Ruth Baumgartes bei ihrer Vision von Afrika. Phantom Welt – Ruth Baumgartes Visionen von Afrika 15

ZWISCHEN ERINNERN UND VERGESSEN. RE-ANIMATIONEN UND GEDÄCHTNISKULTUR IM AFRIKA-WERK VON RUTH BAUMGARTE ß u a r t S a c n a B i Die Vorstellungen, die wir als Europäer über das Leben in Afrika haben, sind zu einem Großteil von Erfahrungen, Erinnerungen und Bildern anderer geprägt. Es sind Informationen aus zweiter Hand, die wir mit zeitlicher und räumlicher Distanz erfahren. Insbesondere in den 1950er Jahren, als die Künstlerin Ruth Baumgarte ihre ersten Reisen nach Afrika unternahm, dürften nur wenige Europäer selbst einmal dort gewesen sein.1 Lange Zeit wurde Afrika auch wie ein monolithischer Block betrachtet, obwohl die einzelnen Staaten un- tereinander höchst heterogen sind.2 Wie vielfältig die Landschaften Abb. 1 | Straßenszene in Kairo, 1985, Öl auf Leinen-Malpappe, 40 x 30 cm und Kulturen der afrikanischen Staaten sind, konnte Ruth Baum- garte auf ihren Reisen unmittelbar erfahren. Über 40 Mal reiste die Künstlerin nach Afrika, ab den 1980er Jahren sogar jährlich, und hielt sich dort zumeist längere Zeit in Süd- und Ostafrika auf. Zu ih- ren Reisezielen gehörten auch Botswana, Namibia, Simbabwe und Mosambik, Kenia, Uganda sowie Tansania und Äthiopien. Das Leben der Menschen im Einklang mit der Natur und die ge- sellschafspolitischen Zustände dieser Zeit haben Ruth Baumgarte nachhaltig beschäftigt. So konnte sie phasenweise vor Ort sein, während sich Bevölkerungsgruppen in Südafrika gegen die Apart- heid wehrten und Staaten um ihre Unabhängigkeit kämpften. Zwar werden die politischen Umstände von Baumgarte nicht offensicht- lich thematisiert. Doch fängt sie die zeitgenössische Stimmung auf ihren Reisen ein und überträgt diese Eindrücke auf ihre Bilder. Um ihre Beobachtungen zeitnah festzuhalten, führte Baumgarte auf ihren Reisen stets ein Skizzenbuch bei sich, mit dem sie flüch- tige Zeichnungen und gelegentliche Aquarelle vor Ort anfertigen konnte. Die Skizzen dienten der Künstlerin als Erinnerungsstütze für später. Denn ihre Aquarelle und Gemälde sind erst entstanden, als sie wieder in ihrem Atelier in Bielefeld war. Es sind Nach-Bilder ihrer Reisen, die sie rückblickend auf die Leinwand bringt.3 Wie Aleida Assmann betont, haben Erinnerungen einen retrospektiven Charakter, „setz[en] diese doch erst dann ein, wenn die Erfahrung, auf die sie sich bezieh[en], abgeschlossen im Rücken liegt.“4 Dass die Erfahrung durch die andauernde Neugier der Künstlerin nie gänzlich abgeschlossen war, bezeugen die zahlreichen Reisen nach Afrika und eine über 20-jährige Produktion von Bildern dieser Thematik. Diese Bilder wie auch die von ihr aufgesuchten Orte sind quasi ausgelagerte Gedächtnismedien. Sie bewahren die Er- innerungen und frischen diese durch wiederholtes Anschauen oder Aufsuchen wieder auf. „Nach Intervallen einer abgerissenen Überlieferung kehren Pilger und Vergangenheitstouristen an die für sie bedeutsamen Orte zurück, wo sie eine Landschaft, Monumente oder Ruinen finden. Dabei kommt es zu ‚Reanimationen‘, wobei der Ort die Erinnerung ebenso reaktiviert wie die Erinnerung den Ort.“5 16 Bianca Strauß

Auch wenn Ruth Baumgarte nicht immer an dieselben Orte zu- rückgekehrt ist, so ist der bleibende Eindruck ihrer Reisen unver- kennbar. Am Beispiel der Afrika-Bilder lässt sich nachvollziehen, wie sehr sich die Künstlerin bzw. ihr malerischer Stil durch die nachhaltige Beschäftigung geöffnet haben.6 Als sie 1986 mit ihrer ausschöpfenden Bildproduktion beginnt, befreit sich ihr Malstil zunehmend von konventionellen Darstellungsweisen. Bilder wie „Straßenszene in Kairo“ (Abb. 1) erinnern zunächst an die Malerei der Klassischen Moderne. Von europäischen Malern wurde der afrikanische Kontinent, vor allem das bis dato erschlos- sene Nordafrika, im 19. Jahrhundert als Reiseziel entdeckt. Eugène Delacroix entwickelte nach seinem Aufenthalt in Marokko Bilder mit strahlenden Farben, die ein intensives Studium von Lichtef- fekten und Schattenbildungen offenbaren. Lichtdurchtränkt sind auch die Bilder der Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet, die 1914 gemeinsam nach Tunis reisten. Mit Ausnahme von skulpturalen Werken fand in der europäischen Kunst jedoch kaum eine Adaption afrikanischer Formensprache statt. Vielmehr setzten europäische Künstler ihre Faszination der Naturerschei- nungen in eine europäische Ausdrucksweise, vornehmlich in den Medien Malerei und Fotografie, um. Die Maler der Klassischen Moderne trugen dazu bei, dass Malerei auf die Sinneseindrücke begründet und Farbe zum Ausdrucksträger erhoben wurde. Während diese Maler vor allem durch die besonderen Lichtver- hältnisse in Marokko und Tunis beeinflusst wurden, widmete sich Baumgarte eindringlich dem Alltag der Menschen. Dies ist schon allein durch ihre längere Aufenthaltsdauer begünstigt. Macke, Klee und Moilliet reisten nur zwei Wochen nach Tunis, hingegen verweilte Baumgarte auf ihren wiederkehrenden Reisen für einen Zeitraum zwischen sechs Wochen und drei Monaten in Afrika. Zudem brachte Baumgarte eine besondere Auffassungsgabe für menschliche Befindlichkeiten mit, die sie in ihrem Frühwerk aus- formuliert hatte. So zeugen bereits ihre Werke der 1950er und 1960er Jahre von dem außerordentlichen Talent der Künstlerin, sich in andere hineinzuversetzen und alltägliche Situationen in äs- thetische Formen zu transferieren. Neben zahlreichen Porträts und Theaterszenen sind vor allem die Industriebilder mit der Si- tuation der Künstlerin in Afrika vergleichbar. Auch hier war Baum- garte eine Fremde, eine Frau, die als Außenstehende Industrie- arbeiter bei ihrer schweren, technischen Tätigkeit beobachtete und – wie in ihren Bildern deutlich wird – zu verstehen versuchte.7 Baumgartes ausgeprägtes Einfühlungsvermögen und ihr Interes- se am Menschen werden von Beate Reifenscheid in der Beschrei- bung des Afrika-Zyklus bekräftigt. Am Beispiel der Zeichnungs- reihe „Rote Blume Afrika“ (Abb. 11 in Aufsatz Berg) und dem Aquarell „Afrika I“ (Abb. 3 in Aufsatz Berg) hebt Reifenscheid Abb. 2 | In the Desert, 1991, Öl auf Karton, 137 x 98 cm Baumgartes Fähigkeit hervor, „sich in die Sprache des Individu- ums einzufühlen, und ihre große innere Bereitschaft, sich der Menschen, denen sie begegnet, anzunehmen.“8 Als stille Beobachterin fängt die Künstlerin alltägliche Szenen ein und setzt diese mit einer geschulten Charakterkenntnis um. Ob- wohl das Dargestellte sehr vertraut erscheint, lassen sich die Bil- der kaum bestimmten Orten oder einzelnen Menschen zuweisen. Im Unterschied zu dem uns vertrauten, europäischen Alltag – und auch zu den frühen Industriebildern Baumgartes – sind diese Bil- der nicht von einem strengen rhythmischen Takt geprägt. Sie wir- ken vielmehr organisch und besinnlich. Dies zeigt sich zum Bei- spiel in den Werken „In the Desert“ (Abb. 2) und „The Mid-Day Rest“ (Abb. 3). Menschen sind hier in kontemplativen Posen dar- gestellt oder bei alltäglichen Tätigkeiten wie Feuermachen und Wassertragen („The Water Carrier“, Abb. 4). Die ruhige Haltung der Figuren steht jedoch im Kontrast zu der be- wegten Malweise. Mit gestischer Pinselführung trägt Baumgarte Zwischen Erinnern und Vergessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte 17

die Farbe auf Leinwand und Papier auf, als ob sich aus einem sub- jektiven Empfinden oder einer blassen Erinnerung heraus eine Land- schaft forme, aus der sich wiederum die Figuren bilden. Besonders subjektiv und ekstatisch erscheint die Malerei ab 1991. Wie in dem Gemälde „His Land“ (Abb. 5) begründen klare, leuchtende Farben in tiefen Rot- und Orangetönen sowie Gelb und Grün eine heraus- ragende Ausdruckskraft. Die Farben erinnern an die Wirkung der drückenden Hitze und der gleißenden Sonne Afrikas. Zugleich findet eine Konzentration des Bildgeschehens auf wenige Figuren statt. Dadurch wird der künstlerische Ausdruck präzisiert und die Wahr- nehmung des Betrachters auf ausgewählte Elemente gelenkt. In den folgenden Jahren verdichtet sich ihr künstlerischer Stil zu- nehmend. In Werken wie „Turning towards the Light“ (Abb. 6) wird der Malgrund gänzlich durch eine kompakte mehrfigurige Gesamtkomposition eingenommen. Für den Betrachter bleibt of- fen, ob es sich um eine einzelne Szene oder um parallel neben- einander dargestellte Szenen handelt. Das Gleiche gilt für das Ge- mälde „Bearing a Message“ (Abb. 7). Hier richtet sich der Blick des Betrachters auf die Figur im Vordergrund, deren Ausdruck Baumgarte so gekonnt eingefangen hat, dass der Betrachter emo- tional mitgerissen wird. Nur die Figuren im Hintergrund wirken teilnahmslos. Charakteristisch für die Figuren in Baumgartes Werk sind sie in sich gekehrt und fordern die Wahrnehmung des Be- trachters auf den zweiten Blick. Auch hier bleibt die Deutung der dargestellten Szene(n) offen. Somit erscheinen Baumgartes Bilder durchaus ambivalent. Zum einen entsteht der Eindruck, als ob sich mehrere Erzählschichtungen überlagern. Die Deutung der Szenen wird also stark vom Erfahrungsschatz des Betrachters bestimmt. Zum anderen tritt auch die bildliche Struktur diffus auf. Obwohl die Farbe dem Gegenständlichen verhaftet bleibt, löst Baumgarte Figur-Grund-Beziehungen immer mehr auf. Schattie- rungen von Farbe konstituieren Figuren und Landschaften ebenso wie Tiefenräumlichkeit. Auffällig ist die Eigenständigkeit der Farbe, die neben der expressiven Pinselführung von der Wirklichkeits- Abb. 3 | The Mid-Day Rest, 1991, Öl auf Karton, 137 x 98 cm Abb. 4 | The Water Carrier, 1991, Öl auf Karton, 137 x 98 cm 18 Bianca Strauß

Abb. 5 | His Land, 1994, Öl auf Leinwand, 120 x 150 cm treue abweicht. Statt Wirklichkeit abzubilden, dient Farbe hier als Stimmungsträger. Wie Hubertus Froning resümiert, sind Baum- gartes Bilder wie „[…] eine Erhöhung der gegenwärtigen Welt in sichtbarer Erscheinung und ungeheurer Fülle.“9 Die Bilder behaupten kein finales Wissen, sondern verweisen auf die Realität und schaffen inhaltliche wie ästhetische Freiräume. Zuweilen wirken sie wie eine vorläufige Erscheinung, die Peter Joch in seinem Aufsatz präzise beschreibt.10 Die Farbe ist nicht durch eine Form begrenzt, sie ist vielmehr flüchtig und labil. Da- durch erscheint sie in einem Zustand des Werdens. Analog zu dem von Aleida Assmann beschriebenen Prozess des Erinnerns11 erhalten Baumgartes Darstellungen erst durch Erzählungen und Interpretationen eine Form. Das Visualisieren subjektiver Eindrücke und die intrinsische Mal- weise der Künstlerin weisen Parallelen zu der deutschen Malerei der 1980er und 1990er Jahre auf. Nach dem Einschnitt durch den Nationalsozialismus wurden die Initiativen der Moderne wieder aufgegriffen und Künstler befreiten sich von Darstellungskonven- tionen wie Kompositionsgesetzen, Linearperspektive und Kon- turierung. Es entwickelte sich eine Tendenz zur individuellen Ge- staltungskraft, der Offenheit, Subjektivität und Expressivität ge- meinsam sind. Der Schwerpunkt des künstlerischen Interesses liegt in der Postmoderne nicht mehr auf dem Handwerk, sondern auf der Haltung der Malerei bzw. auf einer Identitätsbildung.12 Einen wesentlichen Beitrag zur Identitätsbildung leistet gemeinhin das Erinnern. Laut Aleida Assmann ist es die Erinnerungsfähigkeit, Zwischen Erinnern und Vergessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte 19

die „Menschen erst zu Menschen macht. Ohne sie könnten wir kein Selbst aufbauen und nicht mit anderen als Individuen kom- munizieren. Biografische Erinnerungen sind unentbehrlich, denn sie sind der Stoff, aus dem Erfahrungen, Beziehungen und vor al- lem das Bild der eigenen Identität gemacht sind.“13 Das Bewusstsein der eigenen Identität und eine offene Haltung ge- genüber sich selbst sowie gegenüber anderen sind Voraussetzun- gen, die ein feinsinniges Einfühlungsvermögen begünstigen. Hier mag sich die sensible Beobachtungsgabe der Künstlerin begründen, deren eigene Biografie ein waches Bewusstsein gefördert haben dürfte. So wuchs sie in einer Theaterfamilie in der Kulturblüte der Weimarer Zeit auf, studierte unter einer programmatischen Lehre während des Nationalsozialismus an der Kunsthochschule14 und zog der Liebe wegen in das industriell geprägte Bielefeld der 1950er Jah- re. Als die Wirtschaft in Deutschland florierte, entfachte die Reiselust Abb. 6 | Turning Towards the Light, 1997, Öl auf Leinwand, 120 x 80 cm der Bevölkerung. Zeitgleich zog es auch Ruth Baumgarte von Biele- feld aus in die Welt. Sie erkundete Länder in Skandinavien, Südeu- ropa, Asien und Amerika ebenso wie in Afrika. Der keineswegs ver- klärende Blick der Künstlerin richtet sich vor allem auf die Reiseer- fahrungen aus Afrika, die sie ungehemmt auf die Leinwand bringt. Durch ihre expressive Malweise und die intensive Farbigkeit wir- ken Baumgartes Afrika-Bilder, als ob die Künstlerin immer tiefer in ihrer Erinnerung sucht und gegen das Vergessen ankämpft, um die inneren Bilder besonders lebendig wieder hervorzurufen. „Der Großteil unserer Erinnerungen schlummert in uns und war- tet darauf, durch einen äußeren Anlass ‚geweckt‘ zu werden. Dann werden diese Erinnerungen plötzlich bewusst, gewinnen noch einmal eine sinnliche Präsenz und können unter entspre- chenden Umständen in Worte gefasst und zum Bestand eines verfügbaren Repertoires geschlagen werden.“15 Nach Aleida Assmann bilde Sprache die erste und wichtigste Stüt- ze der Erinnerung. Indem das zu Bewahrende sprachlich wieder- holt wird, würden die Informationen erneuert werden. Dabei wür- den diese nie exakt reproduziert, sondern leicht variiert, so dass Sinn und kommunikative Kraft erhalten blieben. Schrift und Bild wiederum sind Erinnerungsträger von materieller Dauer. Wenn diese durch Sprache gelebt und vergegenwärtigt werden, werden sie Teil eines kollektiven Langzeitgedächtnisses. Zu diesem Ge- dächtnis würden sowohl konstruierte Erinnerungen wie die einer Nation oder eines Staates als auch individuell entstandene wie die von Ruth Baumgarte beitragen, denen eine subjektive Aneig- nung bzw. eine künstlerische Visualisierung zu Grunde liegen.16 So lässt uns die Künstlerin teilhaben an dem Prozess des Bewah- rens und Wiederauflebens von Eindrücken, die uns dank inzwi- schen überlieferter (Medien-)Bilder durchaus vertraut, aber we- niger „gemacht“, d. h. authentischer erscheinen. Durch das Aus- stellen in Museen, die einen Ort des Bewahrens wie auch des lebendigen Dialoges bieten, sind die Visualisierungen der leibhaf- tigen Erinnerungen Baumgartes nun öffentlich zugänglich. „Insbesondere die individuelle, aber verallgemeinerbare künstle- rische Schöpfung hat einen wichtigen Anteil an der Erneuerung des [kulturellen] Gedächtnisses, indem sie die fest gezogene Gren- ze zwischen dem Erinnerten und Vergessenen infrage stellt und durch überraschende Gestaltungen immer wieder verschiebt.“17 Folglich können die individuellen Erinnerungen der Künstlerin ei- nen Ausgangspunkt bieten, um sich den Wandel afrikanischer Kulturen kollektiv ins Bewusstsein zu rufen. Unter Berücksichti- gung des historischen Kontextes, in dem die Künstlerin nach Afri- ka reiste und ihre Werke anfertigte, trug Baumgarte vorausschau- end zu einem Diskurs bei, der in Kunstgeschichte und Sozialpolitik erst später einsetzte. 20 Bianca Strauß

Abb. 7 | Bearing a Message, 1998, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm 1 Reiseziele der Deutschen, die sich einen Urlaub leisten konnten, waren eher 11 Vgl. Aleida Assmann, Einleitung, in: Erinnerungsräume. Formen und Wand- Länder wie Österreich oder Italien. 2 Vgl. Chirikure Chirikure, Ruth Baumgarte – Eine Reaktion auf ihre Gemälde. Ein Kontinent und so viele verschiedene Aspekte, S. 32–33, zuerst erschienen in: Ruth Baumgarte. Turn of the Fire. Ausst.-Kat. Ludwig Museum Koblenz, München u. a. 2017, S. 35–38, hier S. 37. 3 Vgl. Maren Bodenstein, Über das Erwidern von Ruth Baumgartes Blick, in: Ruth Baumgarte. Turn of the Fire. Ausst.-Kat. Ludwig Museum Koblenz, Mün- chen u. a. 2017, S. 29–32, hier S. 30. 4 Aleida Assmann, Einleitung, in: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2006 (1999), S. 11–23, hier S. 11. 5 Ebd., S. 21. 6 Vgl. Maren Bodenstein, Über das Erwidern von Ruth Baumgartes Blick, in: Ruth Baumgarte. Turn of the Fire. Ausst.-Kat. Ludwig Museum Koblenz, Mün- chen u. a. 2017, S. 29–32, hier S. 30. 7 Vgl. Sandra Mühlenberend, Ruth Baumgarte. Farbrausch am Kessel, in: Ruth Baumgarte. Farbrausch am Kessel. Ausst.-Kat. Städtische Kunstsammlungen Salzgitter 2015–2016, Salzgitter 2015, S. 5–13. 8 Beate Reifenscheid, Annäherung an einen fremden Kontinent, in: Ruth Baum- garte. Turn of the Fire. Ausst.-Kat. Ludwig Museum Koblenz, München u. a. 2017, S. 15–26, hier S. 22. 9 Hubertus Froning, Afrikanische Visionen, in: Ruth Baumgarte. Visiones Africanas. Ausst.-Kat. Sala Perlaires Galeria d’Art Palma de Mallorca, Palma de Mallorca 2000, S. 8–11, hier S. 10. lungen des kulturellen Gedächtnisses, München 2006 (1999), S. 11–23. 12 Vgl. Martin Engler, What You See Is What You Get. Malerei in Zeiten der Neo- Avantgarde, in: Die 80er. Figurative Malerei in der BRD. Ausst.-Kat. Städel Museum Frankfurt 2015, Ostfildern 2015, S. 10–19. Und: Volker Adolphs, Far- be – Fläche – Raum. Zur Farbmalerei der 90er Jahre, in: Farbe. Malerei der 90er Jahre. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn 1996–1997, Heidelberg 1996, S. 9–17. 13 Aleida Assmann, Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funktionen und Medien, in: Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart. Ausst.-Kat. Historisches Museum Frankfurt, Schirn Kunsthalle Frankfurt 2000–2001, Ostfildern-Ruit 2000, S. 21–27, hier S. 21. 14 Baumgarte studierte zunächst an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Hochschule evakuiert und die Künstlerin wechselte an die Staatliche Industrie- und Kunstgewerbeschule Sonneberg in Thüringen. 15 Aleida Assmann, Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funktionen und Medien, in: Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart. Ausst.-Kat. Historisches Museum Frankfurt, Schirn Kunsthalle Frankfurt 2000–2001, Ostfildern-Ruit 2000, S. 21–27, hier S. 21. 16 Vgl. Aleida Assmann, Individuelles und kollektives Gedächtnis – Formen, Funk- tionen und Medien, in: Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart. Ausst.-Kat. Historisches Museum Frankfurt, Schirn Kunsthalle Frankfurt 2000–2001, Ostfildern-Ruit 2000, S. 21–27, hier S. 25. 10 Vgl. Peter Joch, Phantom Welt – Ruth Baumgartes Vision von Afrika, S. 8–15. 17 Ebd., S. 27. Zwischen Erinnern und Vergessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte 21

g r e B s r a L AQUARELL UND ZEICHNUNG IM WERK VON RUTH BAUMGARTE Ruth Baumgarte wurde am 27. Juni 1923 in Coburg in eine alte Theater- und Künstlerfamilie hineingeboren (Abb. 1). Ihre Mutter war die Schauspielerin Margret Kellner-Conrady (1899–1969). Ihr Vater, Kurt Rupli (1899–1960), war Schauspieler, Regisseur, spä- terer UFA-Direktor und Mehrheitseigner der Tobis Filmproduk - tionsgesellschaft. Ruth Baumgarte wächst in Berlin auf und nimmt seit 1940 Unterricht an der Kunstschule des Westens bei Emmy Stalmann (geboren 1877). Zwischen 1941 und 1944 studiert sie freie Grafik und Malerei an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Berlin bei den Professoren Gerhard Ulrich, Kurt Wehlte (1897–1973), Wilhelm Tank (1888–1967), Hermann Franzke und Carl Michel (1885–1966). Bereits während des Studiums ist Ruth Baumgarte ständige Mitarbeiterin des Kaskeline-Zeichentrickfilm- Ateliers in Berlin. Während des Zweiten Weltkriegs wird die Hoch- schule für Bildende Künste in Berlin evakuiert und Ruth Baumgarte wechselt in ein Meisteratelier der Staatlichen Industrie- und Kunst- Abb. 1 | Selbstbildnis, 1979, Kreide auf getöntem Grund, 40 x 38 cm 22 Lars Berg

Abb. 2 | Rain, 1994, Öl auf Leinwand, 100 x 120 cm, Privatbesitz gewerbeschule Sonneberg in Thüringen. Sie kehrt Ende 1944 nach Berlin zurück und wird nach der Kapitulation Pressezeichnerin bei der ersten deutsch-russischen Tageszeitung und Kunstlehrerin am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium. Zwischen 1945 und 1946 siedelt Ruth Baumgarte nach Westdeutschland über und zieht nach Bie- lefeld. Dort ist sie seit 1947 als freischaffende Malerin und Grafi- kerin tätig und arbeitet u. a. für unterschiedliche Tageszeitungen, Zeitschriften und Verlage. Seit den frühen 1950er Jahren beginnt Ruth Baumgarte intensive Reisen nach Skandinavien, Südeuropa, Persien, in die USA und nach Afrika, wo sie seit 1984 mehrmona- tige Aufenthalte verbringt. 1984 besucht sie insbesondere Süd- afrika, Tansania, Namibia und weitere Staaten Afrikas.1 Insgesamt sind es bis 2004 wohl ca. 40 Reisen gewesen, auf denen die Künstlerin Ruth Baumgarte sich zahlreiche Teile im Osten und Sü- den des afrikanischen Kontinents erschlossen hat.2 Das Ergebnis ist ein dichtes malerisches und zeichnerisches Œuv- re. Im Gegensatz zu den Künstlern des 19. und frühen 20. Jahr- hunderts wie beispielsweise Delacroix, Matisse, u. a., sind die Arbeiten Baumgartes nicht unter dem Aspekt eines „voyeuristi- schen Orientalismus“ zu sehen.3 Besonders Delacroix war von der „orientalischen“ Atmosphäre Afrikas begeistert, die er in sei- nen Gemälden wie eine Art Bühnenkulisse verwendet, so etwa in dem großformatigen Bild „La Mort de Sardanapale“ (1832; Mu- Aquarell und Zeichnung im Werk von Ruth Baumgarte 23

Abb. 3 | Afrika I, 1986, Aquarell auf Papier, 53 x 70 cm sée du Louvre, Paris) oder in dem Gemälde „Femmes d’Alger“ (1834; Musée du Louvre, Paris). Pablo Picasso (1881–1973) setzte sich zu Beginn des 20. Jahr- hunderts auf der Suche nach einer neuen künstlerischen Formen- sprache mit afrikanischen Skulpturen und Masken auseinander. Im Herbst 1906 sah er vermutlich das erste Mal eine Skulptur aus Afrika. Matisse hatte zu einem gemeinsamen Treffen mit Gertrude Stein (1874–1946) in Paris den Kopf eines im 19. Jahrhundert ge- fertigten Vili der Bakongo aus dem heutigen Gebiet der Demo- kratischen Republik Kongo mitgebracht.4 Picasso besuchte da- raufhin das Musée d’Ethnographie du Trocadéro (heute: Musée de l’Homme) und sammelte Skulpturen und Masken aus Afrika. So führten Picasso besonders die Jahre zwischen 1907 und 1909 zu einer Auseinandersetzung mit afrikanischen Formen. Picasso und seine Zeitgenossen sahen die Objekte primär als Kunst an, ohne sich dabei tiefergehend für soziokulturelle Kontexte und Funktionen zu interessieren. Es waren in erster Linie die Anders- artigkeit, die Abstraktion und Ausdruckskraft der afrikanischen Masken und Skulpturen, die sie interessierten. Dabei dienten die oft rituell verwendeten Gegenstände als Projektionsfläche für die in ihrer eigenen, europäisch geprägten, Gesellschaft vermissten Eigenschaften. Auf diese Weise konstruierte Picasso besonders von den Gesellschaften Afrikas und der Südsee ein „Bild“ von ur- sprünglichen und wilden Naturvölkern. Mit einem gänzlich anderen Fokus näherte sich Ruth Baumgarte dem Land Afrika in ihren Werken. Es ist in erster Linie die Faszina- tion für die Menschen, die Ruth Baumgarte zu ihren Arbeiten mo- tiviert hat. In farbgewaltigen Werken hat sie ihre Eindrücke trans- portiert und lässt somit ihre Vision von Afrika erfahrbar werden. 24 Lars Berg

Hubertus Froning hat in seinem Text mit dem Titel „Afrikanische Vi- sionen“ darauf hingewiesen, dass eine stilistische Einordnung des Werks von Ruth Baumgarte für das Verständnis und den Zugang zu ihren Bildern nicht zielführend ist.5 Man kann ihren Stil als expres- sionistisch bezeichnen, aber ihr Werk hat nichts mit Expressionismus zu tun. „Mögen ihre Darstellungen manchmal realistisch erscheinen, so haben sie doch nichts mit Realismus und auch nichts mit Veris- mus im herkömmlichen Sinn zu tun.“6 Die bevorzugten Farben in ihren Gemälden sind Gelb, Rot und Blau, so beispielsweise in dem Bild „Rain“ von 1994 (Abb. 2). In Farbinseln steigern sich die Grund- werte der Farben in ihrer Intensität und entwickeln ein eigenes Ord- nungsgefüge „im Sinne einer malerischen (nicht tektonischen) Struk- tur“.7 Die Raumwirkung entsteht nicht durch eine perspektivische Konstruktion, sondern aus dem Zusammenhang der Farben heraus. Die Leuchtkraft ist nur wenig durch die Schattenbildung gemindert Abb. 4 | Vorstudie zu African Landscape I, 1987, Aquarell auf Papier, 14 x 11,5 cm Abb. 5 | Nillandschaft (Am Nil), 1984, Aquarell und Goldpigment auf Papier, 18 x 30 cm Aquarell und Zeichnung im Werk von Ruth Baumgarte 25

und besticht mittels eines reizvollen Spannungsmoments. Durch die Kolorierung vermag Ruth Baumgarte ihren Bildern eine gewisse Spontaneität zu verleihen: Noch bevor der Betrachter den Gegen- stand erkannt hat, ist er von der Wirkung und Macht der Farbe fas- ziniert und beeindruckt. Die Beobachtungen von Ruth Baumgarte gehen aus der Wahrnehmung ihrer Umwelt heraus und sind als „In- nenbild“ einer Welt geschaffen, die nicht primär die Realität abbilden, sondern eine Vision des Gesehenen vermitteln.8 Bislang sind besonders die farbgewaltigen Gemälde Ruth Baum- gartes unter verschiedenen Aspekten näher beleuchtet worden. In diesem Aufsatz sollen die Kunstwerke auf Papier in den enge- ren Fokus genommen und anhand einer Werkauswahl chronolo- gisch vorgestellt und beschrieben werden. DIE AQUARELLE Das 1986 entstandene Aquarell „Afrika I“ (Abb. 3) unterstreicht, wie stark Baumgarte den Menschen in den Mittelpunkt ihres Werks rückt: Im Zentrum ist ein in afrikanische Gewänder gehüll- ter, muskulöser Mann zu sehen, der mitten in ein Gespräch ver- tieft zu sein scheint. Besonders eindrucksvoll sind die tonalen Ab- stufungen von Licht und Schatten, etwa in der Gesichtspartie des jungen Mannes, die Ruth Baumgarte mittels hellerer und dunkler Grün- und Blautöne hervorzubringen vermag. Im Hintergrund sind afrikanische Hütten auf der rechten Seite und Hochhäuser auf der linken Seite zu erkennen. Auf diese Weise versinnbildlicht Baum- garte die Kontraste zwischen einfachen afrikanischen Dörfern mit Strohhütten und dem Modernismus der westlichen Welt.9 Abb. 6 | On the River Bank, 1987, Aquarell auf Papier, 51,5 x 70,5 cm 26 Lars Berg

Abb. 7 | Rest by the Way, 1987, Aquarell auf Papier, 71 x 53 cm Abb. 8 | Afrikanerin, 1993, Aquarell auf Papier, 24 x 14 cm In den weiteren Jahren entstehen überwiegend Arbeiten auf Pa- pier, die in der Aquarelltechnik ausgeführt werden, wie beispiels- weise die Vorstudie „African Landscape I“ (Abb. 4) oder eine at- mosphärisch dichte Aquarellstudie, die eine Nillandschaft (Abb. 5) im Abendlicht zeigt. Für diese Landschaftsstudie verwendete Ruth Baumgarte blaugetöntes Papier als Bildträger. Die Umrisse der Figur am linken Bildrand und die Segelboote im Hintergrund sind in blauschwarzer Farbe aufs Papier gebracht worden. Für die Dar- stellung der Wolkenformationen wählte sie u. a. gelbe, rötlich- braune und goldene Farbe. 1987 malt Ruth Baumgarte zwei Aquarelle, die als exemplarisch für ihre weitere künstlerische Entwicklung gelten können: Es sind die Arbeiten „On the River Bank“ (Abb. 6) und „Rest by the Way“ (Abb. 7).10 Format und Farbigkeit ähneln noch den zuvor entstan- denen Aquarellen, doch es sind bereits technische Neuerungen sichtbar. Die Figurenkompositionen werden stärker in den Mittel- grund des Blattes gerückt. Bei dem Aquarell „Rest by the Way“ handelt es sich um eine Familienszene. Inmitten der Steppe ist eine barbusige Frau mit ihrem Kind zu sehen. Im Hintergrund ist ein Mann mit Hut zu erkennen, der im Schatten eines Strauches sitzt. Ruth Baumgarte hat in diesem Bild das Zerwürfnis einer Be- ziehung dargestellt. Die Frau und der Mann sind räumlich weit von- einander getrennt und haben nichts miteinander zu tun. Durch un- terschiedliche Blickrichtungen und abweichende Größenverhält- nisse wird das Zerwürfnis im Bild deutlich. Lediglich die im Vor- dergrund positionierten Figuren Mutter und Kind stehen in einer Beziehung zueinander. Die Farbtöne Gelb, ein grünliches Blau und violette Akzente prägen den Eindruck des Aquarells besonders. Der Junge im Vordergrund ist in sich gekehrt und vermittelt Ruhe. Aquarell und Zeichnung im Werk von Ruth Baumgarte 27

Das Aquarell „On the River Bank“ gibt in einem Querformat den Blick in eine Wasserlandschaft frei. Im Vordergrund sitzt eine Frau mit Kopftuch, die eine Hand vor das Gesicht hält und ebenfalls in sich gekehrt zu sein scheint. Im Hintergrund ist ein Floß zu sehen, das über das Gewässer gerudert wird. Die im Vordergrund darge- stellte Frau scheint mit den Schattierungen des Himmels direkt zu verschmelzen. Durch die vorherrschenden gelben, grünen und vio- letten Farbtöne, die wirkungsvoll ineinander übergehen, hat die Künstlerin Ruth Baumgarte eine atmosphärisch stimmungsvolle Mo- mentaufnahme mit Pinsel und Aquarellfarben aufs Papier gebracht. Das 1993 entstandene Aquarell „Afrikanerin“ (Abb. 8) zeigt eine junge Frau im Dreiviertelprofil mit einem roten Kopftuch. Das Hauptaugenmerk dieser Studie liegt auf der Darstellung von Licht und Schatten im Gesicht der jungen Frau. Ruth Baumgarte zeigt in dieser Studie, wie es ihr gelingt, mit wenigen Pinselzügen und pointiert gesetzter Akzentuierung einzelner Rot-, Braun- und Grün- töne die Schattierungen und Lichtreflexe im Profil des Gesichts der jungen Afrikanerin zu erzeugen. Die Aquarelle von Ruth Baumgarte sind sehr harmonisch und stimmungsvoll. Im Vergleich zu den farbkräftigen und expressiven Gemälden vermitteln sie eine gewisse Ruhe. Ihr Hauptmotiv, der Mensch, verschmilzt mit der Landschaft dabei nahezu zu einer Einheit. Besonders im Aquarell „On the River Bank“ wird diese Harmonie spürbar: Die Blau- und Violett-Töne der Arme, Beine und des Gesichts der Frau wiederholen sich in den Wolkenstruk- turen des Himmels und den Pinselzügen, die den Fluss andeuten. Ruth Baumgarte nutzt für ihre Aquarelle meist das gesamte Blatt aus. Für einzelne Studien, wie etwa die Vorstudie zu „African Landscape I“ werden Motive wie die Landschaft nur in einzelnen Pinselzügen angedeutet. Für das Aquarell „Afrikanerin“ verzichtet sie gänzlich auf die Gestaltung des Hintergrundes, so dass das Porträt der jungen Frau die Ansicht dominiert. Abb. 9 | Port Elizabeth, 1986, Aquarell und Graphit auf Papier, 30 x 21 cm Abb. 10 | Signale, 1987, Kohle auf Papier, 1987, 61 x 47 cm 28 Lars Berg

Abb. 11 | Rote Blume Afrika I, Kohle und Kreide auf Papier, 1988, 89 x 66 cm Abb. 12 | The Yellow Hat, 1988, Kohle und Kreide auf Papier, 79 x 64 cm DIE ZEICHNUNGEN Das zeichnerische Werk von Ruth Baumgarte lässt sich bezüglich der Motive aus Afrika in drei Abschnitte einteilen: Frühwerk (ca. 1986–1990), mittleres Werk (1991–1997) und Spätwerk (seit 1997). Sie verwendet für ihre Arbeiten überwiegend Graphit, Kohle und Kreide. Besonders die Zeichnungen der späten 1990er Jahre sind in Kreide und Kohle ausgeführt. Eine frühe Zeichnung aus dem Jahr 1986 ist das Blatt „Port Eliza- beth“ (Abb. 9). Die Graphitzeichnung stellt einen Mann in Berber- kleidung dar: Das Gesicht ist verschattet, so dass das linke Auge nicht zu erkennen ist. Dennoch scheint der Dargestellte mit dem rechten Auge direkten Blickkontakt zum Betrachter aufzunehmen. Es könnte sein, dass Ruth Baumgarte auch darstellen wollte, dass das linke Auge blind ist. Diese Beobachtung lässt sich an- sonsten vor allem in zwei Gemälden machen: in dem Werk „The African II“11 und der Arbeit „The Brigther Side“12. Aufgrund der teils schlechten medizinischen Versorgung in Afrika kam es immer wie- der dazu, dass Menschen ihr Augenlicht verloren. Im Hintergrund der Zeichnung „Port Elizabeth“ sind verschiedene Männer mitei- nander ins Gespräch vertieft. In der eindrücklichen Zeichnung mit Aquarell hat Ruth Baumgarte in schnellen Strichen eine Szene ein- gefangen und besonders die Unmittelbarkeit der Situation trans- portiert. Es ging ihr wohl um das schnelle und spontane verbild- lichen einer alltäglichen Situation in Afrika. Die frühen Zeichnungen füllen meist die gesamte Bildfläche aus. Das beherrschende Motiv sind Menschen und Landschaft. Gegenüber den farbkräftigen Gemälden zeichnen sich die Aquarelle durch Zurückhaltung aus und vermitteln trotzdem sehr eindrücklich die Stimmung der afri- kanischen Landschaft und ihrer Bewohner. Die Zeichnungen der späten 1980er Jahre, die dem mittleren Werk der Afrika-Reise zuzuordnen sind, konzentrieren sich meist stärker auf eine be- stimmte Situation. So sind etwa in der Kreidezeichnung „Signale“ (Abb. 10) zwei Afrikaner im Vordergrund zu sehen, die miteinander ins Gespräch vertieft zu sein scheinen. Ein Junge mit Mütze legt Aquarell und Zeichnung im Werk von Ruth Baumgarte 29

Abb. 13 | Netzflicker, 1991, Pastellkreide auf Papier, 137 x 98 cm Abb. 14 | Studie I, 1997, Kreide auf Papier, 93 x 62 cm seinem Kameraden die Hand auf die Schulter, als wolle er ihm gut zureden. Durch den Fokus auf die Situation im Vordergrund wird das hektische Treiben im Hintergrund deutlich reduziert. Es entstehen Ende der 1980er Jahre beeindruckende Kohle- und Kreidezeichnungen. Eine Hommage an das Land Afrika ist vor allem auch die Zeichnung „Rote Blume Afrika I“ (Abb. 11). Mit Kohle und schwarzer Kreide hat Ruth Baumgarte das Gesicht eines Afrikaners gezeichnet, das en face zu sehen ist. Ein melancholischer Ausdruck liegt über dem Gesicht des jungen Mannes; der Blick scheint in die Ferne zu schweifen. Neben seinem Gesicht ist eine Protea, die Nationalblume Südafrikas zu sehen. In rot-orangen Farbschattie- rungen hat Ruth Baumgarte einen kräftigen Akzent zum Schwarz der Kreide gesetzt. Dadurch entsteht ein Eindruck äußerster Prä- senz des Dargestellten, dessen Haupt auch von einigen roten Krei- deschattierungen hinterfangen wird. Eine weitere prägende Zeich- nung von 1988 ist die Darstellung einer Afrikanerin mit gelbem Hut (Abb. 12). Diese stellt eine junge Frau, auf dem Boden sitzend, dar. Das Gesicht ist zu einem großen Teil von der Krempe des Hutes bedeckt, der mit seinen gelben Kreidestrichen und dem Rot der Hutschnur einen farbigen Akzent setzt. In schnellen, geschickten Strichen hat Ruth Baumgarte die Konturen der jungen Frau umris- sen. Die runden Formen wirken sehr flüssig und betonen die Plas- tizität der Dargestellten. Zu Beginn der 1990er Jahre entstanden sehr schöne, farbige Zeichnungen mit Pastellkreide. So etwa die Zeichnung eines „Netzflickers“ (Abb. 13). In sich versunken und auf seine Arbeit konzentriert ist ein Fischer im Begriff die Netze zu flicken, die wohl während des Fischfangs löchrig geworden sind. Seit den 1997er Jahren sind Kreide- und Kohlezeichnungen ent- standen, die mit klaren, teilweise kantigen Linien die Konturen der Dargestellten umreißen. Die hochformatige Kreidezeichnung 30 Lars Berg

„Studie I“ (Abb. 14) zeigt eine Afrikanerin; der Kopf ist im Halb- profil dargestellt, der Rest des Körpers wird vor allem durch die Kleidung verhüllt. Mit wenigen Strichen hat Ruth Baumgarte die einzelnen Konturen des Kopfes, der Hände und der Falten im Ge- wand wiedergegeben. Ruth Baumgarte starb am 7. Februar 2013 in Bielefeld im Alter von 90 Jahren. Sie war eine meisterhafte Zeichnerin und beherrschte ebenso die Aquarellmalerei virtuos. Auch in den von ihr geschaf- fenen Arbeiten auf Papier vermittelt sie ihre Vision von Afrika sehr eindrucksvoll. Während die Aquarelle durch eine malerische Qua- lität hervortreten, sind die Kreide- und Kohlezeichnungen der 1980er und 1990er Jahre von einer klaren und starken Linienfüh- rung in den prägnanten Konturen gekennzeichnet. Ihre Faszination für die Menschen, das Licht und das Land hat sie auch durch ihre Aquarelle und Zeichnungen für immer bewahrt. 1 Beate Reifenscheid, „Ich möchte nirgendwo lieber sein als in Afrika“, in: Ruth Baumgarte. Turn of the Fire, München/London/New York 2017, S.11–12, hier: S.11. 2 Ebd. 3 Ebd. 4 Stein, Sebastian, Afrika und Picasso. Kunst und „globale“ Ästhetik, URL: http://www.journal-ethnologie.de/Deutsch/Aktuelle_Themen/Aktuelle_The- men_2008/Afrika_und_Picasso/index.phtml, Aufruf: 21.01.2019, 10:32 Uhr. 5 Hubertus Froning, Afrikanische Visionen, in: Ruth Baumgarte, Katalog Sala Peilaires. Galeria d’Art, Palma de Mallorca 2000, S. 8–11. Ebd., S. 8. 6 7 Ebd., S. 9. 8 Ebd., S. 11. 9 Ebd. 10 Ebd. S. 21. 11 Ruth Baumgarte, „The African II“, 2001, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm. 12 Ruth Baumgarte, „The Brighter Side“, 1995, Mischtechnik auf Karton, 72 x 100 cm Aquarell und Zeichnung im Werk von Ruth Baumgarte 31

e r u k i r i h C e r u k i r i h C RUTH BAUMGARTE – EINE REAKTION AUF IHRE GEMÄLDE Ein Kontinent und so viele verschiedene Aspekte Ich wurde im südlichen Teil Simbabwes auf dem Land geboren. Meine Kindheit verbrachte ich in diesen ländlichen Gegenden und während der letzten beiden High-School-Jahre konnte ich etwas Zeit in der Stadt verbringen. Aber erst als ich auf die Universität ging, hielt ich mich während des größeren Teils des Jahres in der Stadt auf. Als ich das Studium beendet hatte, wurde ich dann zu einem dauerhaften Stadtbewohner, da ich eine Stelle als Verlags- lektor gefunden hatte. Aber auch heute noch verbringe ich gele- gentlich Zeit auf dem Land, wo meine Eltern und ein Großteil meiner Verwandtschaft bis heute leben. Während all dieser Jahre hatte ich Zeit, im Freien zu sitzen und das Land zu bewundern, die Landschaft, die dahinströmenden Flüsse, die wellenförmig wirkenden Hügelketten, und das tue ich auch heute noch. Doch meine Aufmerksamkeit verweilt nicht lan- ge bei diesen Dingen. Stattdessen richtet sie sich nun auf die Kin- der, die im Flussbett spielen, auf die Mädchen, die schwere Was- sereimer vom Fluss herauftragen, auf die Jungen, die am Berg- hang Vieh hüten, auf die Mütter, die versuchen, in den immer stärker schrumpfenden Wäldern Feuerholz zu sammeln, auf die Männer, die Gras schneiden, um damit die Hütten ihrer Familien zu decken, auf die jungen Liebenden, die sich im Tal gegenseitig necken, auf ein älteres Paar, das auf dem Nachhauseweg singt, nachdem es sich zuvor ein Bier genehmigt hat, und auf einige zornige junge Männer, die einander zum Faustkampf herausfor- dern. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Paviane, die auf dem Berggipfel nach Nahrung suchen, auf die Fische im Fluss, die noch am selben Tag in einem Kochtopf landen könnten, auf die Vögel, die mit so vielen verschiedenen schönen Stimmen sin- gen. Für mich ist die Landschaft keine Entität. Sie ist kein Wunder der Natur, das um seiner eigenen Existenz willen da ist. Sie ist Teil ei- nes ganzen Geflechts wechselseitig miteinander verbundener Facetten des Lebens. Aufgrund dieser Wirklichkeit fällt es mir schwer, stundenlang die Landschaft zu bewundern, ohne alles darum herum in einen entsprechenden Zusammenhang zu stel- len. So funktioniert mein Kopf, auch wenn ich in andere Teile der Welt reise. Als man mich einlud, diesen Essay zu Ruth Baumgartes Werk zu verfassen, zögerte ich zunächst. Ich gehöre zu jener Generation von Afrikanern, die in der Kolonialzeit geboren wurden und auf- wuchsen. Wir wurden ausgiebig mit Gemälden konfrontiert, die von älteren europäischen Künstlern stammten, mit Afrikadarstel- lungen, bei denen es sich vorwiegend um Landschaften handelte. Es war so, als drehe sich für die Künstler bei Afrika alles um die Natur, im Guten wie im Bösen. Mit der Zeit begriffen wir die vielen Faktoren dahinter, darunter Grundwahrnehmungen, Geisteshal- tungen, Absichten und Zwecke. Aber dennoch hinterließen diese Darstellungen eine unauslöschliche Spur in unseren Köpfen. Dies war mitnichten das Afrika, in dem unsere Vorfahren gelebt hatten, noch das, in dem wir lebten, – ein Afrika, in dem sich alles um Flüsse und Berge, Bäume und Blumen drehte, ohne einen einzi- gen Menschen weit und breit. Aufgrund dieses meines Hintergrunds zögerte ich zunächst. Wie es in der Redensart heißt: „Der erste Schnitt ist der tiefste.“ Ob- wohl es eine ganze Reihe anderer europäischer Künstler gibt, die Afrika umfassender darstellten, bleibt die in der Kindheit erwor- bene Geisteshaltung tief verwurzelt, und man benötigt einige Zeit, bis man sich an die Wirklichkeit angepasst hat. Es hatte aber auch damit zu tun, dass ich, obwohl ich drei Jahre in Deutschland verbracht und das Land, davor und danach, mehrfach besucht hat- te, noch nicht ganz mit den Werken deutscher Maler vertraut war. Ja, ich kannte Ruth Baumgarte noch nicht einmal, von ihrem Werk ganz zu schweigen. Ich zögerte wegen ihres europäischen Hin- tergrunds und der mir fehlenden Vertrautheit mit ihrem Werk. Ich war mir einfach nicht sicher, ob ich mich nicht mit Kunstwerken konfrontiert sehen würde, die gemischte Gefühle in mir auslösen. Doch als ich die Gelegenheit bekam, mir Beispiele von Ruth Baumgartes Werk anzusehen, war ich glücklich und erleichtert. 32 Chirikure Chirikure

Und als ich mehr Informationen über ihren Hintergrund erhielt, wurde mir vieles klarer. Ruth Baumgarte hatte Afrika über die Li- teratur kennengelernt. Wie für viele Europäer war Afrika für sie fremdartig und exotisch. Indem sie nach Afrika reiste, entkam sie der Welt, die sie kannte. Natürlich war sie von dem, wie sie sich die Landschaft und die Farben im Vorfeld vorgestellt hatte, ange- zogen worden. Als sie dann ankam, fesselte die Landschaft ihre Sinne tatsächlich, doch bald bewegten sie auch die Menschen, ihr Leben und ihre Traditionen und inneren Konflikte. Zunächst besuchte sie Nordafrika, vor allem Ägypten. Doch schließlich sollte sie viele weitere Länder bereisen, darunter Süd- afrika, Botswana, Namibia, Simbabwe, Sambia, Mosambik, Kenia, Uganda, Tansania und Äthiopien. Bei allen diesen Besuchen ver- brachte sie die meiste Zeit auf dem Land. Sie reiste per Jeep oder Zug, und ihre Touren dauerten jeweils zwischen sechs Wochen und drei Monaten. Man kann durchaus anerkennen, dass sie derart extensive Reisen unternahm. Sie begriff, dass es sich bei Afrika nicht um ein Gebiet wie jedes andere handelte. Weder bestand noch besteht Afrika aus einer einheitlichen Gruppe von Menschen. Die afrikanische Landschaft zeichnet sich in jedem einzelnen Land durch eine gro- ße Vielfalt aus, und erst recht gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern. So ist etwa der östliche Teil Südafrikas im Allgemeinen gebirgig, während die zentralen und nördlichen Teile vor allem flach sind. Andererseits gibt es in Simbabwe eine Vielfalt von Landschaften, während das Nachbarland Botswana vor allem aus Wüste besteht und flach ist. Auch wenn ihnen einige Züge gemeinsam sind, unterscheiden sich die Leute doch von einem Landesteil zum anderen, von einem Land zum anderen. Die Unterschiede finden sich in den physischen Merk- malen – für Außenstehende sind sie möglicherweise nicht so of- fenkundig. Unterschiede gibt es aber auch bei den Kulturen und Tra- ditionen und bei den Sprachen und religiösen Überzeugungen. Die Kolonisierung Afrikas brachte eine Fülle neuer Themen mit sich. Die berühmte Berliner Konferenz von 1884/85 ging mit dem „Wettlauf um Afrika“ einher, bei dem mehrere europäische Län- der Afrika unter sich aufteilten. Bei der Grenzziehung wurden in- digene Völker ignoriert, in manchen Fällen wurden Gemeinschaf- ten und mitunter sogar Familien durch willkürliche Grenzen aus- einandergerissen. Jedes europäische Land setzte in seiner neuen Kolonie (oder sei- nen neuen Kolonien) bestimmte Dinge durch, wie seine Sprache, seine Religion und seine Kultur. Die meisten afrikanischen Völker versuchen noch immer, ihre indigenen Kulturen und die europäi- schen Systeme in eine Art Gleichgewicht zu bringen; die Auswir- kungen des Kolonialismus sind dauerhaft und auf dem ganzen Kontinent zu spüren. In den meisten Ländern sind die offiziellen Sprachen diejenigen der jeweiligen ehemaligen Kolonialherren, auch wenn dort immer noch die traditionellen und indigenen Spra- chen gesprochen werden. Botswana, Sambia, Malawi und Sim- babwe etwa waren britische Kolonien – Englisch ist heute also die offizielle Sprache. Senegal, Kamerun, Kongo usw. sind ehe- malige französische, Angola und Mosambik ehemalige portugie- sische Kolonien: Auch sie benutzen jeweils die Kolonialsprache als offizielle Landessprache. Während ihrer Reisen durch und während ihrer Aufenthalte in Afrika begegnete Ruth Baumgarte dieser facettenreichen Wirk- lichkeit. Auch wenn ein Künstler unmöglich alle diese Aspekte des Kontinents erfassen kann, entspricht die Art der Darstellung in ihren Werken doch den Erfahrungen und Beobachtungen, die ihre Muse inspirierten. Während der meisten Jahre, in denen Ruth Baumgarte ihre Rei- sen unternahm, durchliefen diverse afrikanische Länder einen historischen politischen Wandel. Simbabwe etwa war 1980 ge- rade erst unabhängig geworden und befand sich noch auf dem Weg zur Demokratie. Und Südafrika war in den 1980er Jahren auf dem Höhepunkt seines Kampfes gegen die Apartheid und wurde erst 1994 unabhängig. Ruth Baumgartes Werke zeigen die politische Dimension dieser afrikanischen Erfahrung nicht offen- sichtlich, aber bei einer Reihe von Werken können wir die Stim- mung, die damals auf der Straße herrschte, hervorragend fest- gehalten sehen. Summa summarum ist eine Künstlerin von Ruth Baumgartes For- mat keine Journalistin. Sie war nicht in Afrika, um Aufzeichnungen ihrer Beobachtungen zu archivieren. Für sie war Afrika ein Konti- nent, der ihr neue Erfahrungen ermöglichte. Die Erkundung der Landschaft und das Sich-unter-die-Leute-Mischen eröffneten ihr als Individuum und als Künstlerin neue Horizonte. Ihre Werke zeu- gen davon, wie tief sie sich nach Afrika hineinziehen ließ. Die Län- der Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Be- standteil ihrer Lebensreise. Während sie reiste, befand sich auch Afrika auf seiner verschlungenen Reise, einer Reise, deren Aus- gang niemand vorherzusagen vermag. Ruth Baumgarte – eine Reaktion auf ihre Gemälde 33

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BIOGRAFIE, AUSSTELLUNGEN, BIBLIOGRAFIE BIOGRAFIE 1923 In Coburg in eine alte Theaterfamilie hineingeboren; ihr Vater war der Schauspieler, Regisseur und spätere UFA-Direktor und Mehrheitseigner der Tobis Filmproduktions- gesellschaft Kurt Rupli, ihre Mutter war die Schauspielerin Margret Kellner-Conrady. Baumgarte wächst in Berlin auf. 1940 Unterricht an der Kunstschule des Westens, Emmy Stalmann, Berlin 1941–44 Studium der freien Grafik und Malerei an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Berlin bei den Professoren Gerhard Ulrich, Kurt Wehlte, Wilhelm Tank, Hermann Franzke und Carl Michel Während des Studiums ständige Mitarbeiterin des Kaskeline-Zeichentrickfilm- Ateliers, Berlin Infolge der Evakuierung der Hochschule im Zweiten Weltkrieg Wechsel in ein Meisteratelier der Staatlichen Industrie- und Kunstgewerbeschule Sonneberg in Thüringen 1944 Rückkehr nach Berlin Pressezeichnerin bei der ersten deutsch-russischen Tageszeitung und Kunstlehrerin am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium 1945/46 Übersiedlung nach Westdeutschland (Bielefeld) seit 1947 Als freischaffende Malerin und Grafikerin für diverse Tageszeitungen, Zeitschriften und Verlage tätig. Es entstehen zahlreiche Illustrationen. Erste Ausstellungen im In- und Ausland seit 1950 Beginn intensiver Reisetätigkeit: Reisen nach Skandinavien, Südeuropa, Asien, in die USA und bereits nach Afrika Zahlreiche Begegnungen und freundschaftliche Verbindungen zu bekannten Künstlern und Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wirtschaft seit 1970 Mitglied des Bundesverbandes Bildender Künstler (BBK) und des Lippischen Künstlerbundes (LKB) 118 Biografie, Ausstellungen, Bibliografie

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1975 Gründung einer eigenen Galerie in Bielefeld: „Das Fenster“ seit 1980 Über mehrere Monate jährlich Aufenthalt in Afrika Zahlreiche internationale Ausstellungen 1986 Mitverantwortliche bei der Gründung der Samuelis Baumgarte Galerie in Bielefeld 2012 Gründung der Kunststiftung Ruth Baumgarte 2013 Am 7. Februar 2013 stirbt Ruth Baumgarte in ihrem Haus in Bielefeld. AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL) 2018 Ruth Baumgarte, Turn of the Fire, Ludwig Museum im Marmorpalast, Staatliches Russisches Museum, Sankt Petersburg Ruth Baumgarte, Farbrausch am Kessel, Hoesch-Museum, Dortmund (11. März bis 6. Mai) 2017/18 Ruth Baumgarte, Turn of the Fire, Ludwig Museum im Deutschherrenhaus, Koblenz Die Künstlerin Ruth Baumgarte, Herkunft, Prägung, Zäsuren. Eine kulturwissen- schaftliche Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Lichtenberg von Berlin, Kulturhaus Karlshorst (4. November 2017 bis 7. Januar 2018) 2015 Ruth Baumgarte, Farbrausch am Kessel, Städtisches Museum Schloss Salder, Salzgitter 2013 Ruth Baumgarte, Hommage zum 90. Geburtstag, Wichtige Werke aus sieben Jahrzehnten, Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld art KARLSRUHE, Karlsruhe 2012 art KARLSRUHE, Karlsruhe 2011 art KARLSRUHE, Karlsruhe 2010 Ein Hauch von Eden, Meisterwerke und Zeitgenössische Positionen, Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld 2004 Ruth Baumgarte, Il tamtam del colore, Galleria Marieschi, Mailand Arte Fiera Bologna, Bologna Biografie, Ausstellungen, Bibliografie 119

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2002 Galerie Schloss Mochental, Ehingen 2001 Ruth Baumgarte, African Visions, Susan Aberbach Fine Art, New York 2000 Ruth Baumgarte, Visiones Africanas, Sala Pelaires Galeria d’Art, Palma de Mallorca 1998 Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld Ruth Baumgarte, African Paintings, Stichting Veranneman, Kruishoutem, Belgien 1997/98 Galerie Schloss Mochental, Ehingen 1996 La pelle nera, Galleria Marieschi, Mailand, Monza 1995 FIAC, Paris ART COLOGNE, Köln 1994 Art Frankfurt, Frankfurt Artfair, Kunst- und Antiquitätenmesse, Hannover-Herrenhausen Ruth Baumgarte, Bilder aus dem Afrika-Zyklus, Galerie Schloss Mochental, Ehingen Ruth Baumgarte, De Africa, Pitture, acquarelli, disegni, Galleria Giulia, Rom ART COLOGNE, Köln Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld 1993 Kunstverein Paderborn, Paderborn Art Frankfurt, Frankfurt Ruth Baumgarte, African Paintings, G. W. Einstein Company, Inc., New York 1992 Ruth Baumgarte, Paintings & Works on Paper, Frost & Reed, Ltd., London 1991 Ladengalerie, Berlin 1989 Ruth Baumgarte, Retrospektive 1942–1989, Bilder und Zeichnungen, Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld 1947–1990 Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in Museen, Galerien und Kunstvereinen im In- und Ausland u. a. in Deutschland, Frankreich, im Iran, in Italien, Spanien, Portugal, Schweden und den USA 120 Biografie, Ausstellungen, Bibliografie

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BIBLIOGRAFIE (AUSWAHL) KATALOGE Reifenscheid, Beate, Chirikure Chirikure u. a., Ruth Baumgarte, Turn of the Fire, hrsg. von Beate Reifenscheid, Prestel Verlag, München 2017 (Ausst.-Kat. Koblenz, Ludwig Museum) Fenner, Martin, Ruth Baumgarte, Herkunft, Prägung, Zäsuren, hrsg. vom Bezirksamt Lichten- berg von Berlin, Berlin 2017 (Ausst.-Kat. Berlin, Kulturhaus Karlshorst) Mühlenberend, Sandra, Ruth Baumgarte, Farbrausch am Kessel, hrsg. von den Städtischen Kunstsammlungen, Salzgitter 2015 (Ausst.-Kat. Salzgitter, Städtische Kunstsamm- lungen) Rump, Gerhard Charles u. a., Ruth Baumgarte, Hommage zum 90. Geburtstag. Wichtige Werke aus sieben Jahrzehnten, hrsg. von Samuelis Baumgarte Galerie, Bielefeld 2013 (Ausst.-Kat. Bielefeld, Samuelis Baumgarte Galerie) Pizziolo, Marina, Ruth Baumgarte, Il tamtam del colore, Mailand 2003 (Ausst.-Kat. Mailand, Galleria Marieschi) Froning, Hubertus, Ruth Baumgarte, African Visions, hrsg. von Susan Aberbach Fine Art, New York 2001 (Ausst.-Kat. New York, Susan Aberbach Fine Art) Froning, Hubertus, Ruth Baumgarte, Visiones Africanas, hrsg. von Sala Pelaires Galeria d’Art, Palma de Mallorca 2000 (Ausst.-Kat. Palma de Mallorca, Sala Pelaires Galeria d’Art) Stichting Veranneman (Hrsg.), Ruth Baumgarte, African Paintings, Kruishoutem 1998 (Ausst.- Kat. Kruishoutem, Stichting Veranneman) Magani, Fabrizio, Malberti, Claudio, La pelle nera, Mailand/Monza 1994 (Ausst.-Kat. Mailand, Galleria Marieschi) Zimmerhof, Martin, Ruth Baumgarte, De Africa, Pitture, acquarelli, disegni, hrsg. von Galleria Giulia, Rom 1994 (Ausst.-Kat. Rom, Galleria Giulia) G. W. Einstein Company (Hrsg.), Ruth Baumgarte, African Paintings, New York 1993 (Ausst.-Kat. New York, G. W. Einstein Company, Inc.) Frost & Reed, Ltd. (Hrsg.), Ruth Baumgarte, Paintings & Works on Paper, London 1992 (Ausst.- Kat. London, Frost & Reed, Ltd.) Samuelis Baumgarte Galerie (Hrsg.), Ruth Baumgarte, Retrospektive 1942–1989, Bilder und Zeichnungen, Bielefeld 1989 (Ausst.-Kat. Bielefeld, Samuelis Baumgarte Galerie) Bodenstein, Martin, Ruth Baumgarte, In Bildern sehen, hrsg. von Galerie & Edition Ruth Baum- garte, Bielefeld 1986 (Ausst.-Kat. Bielefeld, Galerie & Edition Ruth Baumgarte) Biografie, Ausstellungen, Bibliografie 121

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IMPRESSUM Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung „Ruth Baumgarte – Vision Afrika. Turn of the Fire“ im Städtischen Museum Braunschweig vom 26.03.2019–07.07.2019. Das Projekt ist eine Kooperation mit der Kunststiftung Ruth Baumgarte, Bielefeld. AUSSTELLUNG GESAMTLEITUNG: Peter Joch KONZEPTION: Lars Berg, Evelin Haase, Peter Joch, Bianca Strauß WISSENSCHAFTLICHE BERATUNG: Marco Gutjahr, Viktoria Nixdorf (Kunststiftung Ruth Baumgarte, Bielefeld) AUSSTELLUNGSORGANISATION: Bianca Strauß MUSEUMSPÄDAGOGIK: Martin Baumgart LEIHVERKEHR: Gabriele Schneider PRESSE- UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT: Annika Hille KONSERVATORISCHE BETREUUNG: Heike Billerbeck (Gemälde), Désirée Ohlendorf (Papier), Sonja Schmitz-Wadjinny (Gemälde) AUFBAU UND WERKSTATT: Thomas Mattern (Leitung), Stephan Krause SAMMLUNGSVERWALTUNG: Wolfgang Koebbel (Leitung), Irini Koebbel, Dennis Kunde VERWALTUNG: Jörg Liewald (Leitung), Berit Dost, Gabriele Schneider HAUSTECHNIK: Jens Jungmichel, Alexander Kolodko, Maxim Lenz AUFSICHT UND EMPFANG: Arbnora Elezi, Christine Poppitz, Jeannet Stermann KATALOG HERAUSGEBER: Peter Joch AUTOREN: Lars Berg, Chirikure Chirikure, Peter Joch, Bianca Strauß FOTOS UND BILDBEARBEITUNG: Kunststiftung Ruth Baumgarte, Bielefeld REDAKTION: Lars Berg, Bianca Strauß GESTALTUNG UND REPRODUKTION: Anna Wess, Michael Imhof Verlag DRUCK: Grafisches Centrum Cuno, Calbe ISBN 978-3-7319-0816-6 © 2019 Für die Texte: Städtisches Museum Braunschweig und die Autoren Der Text von Herrn Chirikure Chirikure wurde mit freundlicher Genehmigung des Prestel Verlags in diesem Katalog erneut gedruckt. Erstveröffentlichung in: Beate Reifenscheid (Hrsg.), Ruth Baumgarte. Turn of the Fire, München/London/New York 2017, S. 35–38 (Übersetzung Nicolaus G. Schneider, Berlin). Für die Abbildungen: Kunststiftung Ruth Baumgarte, Bielefeld © 2019 Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG Stettiner Straße 25 | D-36100 Petersberg Tel. 0661 2919166-0; Fax 0661 2919166-9 www.imhof-verlag.com; info@imhof-verlag.de 124 Impressum

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RUTH BAUMGARTE (1923–2013) reiste seit den 1980er Jahren mehr als 40 Mal nach Süd- und Ostafrika. Um den ‚fremden‘ Kontinent abzubilden, entwickelte sie einen expressiven Stil. Vielfach ließ sie apokalyptische Visionen entstehen. Farbgewaltige Darstellungen von Menschen und Landschaften spiegeln die Verbundenheit und starke Empathie der Künstlerin zum vielschichtigen Kon- tinent Afrika. Dabei sind für Ruth Baumgarte auch soziale Verwerfungen und Umbrüche in afrikanischen Gesellschaften ein zentrales Thema. Der über 100 Werke umfassende Afrika-Zyklus zeigt die Aktualität der Künst- lerin, die beim Thema Afrika ihrer Zeit weit voraus war. Die brisanten sozial- politischen Entwicklungen in afrikanischen Ländern verleiht den Arbeiten von Ruth Baumgarte eine stetig wachsende Relevanz in künstlerischer wie in ge- sellschaftspolitischer Hinsicht. MICHAEL IMHOF VERLAG ISBN 978-3-7319-0816-6